Kreitz, Isabel: Pünktchen und Anton. Ein Comic von Isabel Kreitz
Ein Klassiker in Bildern
von Julia Baur und Karen Schlüter (2010)
„Ob wirklich alles so passiert ist oder nicht, ist egal … Wahr ist eine Geschichte dann, wenn sie genau so, wie sie berichtet wird, wirklich hätte passieren können!“
Luise, alias Pünktchen, ist ein hilfsbereites, phantasievolles und aufgewecktes Kind, das sich stets für die Bedürfnisse anderer einsetzt. So hilft sie nicht nur ihrem Kindermädchen, sondern ist ebenso bemüht, ihrem Freund Anton in schwierigen Situationen beizustehen. Denn Anton hat es nicht leicht und muss mit seiner Mutter, mit der ihn ein inniges Verhältnis verbindet, ums tägliche Überleben kämpfen.
Pünktchen stammt aus einer gut situierten Berliner Familie. Als Tochter eines angesehenen Bahndirektors und einer auf gesellschaftliches Ansehen fixierten Mutter scheint sie sich in ihre Rolle zu fügen und akzeptiert den Umstand, mehr Zeit mit ihrem Kindermädchen als mit ihren Eltern zu verbringen. Ohne zu ahnen, welches düstere Geheimnis ihre Kinderfrau wahrt, hilft Pünktchen dieser dabei, auf der Straße zu betteln. Erst durch Anton kommt das Geheimnis ans Licht, und Schlimmeres kann verhindert werden. Die beiden Kinder können sich in jeder Lage vertrauen, keines der beiden würde das andere verraten. Stets versuchen sie, die Geheimnisse des anderen zu bewahren.
Isabel Kreitz' Comic erzählt die bekannte Geschichte von Erich Kästner, die genau so hätte geschehen können. Sie handelt von Freundschaft und Verrat, von Vertrauen und Misstrauen und von der Diskrepanz zwischen Armut und Reichtum. Während für Pünktchens Mutter Geld und gesellschaftliches Ansehen von immenser Wichtigkeit sind, macht Pünktchen hierbei keinen Unterschied.
Isabel Kreitz ist eine der bekanntesten deutschen Comiczeichnerinnen und wurde bereits 1997 mit dem deutschen Comic-Preis sowie 2008 mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Sie vermag es, mit ihren detaillierten Zeichnungen den Betrachter in die Geschichte hineinzuziehen. Die Emotionen der Protagonisten macht sie durch Körpersprache, Licht und Schatten mehr als deutlich und schafft so eine Ebene, auf der man nicht nur mitfühlen, sondern auch Partei ergreifen kann. Ihre liebevollen Zeichnungen orientieren sich stark an Walter Triers Illustrationen. Seit „Emil und die Detektive“ gestaltete Trier viele Kinderbücher Kästners mit seinen an der Karikatur geschulten Zeichnungen, deren Stil von Isabel Kreitz zu großen Teilen übernommen wird. So orientiert sich die Comiczeichnerin an Triers Farbauswahl des Umschlagbildes, an den für die Figuren charakteristischen Merkmalen, übernimmt beispielsweise Kleidungsstücke und modernisiert diese durch ihre abgerundeten Zeichnungen, während Trier sich eines eher kantigen Zeichenstils bediente. Wer bereits Kästners Werk gelesen hat, erkennt auf Anhieb Figuren der Erzählung wie z. B. Pünktchens Vater. Dabei setzt Kreitz durchaus eigene Akzente. Während beispielsweise Trier auf dem Umschlagbild die Freundschaft zwischen Pünktchen und Anton in den Vordergrund rückt, zeigt Kreitz die beiden Kinder mitten bei einem übermütigen Schabernack.
Die Zeichnungen greifen auch auf filmische Einstellungen zurück, durch die einzelne Handlungsabläufe aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt werden. Auf diese Weise erschließt sich dem Betrachter eine Vielzahl von Details, die den Bildern mehr Leben und Dynamik verleihen. Die Anordnung der einzelnen Panels ist einfach gestaltet. Meist befinden sich auf einer Seite fünf bis sechs Panels. Nur auf wenigen Seiten, auf denen eine bestimmte Stimmung oder ein bestimmter Ort genauer erfasst werden soll, nehmen einzelne Panels eine halbe Seite ein.
Die Einarbeitung der von Kästner übernommenen Textelemente erfolgt in Sprechblasen, welche je nach Bedeutung verschiedene Formen aufweisen. In einem Panel wird z. B. die Emotionalität der Situation besonders stark hervorgehoben. Freude, Erleichterung, aber auch Reue sind hier so übermächtig, dass Isabel Kreitz diese in Sprechblasen festgehalten hat, die am unteren Rand so verlaufen aussehen, als seien sie Tränen, die heruntertropfen. Und wenn man sich den Sachverhalt näher anschaut, fällt es nicht schwer, diese Gefühle mitzuempfinden.
Wie schon bei der Comicversion von Kästners „35. Mai“, gelingt es Kreitz auch bei „Pünktchen und Anton“, dem Werk durch ihre Zeichnungen manch neue Seite abzugewinnen, auch wenn sie sich sprachlich eng an Kästner anlehnt. Hauptsächlich verwendet sie dessen direkte Rede und überträgt seine Sprache möglichst wortgetreu in die Sprechblasen, wobei sie sich nicht scheut, auch für die damalige Zeit typische Begriffe und Wendungen zu benutzen, die nicht mehr zum aktuellen Sprachgebrauch gehören. Kästners heute pädagogisch doch recht antiquiert wirkenden „Nachdenkereien“, in denen er den Leser direkt anspricht, Vorangegangenes zusammenfasst und zum Nachdenken anregen will, entfallen bei Kreitz. Lediglich die Einleitung nach Kästner fließt in Ansätzen mit ein, wobei Kreitz mit einem eleganten Schlenker auch Triers Originalumschlag in Erinnerung ruft. Die Erzählung folgt ganz den Ereignissen bei Kästner und ist ebenso schlicht strukturiert, was sich auch in der regelmäßigen Anordnung der Panels ausdrückt. Geschickt werden so die Zeichnungen in den Mittelpunkt der Bearbeitung gerückt.
Themen wie Freundschaft, Familie, Vertrauen und gegenseitige Hilfe sind zeitlose Gegenstände unserer Gesellschaft. Selbst wenn die Geschichte von Pünktchen und Anton in den 1930er Jahren spielt, verliert sie dennoch nicht an Aktualität. Dass Isabel Kreitz in ihrer gelungenen Comicadaption durchaus ‚historisierend‘ vorgeht, zeigt, dass mediale Umsetzungen von Kästners Kinderbüchern auch ohne Unterwerfung unter den momentanen Zeitgeist und aktuelle ästhetische Moden ‚funktionieren‘.