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McGowan, Anthony:
Der Tag an dem ich starb
Aus dem Englischen von Katarina Ganslandt
Ravensburg: Ravensburger 2009
256 Seiten
16,95 €
Ab 14 Jahren
Jugendbuch

McGowan, Anthony: Der Tag an dem ich starb
Gewalthaft – Gewaltig
von Jane Eschment (2010)

„Keiner gibt zu, dass er Angst vor dem Tod hat. In Büchern und Geschichten machen die Leute sich über den Tod lustig und tun so, als wäre Sterben kein großes Ding. Also, ich habe Angst vor dem Tod. Angst davor, dass mein Körper stirbt. Dass meine Seele stirbt. Davor, dass der Tod mich jetzt hier finden könnte, hier auf der Zigeunerwiese.“

Angst und Tod: Diese symbolgeladenen Wörter durchziehen Anthony McGowans Jugendbuch „Der Tag an dem ich starb“ wie ein roter Faden. Bereits der Titel in Verbindung mit der glänzenden, von tiefroten Blutstropfen bespritzten Messerklinge auf dem Einband lässt einen dunklen, unwiderruflichen Ausgang der Geschichte erahnen.

An Pauls Schule vergeht kein Tag, an dem physische und psychische Gewalt nicht den Alltag diktieren. Angst, Schamgefühl und Demütigungen prägen die vorherrschende Atmosphäre. Kinder und Jugendliche werden in Opfer und Täter gespalten, doch ob man zur schlagenden oder geschlagenen Seite gehört, kann sich willkürlich ändern. Die Versuche der Lehrer, dem Sog der Gewalt etwas entgegenzusetzen, werden, wenn sie überhaupt unternommen werden, müde belächelt. Verschließen die einen zunehmend machtlos ihre Augen, bedienen sich andere Kollegen längst selbst der Mechanismen von Schikane und Demütigung. Nur von zwei Jungen scheint an diesem Ort eine gewisse Ruhe auszugehen, die jedoch ambivalenter nicht sein könnte. Der eine, Roth, hält die Zügel der Gewalt in der Hand: Gehört man zu seiner Seite, hat man möglicherweise eine Chance, der Opferrolle zu entgehen, indem man zu seinem Handlanger wird. Er hat es nicht nötig, selbst als Schläger aufzutreten, denn er ist intelligent und manipulativ. Er weiß diese Eigenschaften subtil einzusetzen, um andere für seine Zwecke zu missbrauchen.

Auf der anderen Seite steht Shane, ein Mitglied der „Freaks“. Diese bleiben auch in den Pausen abseits der anderen Schüler, unterhalten sich über Bücher, Musik und Computerspiele. Durch ihre Ruhe und bewusste Abgrenzung befremden und faszinieren die „Freaks“ zugleich. Zwischen diesen Charakteren strauchelt der Ich-Erzähler Paul, ein halbwüchsiger Junge auf der Suche nach seiner Identität, nach Freundschaft und Anerkennung. Mit dem Bewusstsein, ein Verlierer zu sein, fühlt er sich magnetisch von beiden Polen angezogen. Sehr skeptisch freundet sich Paul mit den „Freaks“ an und schafft es kurzfristig, einen neuen, selbstbewussteren Weg zu gehen, doch das Misstrauen bleibt. In einem schwachen Moment gelingt es Roth, auf perverse Art und Weise Pauls Anerkennung für sich heraufzubeschwören und ihm zu schmeicheln. Paul ist hin- und hergerissen zwischen dem positiven Gefühl der Anerkennung, die Roth bei ihm auslöst und der puren Angst. Doch er kann Roth nicht widerstehen: Mit dem Auftrag, der feindlichen Gang der Nachbarschule ein Paket zu überbringen, lässt sich Paul für dessen Zwecke benutzen und besiegelt damit auch den furchtbaren Gang seiner persönlichen Geschichte.

Kapitel um Kapitel zieht sich die Geschichte um Paul wie ein feines Netz langsam zu. Mag man zu Beginn noch auf einen Wendepunkt hoffen, macht sich stattdessen zunehmende Beklemmung breit. Der Spannungsaufbau im Buch wird durch eine in die Länge gezogene Katharsis forciert: Eingeschobene kurze Absätze zwischen den Kapiteln beschreiben zeitlupenhaft, abstrakt und methaphorisch Pauls Wahrnehmung, wie das Messer unaufhaltsam immer näher auf ihn zukommt. Jedes Kapitel verkürzt die Zeit bis zum Tod, doch wen das Messer am Ende trifft, bleibt bis zur letzten Seite spannend.

McGowan beschreibt eindringlich, wie aus harmlosem Mobbing brutale Gewalt entstehen kann, wie ein Junge, der auf der Suche nach wahrer Freundschaft ist, mehr aus Versehen in die falsche Clique kommt und in eine Spirale der Gewalt gerät. Dass der Autor aus der Perspektive seines Protagonisten Paul erzählt, vermittelt dem Leser ein authentisches und sehr nahes Bild des gesamten Konfliktes. Vom sprachlichen Klang eher klar und einfach geschrieben, passt McGowan seine Geschichte an den Protagonisten an. Auf die im ersten Kapitel eingesetzte direkte Leseransprache hätte verzichtet werden können, das Buch zieht einen auch ohne dieses stilistische Mittel in seinen Bann.

„Der Tag an dem ich starb“ ist nicht nur für Jugendliche ein interessantes, nervenaufreibendes und nachwirkendes Buch über das medial oft plakativ präsentierte, hier jedoch in hoher literarischer Qualität behandelte Thema der Kriminalität an Schulen. McGowan gelingt durch die Demaskierung des Bösen als Schwäche und Angst die Gratwanderung, ein Buch über und gleichzeitig gegen Gewalt zu schreiben. Die von Katarina Ganslandt treffsicher übersetzte Geschichte zeigt realistisch, wie schnell Unschuldige zu scheinbar Schuldigen werden und wie sehr der Wunsch nach Zugehörigkeit und der Versuch, nicht zum Außenseiter zu werden, ein Teenager-Leben dominieren können. Ein Jugendbuch mit Thriller-Atmosphäre. Absolut lesenswert!

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