Sammelrezension „Schöne heile Modelwelt“
Hanika, Beate Teresa: Erzähl mir von der Liebe / Bongartz, Barbara: TOPmodel. Bruchstücke einer Karriere
Schöne heile Modelwelt
von Felix Giesa (2010)
Auf einmal wollen alle Mädchen Models werden. Das war nicht immer so, früher einmal, da waren Models die ungekrönten Königinnen der Modewelt, zu denen man aufschaute, die man anhimmelte. Niemand stellte sich ernsthaft vor, es mit der Auermann, der Crawford oder auch der Schiffer aufnehmen zu können. Noch früher, als das Model noch Mannequin hieß, stand zwar das Vorführen, als die Präsentation der Ware, im Vordergrund, aber die Frauen waren bereits unnahbare Diven, denen man zu Füßen lag, Suzy Parker etwa.
Mit Klums „Germanys Next Topmodel“-Sendung wird neuerdings wirklich jedem Mädchen suggeriert: ‚Auch Du kannst es schaffen!‘ Wie viele es tatsächlich wollen, das sieht man alljährlich in der je neuen Staffel „Topmodels“. Auch in der Kinder- und Jugendliteratur wird diesem Wunsch nachgespürt; allerdings sind die Produkte in diesem Sektor eher Massenware. Aktuell liegen jedoch zwei Bücher ums Modelsein vor, die eigentlich keine Jugendbücher sind und vielleicht gerade deswegen für Jugendliche geeignet sind. So unterschiedlich die Anlage der beiden – das erste ist eher Gesellschaftssatire, das zweite hingegen ein pointierter psychologischer Roman –, einig sind sie sich in ihrer Abrechnung mit der scheinbar heilen Modelwelt.
Barbara Bongartz‘ „TOPmodel. Bruchstücke einer Karriere“ geht bei der Entlarvung der Castingshows am weitesten. Getarnt als geplante Reportage über Heidi Klum, entwirft die Autorin eine Persiflage des Supermodels und enthüllt die Fernsehsendung in ihrer ganzen Künstlichkeit, ihrer von langer Hand geplanten Inszenierung vom kleinsten Detail bis hin zum großen Zickenkrieg. Der Klum konnte sie sich nicht nähern, berichtet die Erzählerin; da stellt ihr die Autorin kurzerhand eine Konkurrentin zur Verfügung, die besser, aufregender und vielversprechender zu sein scheint als Heidi Klum: Lilli. In der Charakterisierung Lillis zeigen sich überzogen all die Merkmale Heidi Klums, ihre vermeintliche Einfältigkeit ebenso wie ihr enormer Wille und ihre Arbeit hin zum Erfolg. Mit Lilli kann es natürlich kein gutes Ende nehmen, ihr Fall ist tief und endgültig. Doch wie immer in der schnelllebigen und vergesslichen Modewelt ermöglicht dieser Fall einer anderen, Sasha, den kometenhaften Aufstieg. Erzählt ist das alles sehr eingängig in einer spitzen und pointierten Sprache, die vielleicht auch als Gegenpol zur hysterischen Sprache der Castingshow gewählt ist. Die bewusste Schärfe in Bongartz‘ Urteil wirkt wie ein läuternder Schock im Vergleich zu den süßlichen Einlullungen von Klum & Co. Gar nicht so sicher kann man sich nämlich sein, wem es schlimmer ergeht, den gescheiterten und öffentlich verhöhnten ‚Mädchen‘ oder vielleicht doch denen, die den Sprung in die Modelwelt schaffen.
Beate Teresa Hanika beleuchtet die Rücksichtslosigkeit in dieser Welt. Mit „Erzähl mir von der Liebe“ legt Hanika ihren zweiten Roman vor und löst alle Versprechungen ihres Debuts ein. Erschienen ist das Buch bei FJB, Fischers neuem Label für junge (und ältere) Erwachsene. Hanika weiß genau, wovon sie schreibt, ist sie doch selbst jahrelang im Modegeschäft aktiv gewesen, erst als Model, dann als Fotografin. . Ihre Protagonistin Leni lebt mit zwei weiteren Mädchen in einer WG in Berlin, gestellt von ihrer Agentur, die weiß, dass Berlin für Models das Abstellgleis ist. Und dass sie da angekommen ist, darüber ist Leni sich im Klaren – schließlich ist sie ja schon Mitte zwanzig.
Geschickt verflicht Hanika unterschiedliche Zeitebenen in Lenis Erinnerung: ihre Erinnerungen an die frühe Jugend, beinahe noch Kindheit, auf dem elterlichen Bauernhof; einerseits ihre sinnlichen Naturerfahrungen, andererseits die Fremde und besonders die Einsamkeit, die sie zu Hause immer schon empfand, die Hoffnung, in der Ferne ein besseres Leben zu finden. Auf dieser früheren Zeitebene offenbart sich dem Leser eine viel tiefgründigere, in ihren psychologischen Facetten konkretere Leni, als dies in der erzählerischen Gegenwart der Fall ist. Gerade aus der Parallelführung von persönlichem Schicksal und dem Schicksal als Model schöpft die Autorin ihren erzählerischen Antrieb. Besonders in der Gruppe der drei Models wird das deutlich: Alle drei, auch Leni, wirken blass. Nur vermeintlich rekurriert Hanika hier auf Klischees. Die drei ‚Mädchen‘ werden gezeigt, wie sie durch den Modebetrieb geworden sind, verbogen, gebrochen und als wunderschönes Abziehbildchen von ihrer Agentur ins Rennen geschickt. Einsam und verzweifelt müssen alle drei trotz ihrer Freundschaft dennoch bleiben, das Misstrauen ist tief verwurzelt. Von der Liebe können sie sich nur noch erzählen lassen. Dass viele Ausführungen dabei uneindeutig bleiben, ist der erzählerischen Instanz geschuldet, die spätestens zum Ende des Buches vollends unzuverlässig geworden ist.
Eindrucksvoll geschildert ist die Rahmenhandlung, wenn die drei Models von einem neureichen Russen für dessen dekadente Party gebucht werden. Mit dicken Weibern, die sich nackt auf überbordenden Obstschalen räkeln, wird ein starkes Bild griechischer Gelage aufgerufen, und die atemberaubend schönen Mädchen wandeln ein letztes Mal als Göttinnen zwischen den Sterblichen.
Sowohl Bongartz als auch Hanika liefern in ihren Büchern einige prägnante und überraschende Beobachtungen zum Modelbetrieb, welche dem Leser noch den letzten trügerischen Schleier von den Augen reißen. Dabei sollte besonders Hanikas Buch wegen des psychologischen Gespürs und der erzählerischen Gewandtheit besonders hervorgehoben werden.
Leseprobe „Erzähl mir von der Liebe“
Leseprobe „TOPmodel. Bruchstücke einer Karriere“