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Martins, Isabel Minhós (Text) und Bernardo P. Carvalho (Illustration):
Hier kommt keiner durch!
Aus dem Portugiesischen von Franziska Hauffe
Leipzig: Klett Kinderbuch 2016
EA 2011 u.d.T.: Daqui ninguém passa
20 ungez. Bll.
€ 13,95
Bilderbuch ab 4 Jahren

Martins, Isabel Minhós (Text) und Bernardo P. Carvalho (Illustration): Hier kommt keiner durch!

„Aber das ist doch verrückt“ – über den (Un-)Sinn von Grenzen

von Arne Jedamski und Malin Terinde (2016)

„Hier kommt keiner durch!“ von der Autorin Isabel Minhós Martins ist ein von Bernrdo P. Carvalho illustriertes Bilderbuch, das den (Un-)Sinn von Grenzen auf literarische Art reflektiert: Ein General erhebt unbegründet Anspruch auf die rechte Buchseite und befiehlt, diese weiß zu belassen. Ohne zu hinterfragen folgt der Herr Aufpasser den Anweisungen des Generals: „Tut mir leid, aber ich führe nur einen Befehl aus.“ Immer mehr Leute kommen hinzu und tummeln sich auf der linken Hälfte, die zunehmend bunter wird. Egal wie sehr sie fragen, betteln, drängeln oder sich beschweren, der Aufpasser lässt keinen durch. Infolgedessen bleibt die rechte Seite unberührt.

Diese Grenzziehung spiegelt sich in der künstlerischen Form wider: Jede Doppelseite wird von dem Falz, der die Grenze markiert, in eine linke und eine rechte Buchseite unterteilt. Somit durchbricht die Autorin die Trennung von Wirklichkeit und erzählter Welt in Form einer narrativen Metalepse. Den dadurch voneinander abgegrenzten Räumen werden Figuren zugeordnet, die auf dem Vorsatzpapier mit Namen vorgestellt werden und neben dem übergeordneten Handlungsstrang jeweils ihre eigene kleine Geschichte mitbringen: Clara bekommt ein Kind, die Häftlinge Uli und Sepp sind auf der Flucht, und der Magier David verschwindet wie von Zauberhand und taucht einige Seiten später urplötzlich wieder auf. Auch nach mehrmaligem Durchblättern kommt davon keine Langeweile auf, da es immer noch etwas Spannendes zu entdecken gibt. Einige der Figuren referieren auf in der Realität existierende Personen. Beispielsweise finden sich die Autorin und der Illustrator selbst wieder. Und bei der Betrachtung des Astronauten Noel, des Brillenträgers Steve oder der fußballspielenden Jungen Lionel und Cristiano assoziiert man direkt Neil Armstrong, Stevie Wonder, Lionel Messi und Cristiano Ronaldo.

Im Kontrast zum weiß belassenen Hintergrund stehen die mit Filzstift gemalten oder mit Bleistift gezeichneten Figuren. Die Zeichentechnik erweckt den Eindruck, dass die Bilder von einem Kind gefertigt worden sind. Bei den Illustrationen setzt Bernardo P. Carvalho auf kräftige, fröhliche und lebhafte Farben. Wie auch die bildliche, ist die sprachliche Gestaltung einfach gehalten. In ebenfalls bunten Panels stehen parataktische Aussage-, Frage- und Befehlsätze sowie einzelne Ausrufe wie „Mistkerl!“, Lautmalereien à la „schnüffel…schnüffel…schnüffel…“ oder Zeichen „?!“ – Bild und Text verhalten sich komplementär.

Die 1974 in Lissabon geborene Isabel Minhós Martins thematisiert in „Hier kommt keiner durch!“ auf für Kinder verständliche Art und Weise das Problem, Autoritäten und Vorschriften nicht zu hinterfragen. Anhand des Beispiels der Grenze macht die Autorin auf politische Willkür, die unreflektierte Ausführung übergeordneter Befehle und die daraus resultierende Einschränkung der Freiheit jedes Einzelnen aufmerksam. Obwohl sich in der Vergangenheit eindrückliche Beispiele wie die Berliner Mauer finden lassen, aus denen man eigentlich hätte lernen müssen, ist das Thema der Grenzziehung auch heute noch aktuell: Die Schließung der Balkanroute verwehrt zahlreichen Menschen die Flucht aus unzumutbaren Verhältnissen, und der angehende Präsident der USA Donald Trump beabsichtigt, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen. In dem Werk stellt der General die sich überordnende Instanz dar: „Von jetzt an und für immer – ich bin der Bestimmer!“ Der Aufpasser verkörpert das ausführende Organ, während die bunte Menschenmenge unter den Auswirkungen leiden muss: „Das ist ungerecht!! // Dieses Buch gehört allen!“

„Hier kommt keiner durch“ empfiehlt sich für Kinder ab vier Jahren, da es auf gestalterisch ansprechende, anschauliche und originelle Art und Weise Kinder an ein wichtiges, aktuelles und reales Problem heranführt. Obgleich es sich bei diesem Werk um Kinderliteratur handelt, ist es inhaltlich ebenso relevant für diejenigen, die vorlesen: ein Denkanstoß für alle.

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