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Eggers, Dave:
Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?
Aus dem amerik. Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016
EA 2014 u.d.T.: Your fathers, where are they? And the prophets, do they live forever?
224 Seiten
€ 9,99
E-Book: € 16,99
Hardcover: € 18,99
Junge Erwachsene ab 16 Jahren

Eggers, Dave: Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?

„Ich bin hier der Mann mit Moral!“

von Hanna Jaworowski (2016)

Eine moralische Instanz zu sein, das ist Thomas‘ Anspruch, der Hauptfigur aus Dave Eggers‘ Roman „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“. Eggers schafft in seinem neuesten Werk einen Antihelden, der vieles richtig zu meinen scheint und dabei doch alles falsch macht. Thomas ist ein junger, weißer Amerikaner, orientierungslos und angeödet vom politischen System. Er fühlt sich von allen Menschen benutzt und hintergangen. Ohne Vater aufgewachsen, hat er sich stets an die Idee eines Staates geklammert, der ihm Orientierung und Führung verleiht, erlebt jedoch Verfall und Falschheit. Daher sucht er nun die Antworten auf die großen Fragen in seinem Leben und greift zu drastischen Mitteln: Er entführt Menschen auf eine verlassene Militärbasis, um sie dort seinem ganz eigenen Kreuzverhör zu unterziehen. Dabei wandelt er auf dem schmalen Grat zwischen Rationalität und Wahn und verstrickt sich immer tiefer in seiner Sinnsuche. Da keine der Geiseln seine Fragen zufriedenstellend beantworten kann, entführt er immer mehr Menschen, unter anderem einen Kongressabgeordneten und seine eigene Mutter. Die Situation spitzt sich von Tag zu Tag mehr zu, da die Gefahr der Entdeckung immer größer wird, was den Druck auf Thomas zunehmend erhöht.

Nahezu inquisitorisch befragt Thomas seine Opfer, und da der Roman wie ein Theaterstück in reiner Dialogform verfasst ist, erfährt die LeserIn nur häppchenweise durch ein quälendes Frage-Antwort-Spiel, wie Thomas in diese Lage geraten konnte. Dessen Verzweiflung wächst mit jeder neuen Geisel, die nicht die erhoffte universelle Auflösung seiner Fragen und Probleme bereithält. Durch die literarisch nüchterne Ausstattung des Romans wird die LeserIn umso mehr von Thomas‘ konstruierter Realität in den Bann gezogen und die moralische Eindringlichkeit seines Handelns verstärkt. Eggers stattet seinen Protagonisten mit einer traumatischen Vergangenheit aus, von der allerdings offen bleibt, inwiefern sein Handeln deren Folge oder ob er einfach schon immer nicht ganz zurechnungsfähig gewesen ist. Diese Frage treibt Thomas im Gespräch mit seiner Mutter, von der er sich schon als Kind vernachlässigt gefühlt hat, noch auf die Spitze.

Der Tropfen, der das ‚psychische Fass‘ zum Überlaufen gebracht und zu Thomas wahnwitziger Aktion geführt hat, könnte der Tod seines einzigen Kindheitsfreundes Don Banh sein. Unter den Entführten befindet sich einer der Polizisten, die bei Dons Erschießung dabei gewesen sind, als dieser in geistiger Verwirrung in seinem Garten randaliert hat und von einem Sondereinsatzkommando getötet worden ist, nachdem er mit einem Küchenmesser herumgefuchtelt hat – und vermutlich auch wegen seiner vietnamesischen Abstammung verdächtig erschienen ist. Unerbittlich bohrt Thomas nach der Wahrheit und klagt die anschließende Vertuschungsaktion durch den Polizeiapparat an. Hier legt der Autor den Finger in die Wunde der häufig übermäßigen Polizeigewalt in den USA, vor allem gegen Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe.

Überhaupt reißt Eggers in diesem Werk eine Vielzahl kritischer Themen an; es geht von Kindesmissbrauch, Fremdenfeindlichkeit, Außenpolitik in Fernost über Familiendramen bis hin zur allgemeinen Perspektivlosigkeit, die sich auch in der amerikanischen Mittelschicht breitzumachen beginnt. Thomas schwingt sich zur einzig wahren moralischen Instanz auf und bezieht sie in seinem egozentrischen Denken ganz auf sich. Er schafft es nicht, aus seiner engstirnigen Sichtweise heraus eine gesamtgesellschaftlich relevante Vision zu entwickeln und stagniert in seiner Entwicklung, voll von kindlicher Naivität und Hilflosigkeit, aber auch Destruktivität. Es wird immer deutlicher, wie verquer seine Wertvorstellungen sind, und er erscheint in seiner moralischen Überlegenheit zunehmend unglaubwürdig. Die Schuld für sein Versagen sucht Thomas stets bei anderen, er wirft dem Kongressabgeordneten als Staatsvertreter vor, dass die junge Generation kein Ziel, keine Inspiration, keine große Aufgabe vor Augen hat, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und so schwankt die LeserIn zwischen Verachtung und Mitleid für diesen gescheiterten Charakter.

Dave Eggers ist auch mit diesem Werk wie bei „The Circle“ nah am Puls der Zeit, er liefert ein (wenn auch völlig überzeichnetes) Bild davon, wie sich viele junge Leute fühlen, wenn die vermeintlich schwierigste Entscheidung ihres Lebens die zwischen Android oder Apple ist.

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