Platthaus, Andreas: Freispiel
Eine lange Nacht
von Gianna Dicke und Yvonne Wöhlke (2010)
Eigentlich hatten sie sich alles ganz anders vorgestellt. Teil der Geschichte wollten sie sein, zusammen den Beginn einer gemeinsamen Zukunft feiern. Doch dann schlagen ihre Illusionen und die anfängliche Heiterkeit in ernüchternde Realität um.
Freunde sind sie eigentlich schon lange nicht mehr. Der großspurige Thomas hat Makro die Freundin ausgespannt, Stepan ist ein notorischer Besserwisser und Sixtus ein vermeintlicher Mitläufer. Die leicht neurotische Ich-Erzählerin scheint darüber hinaus eiskalt mit den Jungs zu spielen. Trotz aller Querelen machen sich die jungen Erwachsenen an Silvester 1989 aus der rheinischen Provinz auf den Weg nach Berlin, um die neue Freiheit hautnah mitzuerleben und mit den ‚neuen Deutschen’ die Wende zu feiern.
Als sie in Ost-Berlin am Alexanderplatz ankommen, tritt zunächst große Ernüchterung ein. Keine Menschenseele ist zu sehen, denn alle feiern gemeinsam am Brandenburger Tor. Notgedrungen reiht sich die Clique in die dortige Menge der Feiernden ein und lernt dabei Norbert und Marlene kennen, zwei ostdeutsche Mittvierziger, die sie zu einer spontanen Nachbarschaftsparty nach Pankow in ihre Wohnung einladen.
Die zunächst feucht-fröhliche, ausgelassene Stimmung gerät allerdings ins Wanken, als sich herausstellt, dass Norbert ein wohlhabender DDR-Staatssekretär ist, der sich vom Arbeitersohn hat emporarbeiten können und deshalb hinter seinem Land steht. Unter den Nachbarn gibt es aber auch konträre Meinungen: Quint, der als „Sozialschmarotzer“ gilt, hat die Vorzüge des ‚realen Sozialismus’ nie genießen dürfen und steht dem Staat daher kritisch gegenüber. Mark, der jahrelang für die Staatssicherheit gearbeitet hat, denkt mittlerweile ganz anders über das System, und auch Marlene beginnt zu realisieren, dass ihr bisheriges Leben mehr auf Schein als auf Sein aufgebaut war. Die Unterschiede zwischen den Systemen werden plötzlich für alle Anwesenden spürbar und führen nicht nur zu Neidreaktionen, sondern auch zu Existenzängsten.
Andreas Platthaus, dem stellvertretenden Feuilletonchef der FAZ, gelingt es in seinem ersten Roman „Freispiel“ leider nicht, den im Klappentext prominent herausgestellten Prozess des „Erwachsenwerden(s) in einer einzigen Nacht“ glaubhaft zu schildern. Zwar reißt er für einen Adoleszenzroman typische Themen wie Freundschaft, Beziehungen und Sex an, schafft es aber nicht, die sich zäh dahinschleppende Handlung dahingehend in Schwung zu bringen. Welche Entwicklung die Protagonisten in der „wichtigsten Nacht ihrer Biographie“ durchlaufen, bleibt unklar. Stattdessen stellt Platthaus die Ost-West-Problematik aus, greift dazu aber überwiegend sattsam bekannte Vorurteile auf. Da er alle Aspekte nur sehr oberflächlich abhandelt und sich dabei typischer Klischees bedient, gestaltet sich die Handlung an vielen Stellen undurchsichtig und langweilig. Auch die Protagonisten stellen keine Identifikationsfiguren dar, da sie oft farblos, typenhaft und dazu unsympathisch wirken. Platthaus verfehlt also nicht nur die Zielgruppe, sondern auch die Thematik, da nicht klar wird, ob es sich tatsächlich um einen Entwicklungsroman oder eine zeitgenössische Ost-West-Geschichte handelt. Reife und Einsicht erlangen die Figuren weder in der einen, noch in der anderen Hinsicht.
Auch in sprachlicher Hinsicht kann Platthaus nicht überzeugen. Seine gewollt anspruchsvolle Ausdrucksweise wirkt unsympathisch und überheblich. Die hölzernen Dialoge, die von vielen Fremdwörtern durchzogen sind, behindern den Lesefluss und verringern die Authentizität. Darüber hinaus passt sein formelhafter Sprachstil nicht zu den Charakteren und macht eine Identifikation nahezu unmöglich. Der ständige Wechsel zwischen wörtlicher Rede und dem zusammenhanglosen Gedankenspiel der Protagonistin macht es dem Leser mitunter schwer, der Handlung zu folgen. Außerdem gehen viele Informationen zwischen den Zeilen verloren. Die sprunghafte Innendarstellung steht dabei im Kontrast zur vermeintlich heilen Fassade der Realität.
„Freispiel“ ist laut Platthaus eine sehr persönliche Geschichte. Die Wahl einer Protagonistin habe ihm das Erzählen leichter gemacht. Es ist ihm allerdings nicht gelungen, die nötige Empathie aufzubringen, um seine Protagonisten glaubwürdig darzustellen. Die Widmungen und Danksagungen sind gegebenenfalls mit den Charakteren des Romans in Verbindung zu bringen und lassen autobiographische Hintergründe vermuten. Indem er nach dem ersten und im letzten Kapitel die Erzählperspektive wechselt und diese als auktorialer Erzähler übernimmt, kann er seine Geschichte mit einem gewissen Abstand einleiten und auch sachlich zu einem Ende bringen – aber auch dieser Kunstgriff rettet die Geschichte nicht.
Spannend hätte es sein können: Die Sprache ist allerdings zu verworren, die Handlung kommt nicht in Fahrt, und insgesamt macht der Roman keine Lust auf mehr.