Waldron, Kevin: So ein Zoo, Herr Pipapo!
Ein Zoorundgang mit Missverständnissen
von Natalie Lehnen und Ana Christians (2010)
Eine Eintrittskarte für ein Kind mit seinem Erwachsenen: Fast wie bei einem ganz normalen Zoobesuch beginnt das Bilderbuch „So ein Zoo, Herr Pipapo!“ von Kevin Waldron.
Herr Pipapo, der Zoowärter, ist frustriert, als er seinen morgendlichen Rundgang beginnt. Seine Jacke ist plötzlich zu klein, und er fühlt sich viel zu dick. Er merkt gar nicht, dass er und sein Sohn Pipapaul die Jacken vertauscht haben. Doch im Gegensatz zum Vater weiß der Sohn über die unglückliche Verwechslung Bescheid und beobachtet seinen alten Herrn während dessen Rundgang spitzbübisch aus dem Hinterhalt.
Versunken in Selbstgespräche wandert Herr Pipapo an den Gehegen vorbei. Die Tiere, die er auf seinem täglichen Rundgang versorgt, fühlen sich durch seine Bemerkungen angesprochen, denn unglücklicherweise beklagt sich Herr Pipapo meist über Dinge, die auch auf die jeweiligen Tiere zutreffen könnten - und so nehmen die Missverständnisse ihren Lauf. Das Nilpferd ist beschämt über sein Gewicht, und die Pinguine befürchten plötzlich, ungesundes Essen zu sich zu nehmen. So setzt Herr Pipapo seinen Rundgang fort, und sowohl er als auch die Tiere bekommen immer schlechtere Laune und versinken in Selbstmitleid.
Erst als Herr Pipapo auf seinen Sohn trifft, hellt sich seine Gemütslage schlagartig auf: Pipapaul hat ja seine Jacke an! Seine Klagen waren also ganz ohne Grund! Der Jackentausch versetzt Herrn Pipapo sofort in bessere Stimmung.
Freudestrahlend und glücklich mit der Welt läuft er ein weiteres Mal an den Tiergehegen vorbei. „Sieh an, du bist doch nicht so dick“, ruft er freudestrahlend am Nilpferdgehege, und das Nilpferd ist erleichtert. Auch die Pinguine können wieder entspannt ihr Essen genießen. Herr Pipapo ist sehr zufrieden, und da die Tiere seine Selbstgespräche wieder missverstehen und erneut auf sich beziehen, hellt sich auch ihr Gemüt auf.
Aus seiner guten Laune heraus nimmt Herr Pipapo sich vor, nicht immer gleich an das Schlimmste zu denken. Doch kaum hat er diesen guten Vorsatz gefasst, bemerkt er, dass seine Schlüssel nicht in seiner Tasche sind, und er beschuldigt fälschlicherweise die Affen, sie ihm entwendet zu haben. Dass er auch hiermit wieder schiefliegt, zeigt das Schlussbild: Pipapaul hat die Schlüssel in seiner Kinderjacke gefunden.
Das Bilderbuch, dessen Text sich durch kurze, knappe, aber doch recht komplexe Sätze auszeichnet, überzeugt durch seine Malerei im Retrostil und die verschiedenen Blickwinkel, die dem Betrachter ermöglicht werden. Die Bilder sind teilweise silhouettiert, teils flächig ausgeführt, und auf jeder Seite findet sich ein neues Arrangement. Mal ist nur eine Seite mit einem Bild ausgefüllt, mal bedeckt ein großer Bildausschnitt eine Doppelseite. Das Ganze wirkt wie eine riesige Collage, die stimmig zusammengesetzt ist. Man wird so aus üblichen Sehgewohnheiten gerissen und muss jede Seite neu entschlüsseln. Auch die Schriftzüge und Schriftarten sind typographisch und in ihrer Linienführung ganz unterschiedlich. Mal stehen sie schräg am Bilderrand, ein anderes Mal direkt mitten auf der Seite. Die Schrift schlängelt oder windet sich, ist hier riesig groß und dort ganz klein. Damit wird der Text Teil der Bildgestaltung. Zusätzlich laden kleine Details, wie eine schwarze Katze, die Herrn Pipapo auf seinem Rundgang begleitet, oder auch Pipapaul, der seinen Vater auf einigen Bildern versteckt beobachtet, zum erneuten Betrachten ein und fördern die Beobachtungsgabe des Kindes. Außerdem kann Pipapos Rundgang vom Kind vorne und hinten auf den inneren Umschlagseiten in einer skizzierten Übersicht noch einmal nachverfolgt werden.
Kevin Waldron, der Autor und Illustrator des Bilderbuches, „Mr. Peek and the Misunderstanding at the Zoo“, so der Originaltitel, wurde für sein Erstlingswerk 2009 mit dem Bologna Ragazzi Award in der Sparte „Opera Prima“ geehrt. Zusätzliche Informationen über den Autor und seine Arbeiten erhält man auf Waldrons Homepage: http://www.kevinwaldron.co.uk/
„So ein Zoo Herr Pipapo“ ist in vielerlei Hinsicht ein wirklich außergewöhnliches Bilderbuch, das aber für jüngere Kinder - der Verlag empfiehlt das Buch ab fünf Jahren - und auch für deren vorlesende Eltern eine Herausforderung darstellt. Um dieses Bilderbuch verstehen zu können, bedarf es der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, und ohne erwachsene Hilfe dürfte das Buch für Kinder in diesem Alter kaum zu verstehen sein. Dennoch lebt dieses Werk gerade von seiner Komplexität in seinen Bildern und Schriften, sodass es sich von den üblichen Bilderbüchern unserer Zeit abhebt.