Thé, Tjong-Khing: Hieronymus – Ein Abenteuer in der Welt des Hieronymus Bosch
Mit Mut und Freundschaft gegen Monster und Schrecken
von Michel Brake, Hannah Schröders und Pia Schubert (2016)
Das Bilderbuch „Hieronymus – Ein Abenteuer in der Welt des ‚Hieronymus Bosch‘“ von Thé Tjong-Khing erzählt – ganz ohne Worte – von einem kleinen Jungen, der in eine Welt voller surrealer Fabelwesen, die auf ‚Mosaiksteinen des Realen‘ basieren, eintaucht, da er beim Spielen am Rande einer Klippe von dieser hinunter stürzt und in einem tiefen Gewässer landet. Unter der Wasseroberfläche tummeln sich allerlei seltsame, absonderliche Wesen – riesengroße Monster, wie ein krokodilartiges Tier mit langem Haupthaar, eine monströse Flunder mit einem froschartigen Hinterteil und an Land steht ein weißes Einhorn mit peitschenartigem Kuhschwanz. Hieronymus ist in einer Welt gelandet, die völlig surreal erscheint. Während er seinem Rucksack, seiner Mütze und seinem Ball nachjagt, erlebt der kleine Junge viele Abenteuer, die geprägt sind von Mut, Tapferkeit und Hilfsbereitschaft. Nebenher kann die LeserIn viele weitere kleine Geschichten entdecken, die sich rund um die Hauptfigur ereignen.
Thé Tjong-Khing ist ein niederländischer Illustrator, der schon dreimal mit dem ‚Goldenen Pinsel‘, der renommiertesten Auszeichnung für niederländische IllustratorInnen, ausgezeichnet worden ist. Seine Bilderbücher sind vielfach prämiert und alle ohne Worte realisiert worden. Zum 500. Todestag des niederländischen Malers Hieronymus Bosch veröffentlicht Thé Tjong-Khing ein Bilderbuch, angelehnt an dessen Gemälde: beispielsweise greift er das Bild des Heuwagens auf und bereitet dieses kindgerecht auf. Viele dieser Werke sind von rätselhaften Fabelwesen geprägt und konnten bis heute nicht eindeutig erklärt werden. Die Geschichte einer kinderfressenden Hexe, wie sie aus Grimms Märchen bekannt ist, ist phantastisch aufbereitet worden und mit monströsen Figuren ergänzt.
Während seiner Suche begegnen dem kleinen Jungen viele kuriose Wesen, teils friedlich, teils boshaft. Auf der Jagd nach seinem Rucksack erfährt Hieronymus, dass viele Kinder in der neuen Welt verschwunden sind. Gemeinsam mit seinen Freunden macht er sich auf die Suche nach den Kindern, um das Geheimnis zu lüften.
Das Abenteuer von Hieronymus ist gestalterisch sehr ansprechend. Der Untergrund ist stets sehr schlicht und einfarbig gehalten, ohne eine größere Musterung oder einem Farbverlauf. Dies erleichtert der LeserIn, ihre Konzentration ganz auf die Fabelwesen und Hieronymus selber zu lenken. Alle Wesen sind mit klaren Linien vom offen gestalteten Hintergrund abgegrenzt, ebenso wie bedeutsame Gegenstände. Die Figuren sind naturalistisch orientiert und kindlich angemessen umgesetzt. Hier ist der Bezug zu Boschs Werken klar zu erkennen. Im direkten Kontrast dazu stehen die meist geometrischen oder surrealen Formen des Unter- und Hintergrundes.
Farblich bedient sich Tjong-Khing aus den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb, welche in unterschiedlicher Intensität aufbereitet worden sind. Auch die klaren Schwarz-Weiß-Kontraste haben Einfluss auf das gestalterische Geschehen, welches von sanften Erdtönen ergänzt wird. Besonders intensiv werden Gegenstände dargestellt, die für die Geschichte von Bedeutung sind, beispielsweise die Kappe, der Ball oder das Kleid der bösen Hexe. Der Unter- und Hintergrund spiegelt farblich immer die Atmosphäre der jeweiligen Situation wider. So wird die Umgebung um das Haus der bösen Hexe in schwarzen und dunklen Tönen gehalten, um einen starken Kontrast zum Haus selber zu bilden, welches weiß ist. Dies hat zur Folge, dass sich Hieronymus und die Hexe stark vom Bilduntergrund abheben.
Der Autor greift in allen Bilderbuchseiten Aspekte der vorherigen Seite auf. Dies hat den Effekt, dass die LeserIn stets weiß, wo sie sich befindet und Tjong-Khing erzeugt eine für die westliche Leserichtung angenehme Betrachtungsvorgabe; die Bilder von links nach rechts zu verstehen und zu erleben. Im linken Bereich befindet sich zunächst eine Komponente aus der vorherigen Seite, wohingegen die neuen Aspekte meist in der Bildmitte und rechtszentriert wiederzufinden sind. Nachdem sich die Kinder von der Hexe befreien und somit die Wendung in der Geschichte einleiten konnten, kehrt sich auch die Betrachtungsrichtung um. Ab diesem Punkt ist die Bildgestaltung von rechts nach links zu verstehen und man bekommt den Eindruck, dass Hieronymus wieder zu der Klippe zurückgeht, von welcher er, von links kommend, herunter gestürzt ist.
Die Haupt- und Nebengeschehnisse des Buches lüften sich erst nach und nach durch mehrmaliges vor- und zurückblättern. Die LeserIn muss die aufwendig gestalteten Doppelseiten detektivisch absuchen, um die einzelnen Handlungsstränge zu finden und diese miteinander zu kombinieren. Genau diese Tatsache macht den Reiz des ‚Wimmelbuchs‘ aus. Für Groß und Klein lädt dieses phantasievolle Werk dazu ein, dem Vorstellungsvermögen freien Lauf zu lassen. Die LeserInnen werden dazu angeregt, immer wieder neue Aspekte der Geschichte zu entdecken und diese mit in die eigene Erzählung einzubauen.
„Hieronymus – Ein Abenteuer in der Welt des Hieronymus Bosch“ ist ein anregendes, ereignisreiches Bilderbuch, das nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene in eine andere Welt entführen kann. Durch die kindliche Aufbereitung der Bilder Boschs bietet das Buch, welches hier eine Vermittlerrolle zwischen Kunstwelt und der kindlichen Wahrnehmung einnimmt, einen angemessenen Rahmen für düstere Abenteuer und faszinierende Fabelwesen: ein Bilderbuch, das die Kreativität und Phantasie eines jeden Kindes anregen kann.