Williamson, Lisa: Zusammen werden wir leuchten
„Right now, the time is ours”
von Irina Timm und Lena Viefhues (2016)
Ort: Eden Park Highschool
Akteure: David (alias Kate) und Leo
Status: über beide Ohren verliebt und absolut pubertär
To-Do für den Sommer: Vater finden (Leo)
den Eltern das große Geheimnis erzählen (David)
David weiß schon seitdem er klein ist, dass er nicht so wie andere Jungen ist. Eigentlich weiß er, dass er überhaupt kein Junge ist – höchstens sein biologisches Geschlecht spricht dafür. Jetzt ist er vierzehn Jahre alt und mit der beginnenden Pubertät läuft ihm so langsam „die Zeit davon“. Doch wie soll er seinen Eltern beibringen, dass er im falschen Körper geboren worden ist?
Leo ist der Neue an der Schule, die auch David besucht. Nicht nur seine abweisende Art und die zahlreichen Gerüchte, die über den Grund seines Schulwechsels kursieren, wecken Davids Neugierde. Irgendetwas scheint an Leo besonders zu sein.
Was niemand an der neuen Schule weiß, ist, dass auch Leo im falschen Körper geboren worden ist, denn eigentlich ist sein biologisches Geschlecht weiblich. Doch anders als David befindet sich Leo schon im Prozess der Geschlechtsumwandlung. So wird er in der Schule seinem Äußeren nach zunächst als Junge gesehen. Als er sich dann aber Hals über Kopf in die schöne Alicia Baker verliebt, kommt seine Fassade ins Wanken.
Die Geschichte lässt David und Leo abwechselnd präsentisch als Ich-Erzähler zu Wort kommen und ermöglicht somit zwei Perspektiven auf das Geschehen. Bis auf die Gemeinsamkeit transgender zu sein, könnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Der teilweise unsichere, schüchterne, aber auch lebensfrohe David ist in behüteten Verhältnissen einer mittelständischen Familie aufgewachsen. Leo hingegen überspielt mit seiner selbstbewussten und ‚coolen’ Art seinen komplizierten familiären Hintergrund. Seine Familie unterstützt zwar seine Geschlechtsumwandlung, jedoch ist Leos Verhältnis zu seiner alleinerziehenden Mutter problematisch.
Sein Vater hat die Familie verlassen, als Leo noch sehr klein gewesen ist. Trotzdem hängt Leo noch sehr an den Erinnerungen an ihn. Er hofft, dass sein Leben wieder in geregelteren Bahnen verlaufen kann, wenn er seinen Vater findet. Als sein Geheimnis ans Licht kommt, beschließt er kurzerhand, seinen Vater zu suchen. David lässt es sich nicht nehmen, ihn zu begleiten und nutzt die Gelegenheit, die Reise als Kate anzutreten. Die beiden verbringen in dem Ort, wo Leos Vater inzwischen wohnt, ein unvergessliches Wochenende. Obwohl die Suche nicht den gewünschten Ausgang hat, merken die beiden doch, dass sie nicht allein mit ihren Gefühlen sind.
Der Titel des Buches „Zusammen werden wir leuchten“ verdeutlicht diese gegenseitige Unterstützung, die beide einander geben, und ist zum anderen auch der Refrain des Liedes, welches sie gemeinsam in einer Bar an dem besagten Wochenende singen. „Right now, the time is ours! So let’s fly higher! Light the stars on fire! Together we’ll shine!“ Der englische Originaltitel (übersetzt von Angelika Eisold Viebig) lautet „The Art of Being Normal“. Doch was ist das Kunstvolle am ‚Normal-Sein’? Etymologisch kommt der Begriff ‚Norm’ (lat. = norma) von Winkelmaß bzw. Richtschnur. Normalität wird im „historischen Lexikon der Philosophie“ als das „Naturgemäße“ beschrieben. Somit hat die Idee von Normalität zumeist einen präskriptiven Charakter und impliziert, dass alles, was nicht ‚normal’ ist, automatisch ‚falsch’ oder ‚unnatürlich’ ist. Die Schwierigkeit des Begriffes liegt des Weiteren darin, dass es keine festgelegte Definition von ‚Normalität’ gibt, aber herrschende Machtsysteme vorgeben, was als ‚normal‘ angesehen werden soll, was dann zu häufig unreflektiert von der Gesellschaft aufgenommen und verbreitet wird. Somit ist der Originaltitel „The Art of Being Normal“ kritisch zu betrachten, da er impliziert, Normalität habe eine festgelegte Form, sei also ein festgelegter Seins-Zustand, den es, durch die positive Konnotation als ‚Kunst’, anzustreben gelte.
Auch wenn es inzwischen unzählige Bezeichnungen für Lebensformen und Geschlechtsidentitäten neben ‚Mann’ bzw. ‚Frau’ gibt, erzwingt die deutsche Sprache beispielsweise durch die Personalpronomen immer eine Unterscheidung zwischen ‚männlich’ oder ‚weiblich’, und jede Person, der man begegnet, muss man diesem Schwarz-Weiß-Schema zuzuordnen. Mit dieser ‚Problematik’ geht die Autorin Lisa Williamson so um, dass sie die Pronomen an die äußere Erscheinung der Person anpasst. David wird zu Beginn der Geschichte als Junge eingeordnet, er wird als ‚er’ bezeichnet und sein Name ist eindeutig der eines Jungen. Leo, männlich gekleidet, wird ebenso als Junge wahrgenommen, auch wenn man an späterer Stelle erfährt, dass er vom biologischen Geschlecht her noch weiblich ist. Diese Tatsache ist ziemlich entlarvend für die Zuordnung in männlich und weiblich: Sie wird lediglich an Äußerlichkeiten festgemacht.
Williamsons Debutroman nimmt uns mit in die nervenaufreibende Zeit der Pubertät mit allen Hochs und Tiefs. Die Gefühle, die beim Eintauchen in diese Welt in einem aufkommen, sind mitreißend und aufwühlend. Die Geschichte von Leo und David ist eine typische ‚Highschoolstory’ über zwei Jugendliche, die mit Themen wie Selbstfindung, Unsicherheit, Mobbing, Vertrauen und Freundschaft beschäftigt sind. Das Thema ‚Transgender‘ fügt sich dabei fast wie zufällig ein. Denn letztendlich geht es in der Pubertät genau darum, den Mut zu finden, zu sich selber zu stehen – ob Mann, Frau, Trans, Queer, …
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