Baltscheit, Martin: Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor
Montag, Mittwoch, Dienstag, Freitag, Samstag
von Lisa van Treeck (2010)
Der kluge Fuchs weiß alles, was ein Fuchs wissen sollte. Gerne gibt er seine Weisheit und alle Tricks, die man zum Überleben braucht, an die jungen Füchse weiter, zum Beispiel, wie man den Hunden des Jägers entkommt oder sich einen leckeren Hühnerbraten macht. Mit zunehmendem Alter jedoch beginnt er, manches zu vergessen. Als erstes verwechselt er Wochentage und Termine, dann weiß er nicht mehr, was er gerade gedacht hat, findet sein Zuhause nicht, vergisst zu jagen und weiß schließlich nicht einmal mehr, wer er überhaupt ist.
In einer ganz unkonventionellen Art und Weise schafft es Martin Baltscheit, den Kindern, die sein neues Bilderbuch „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“ lesen oder vorgelesen bekommen und sich die eindrücklichen Grafiken ansehen, seine Geschichte auf verschiedenen Ebenen nahezubringen. Wie der Fuchs zunehmend durcheinandergerät, wie ihn seine neue Situation manchmal bedroht, all das wird in den Bildern und sogar der Typographie deutlich.
Zu Beginn des Buches sind die Typographie und die Bilder strukturiert und regelmäßig, zunehmend zeigt sich dann jedoch die Verwirrung des Fuchses in Schriftbild, Schriftgröße, Anordnung und Gegenüberstellung von Bild und Text. Helle und dunkle Farben spiegeln die Gefühle wider, besonders Rot und Schwarz verdeutlichen auch typographisch die Situation des Fuchses. Sogar die Seitenzahlen, die zunächst noch in korrekter Reihenfolge angegeben sind, geraten immer mehr durcheinander, bis sie – völlig sinn- und ordnungslos eingesetzt – Einblick in die Gefühls- und Verstandeswelt des Fuchses gewähren. Baltscheit schafft dadurch eine außergewöhnliche Kohärenz, die dem Bilderbuch seine Individualität und Eindrücklichkeit gibt. Es wird zu einer ganz besonderen Erfahrung, in die Geschichte und das behandelte Thema einzutauchen. Dabei machen die starken, aber dennoch gedeckten Farben, die sehr detailreichen, humorvoll gestalteten Situationen es lohnenswert, dieses Buch nicht nur einmal in die Hand zu nehmen – zumal sich nicht alle Handlungsmomente auf den ersten Blick erschließen. So zum Beispiel erscheint es vielleicht erst rätselhaft, wie der Fuchs den Hunden des Jägers entkommt. Beim genauen Hinsehen entschlüsselt sich dieses Geheimnis jedoch.
Wie ein achtungsvoller Umgang der Umgebung mit einem an Demenz Erkrankten aussehen könnte, entwirft Baltscheit zum Ende seiner Geschichte: Der Fuchs wird nicht allein gelassen mit seinem Problem. Er weiß zwar nicht mehr, wer er ist, und auch, wenn er von seinen ehemaligen Opfern ausgelacht wird, kann er sich doch geborgen fühlen. Denn die jungen Füchse kümmern sich liebevoll um ihn und erzählen ihm ihre Geschichten. Gut, dass sie zuvor so viel von dem alten Fuchs gelernt haben. Somit ist nicht nur das Altwerden an sich, sondern auch das Zusammenleben der Generationen ein Thema dieses Buches.
Sicher nicht von ungefähr hat sich Baltscheit gerade den Fuchs als Protagonisten seiner Geschichte gewählt, der auch schon jüngeren Kindern aus Zeichentrickfilmen, Tiererzählungen und -fabeln als schlau, listig und nur auf seinen Vorteil bedacht bekannt sein sollte. An diese Vorkenntnis kann Baltscheit anknüpfen und sensibel verdeutlichen, was es bedeutet, den 'Verstand zu verlieren', wenn man zuvor sehr viel wusste. Manche Tiere lachen den vergesslichen Fuchs aus und verlieren ihre Achtung. Die Würde des nun Weißbärtigen wird jedoch bewahrt, und der Leser oder Zuhörer kann mit ihm fühlen, so wie die jungen Füchse es tun.
Baltscheit nähert sich in dem von ihm geschriebenen und gezeichneten Bilderbuch einem Thema, das für die Kinder unserer Zeit eine besondere Brisanz hat. Der respektvolle Umgang mit dem Altwerden des nahen Umfeldes, eventuell der Demenz von Urgroßeltern oder Großeltern wird auf Grund des demographischen Wandels verstärkt zu einer Aufgabe in fast jeder Familie.
Der Autor behandelt seinen Gegenstand mit Wärme, Humor und dennoch der nötigen Ernsthaftigkeit und schafft es durch die außergewöhnliche Mehrschichtigkeit seines Buches, ihn für Kinder greifbar zu gestalten und sicherlich auch Erwachsene zum Nachdenken anzuhalten. Somit ist diese fabel-hafte Geschichte, die es übrigens auch in einer sehr schönen Filmversion gibt, nicht nur für Kinder ab vier Jahren empfehlenswert. Man wird sie so schnell nicht vergessen.