Socha, Piotr: Bienen
Willkommen im Reich der Supertiere!
von Jeanette Dietz, Marc Franzke und Fee Céline Rech (2016)
„100 Millionen Jahre! Mindestens so lange gibt es schon Bienen auf der Erde.“
Die Geschichte beginnt spannend: vor über hundert Millionen Jahren, zur Zeit der Dinosaurier. – Und trotz dieser großzügigen zeitlichen Dimensionierung scheint kein Detail ausgelassen worden sein: denn wir erfahren eine Menge über Bienen, jene kleinen, gestreiften und flauschigen Insekten, die uns fortwährend mit großen Augen von den bunten Tafeln aus betrachten, während sie uns einladen, ihren Körperbau, ihre Lebensweise und soziale Organisation sowie ihr Wirken in der Menschheitsgeschichte und in der uns umgebenden Natur zu studieren. Hier verfährt der Autor, Piotr Socha, geboren 1966 in Polen, selbst Sohn eines Imkers und seines Zeichens Comicbuchautor und Illustrator, zunächst wie in der Biologie üblich: vom Kleinen ins Große. Beginnend beim anatomischen Aufbau einer Biene über die Staatenbildung im Bienenstock bis hin zur enormen ökologischen und ökonomischen Bedeutung für den Menschen in der Vergangenheit, heute und vor allem auch in der Zukunft, führt uns der Autor mit Hilfe von kurzen, präzisen Texten durch die bunten Bildtafeln. Die Ko-Evolution von Biene und Blütenpflanze wird dabei immer im Blick behalten und erklärt. Die Begegnung zwischen den Bienen und der Menschheit wird allumfassend gewürdigt, von der Steinzeit bis zur Gegenwart. – Und wer, wenn nicht Zeus höchstpersönlich, soll mit Honig zu einem starken Gott großgezogen worden sein?
Beim Blick in das Buch wird schnell deutlich, dass Sochas Illustrationen immer auf den Punkt gebracht sind: Wo es wichtig ist, Körper, Strukturen und Symboliken zu veranschaulichen, wird die Zeichnung wissenschaftlich – man kann sie studieren – und sich an dem Detailreichtum erfreuen. Wenn hingegen Prozesse veranschaulicht werden sollen, tritt das Unwesentliche angenehm in den Hintergrund und Teile des Geschehens werden nur schematisch gezeichnet. Die Bildtafeln nehmen fast die kompletten Buchseiten ein, sind in römischen Ziffern durchnummeriert und auch in ihrer Umrahmung in der Tradition naturwissenschaftlicher Tafeln gehalten; gleichzeitig sind die Zeichnungen in angenehm moderner, humorvoller Art und Weise umgesetzt. Man ertappt sich, wie man mit den Händen beim Lesen über die großformatigen Tafeln streicht – ja, sie laden dazu ein, die Bienen anzufassen und zu streicheln. Der Text begleitet dabei die Bilder: Es finden sich kurze Erklärungen und Bezeichnungen direkt an einzelnen Zeichnungen sowie ein Fließtext, der im unteren Bereich der Buchseiten kaum ablenkt und trotzdem höchst lesenswert ist. Auch hier gelingt die Verbindung von interessantem, sachlichem Faktenwissen mit einer unterhaltsamen Darstellungsweise. Zweimal, einmal in der Mitte und einmal am Ende des Buches, fügt der Autor das sogenannte „Bienenblättchen“ ein: jeweils eine Doppelseite, die aussieht wie eine Zeitung aus vergangenen Zeiten. Die schwarz-weiß gehaltenen Seiten brechen den Erzählfluss auf. Sie vertiefen und erweitern das bereits erhaltene Wissen. Wie alle anderen Seiten des Buches auch, kann man sie sowohl für sich alleinstehend als auch im Gesamtfluss der Geschichte anschauen und entdecken.
Das 80-seitige und mit 27,5 x 37,5 cm ungewöhnlich große Buch ist als Format sowohl ‚klassisch‘ in der Biologie verankert als auch durch die liebevoll ausgearbeiteten Bildtafeln begründet. Selbst das etwas angeraute, dicke Papier verspricht eine ausgedehnte Beschäftigung, so können auch kleinere Kinder das Buch auf eigene Weise erkunden. Man kann sich sogar vorstellen, es im Sitzkreis einer Schulklasse herumzugeben und zu besprechen. Kinder und Erwachsene werden das Buch lieben, da es die Kategorien Sachbuch und Bilderbuch synergetisch vereint und auch beim zweiten und dritten Mal Anschauen oder Lesen interessant bleibt. Jüngeren BienenforscherInnen werden allein die detaillierten Bilder genügen, um voll und ganz in die Geschichte eintauchen zu können. Geübtere LeserInnen werden sich an der fachkundigen Gestaltung und den kleinen Querverweisen erfreuen und können sich beim Vor- und Selbstlesen auf ihre ganz eigene Entdeckungsreise durch das Buch begeben: Denn wer erfreut sich nicht an hoher, schnörkelloser Informationsdichte, die aber zugleich – dank der Illustrationen und amüsanter kleiner Anekdoten – niemals trocken daherkommt? Piotr Sochas „Bienen“ schafft den Spagat zwischen biologisch fundiertem Sachbuch und ästhetisch anspruchsvollen Bilderbuch auf spielerische Art und Weise. Nach der Lektüre dieses Buches ist man nicht nur absolute BienenexpertIn, sondern weiß auch, wie man Honigkuchen backt. Jetzt müsste es beim Aufschlagen der Seiten nur noch nach Honig duften…