Lunde, Stein Erik (Text) und Øywind Torseter (Illustration): Papas Arme sind ein Boot
Stiller Trost in Papas Armen
von Inge Gaßmann und Lisa Schneider (2010)
„Es ist stiller, als es je zuvor hier gewesen ist“, denkt der kleine Junge, als er abends nicht einschlafen kann. Sein Vater sitzt im Wohnzimmer am Kamin, auch er kann nicht schlafen. Die beiden trauern, denn die Mutter des Jungen ist gestorben. Doch Papas Arme trösten den Kleinen in dieser schweren Zeit. Warm und geborgen legen sie sich um ihn und lassen ihn nicht mehr los. Bei einem nächtlichen Spaziergang durch die weiße Winterlandschaft, inmitten derer ihr Haus steht, sehen beide eine Sternschnuppe, die ihnen vielleicht einen Wunsch erfüllen wird …
Was sich die beiden wünschen, bleibt ungewiss. Als Beobachter aber kann der Leser es leicht erahnen. Der Blick nähert sich von Seite zu Seite dem Haus und begleitet den Jungen zu seinem Vater ins Wohnzimmer. Man sieht stehengebliebenes Geschirr und das lodernde Feuer im dunklen Kamin. Es vermag den beiden keine Wärme zu spenden. Hier steht ein Kuscheltier, dort eine Schallplatte.
Wie in einem Bühnenbild scheint sich der Leser plötzlich mitten im Leben von Vater und Sohn zu befinden. Die Papierbauten des preisgekrönten norwegischen Künstlers Øywind Torseter geben der Geschichte dazu den nötigen Raum. Es bleibt so viel Platz, dass sich Dunkelheit und Trauer farblich und sinnlich ausbreiten können. Viele Seiten sind in eine kühle weiße Winterlandschaft gehüllt. Sie erzählen, distanziert vom Ich-Erzähler des Textes, ihre eigene leise Geschichte.
Die anfänglich düster gestalteten Räume sind installierte Szenenbilder, die ausgeleuchtet, fotografiert und gekonnt am Computer nachbearbeitet wurden. Meist sind sie in Naturtönen, in Schwarz oder Weiß gehalten. Dagegen leuchten die wenigen Farbtupfer in den Bildern umso mehr. Erst gegen Ende des Buches findet man mehr Licht und warme Farben. Sie stehen sinnbildlich für die Hoffnung und die Wärme, welche langsam wieder in das Leben von Vater und Sohn zurückkehren. Deutlich wird dies insbesondere am nun riesig wirkenden roten Kamin.
Mit einfachen, kurzen Sätzen und in poetischen Worten erzählt Stein Erik Lunde die Geschichte eines großen Verlusts. Er gibt seinen Lesern die Gelegenheit, Vater und Sohn einen Abend lang in ihrem Trauerprozess zu begleiten, ohne dass der Tod der Mutter direkt erwähnt wird. Die beiden versuchen zögerlich, sich in einem viel zu groß gewordenen Zuhause wieder zurechtzufinden. Sie reden über rote Vögel, die nachts schlafen, und über den Fuchs, der währenddessen jagen geht. Als Leser kann man ihn dabei sogar mehrere Seiten lang beobachten. Und wenn die beiden der Großmutter Glauben schenken, schläft jetzt auch die Mutter – wie die roten Vögel.
Das Buch strahlt eine unsichere, bedrückende Stille aus, welche durch die wenigen, aber ausdrucksstarken Farben, die verschneite Winterlandschaft und den kühlen, nächtlichen Sternenhimmel noch unterstrichen wird. Die ganze Atmosphäre wirkt anfänglich bedrohlich: ein dunkel schraffiertes Kinderzimmer, ein blasses steriles Wohnzimmer, alles erscheint lautlos und stumpf, wozu auch die raue Papierbeschaffenheit beiträgt. Die Stille färbt sich jedoch in Geborgenheit, und das Buch erzählt ganz behutsam und leise von der großen Leere des kleinen Jungen und von seinem Vater. Am Ende wärmt der Vater seinen Sohn mit tröstenden Armen.
Das Buch widmet sich auf behutsame Weise der Trauerverarbeitung. Durch die großen Bildräume gibt es genügend Platz für eigene Interpretationen. Es lässt auch kleinen Kinderaugen viel Zeit, um darin zu verweilen. Deshalb kann es als Trostspender empfohlen werden. Allerdings ist es kein bloßes Vorlese- oder Bilderbuch für kleinere Kinder, vielmehr schafft es einen Redeanlass für das schwierige Thema der Trauer. Mit Kindern kann das Buch auch mehrmals angesehen werden, um immer wieder Neues in den detailreichen Bildern zu entdecken. Die Worte und Bilder geben das, was nach einem großen Verlust am wichtigsten ist: Zeit und Raum zum Trauern.