Benedictus, David (Text) und Mark Burgess (Illustration): Pu der Bär. Rückkehr in den Hundertsechzig-Morgen-Wald
80 Jahre später, kein bisschen weiser
von Veith Wacker und Jennifer Kühl (2010)
„‚Er wird alles falsch machen’, sagt I-Ah, ‚jede Wette. Was versteht er denn schon von Eseln?’“ Der britische Autor David Benedictus begegnet diesem Zweifel des Dauer-Pessimisten I-Ah mit Mut und erweckt den honigsüchtigen Pu und seine Freunde aus dem Hundertsechzig-Morgen-Wald nach achtzig Jahren zu neuem Leben. Als bislang Einziger erhielt Benedictus die Autorisierung für eine Fortsetzung der Geschichten um die beliebte Waldbande im Stil von Milnes klassischen Kinderbüchern.
Wie in den beiden „Pu“-Büchern Milnes gibt es auch in der Fortsetzung zehn Kapitel, in denen jeweils ein phantasievolles Abenteuer mit den liebenswerten Figuren erzählt wird. Dabei verrät der Untertitel eines jeden Kapitels bereits, was die Waldbewohner als Nächstes erleben und wer in diesem Kapitel eine tragende Rolle spielt. Denn die titelgebende Hauptfigur Pu ist zwar stets Teil des Abenteuers, ist aber bei weitem nicht der einzige ‚Held’ des Buches.
Ferkel, Oile, Känga, I-Ah, Ruh, Tieger, Kaninchen sowie Christopher Robin, dessen Rückkehr für die Zeit der Sommerferien im Buch geschildert wird, und natürlich Pu begegnen dem Leser genau so wieder, wie Milne sie einst so liebevoll und charismatisch in Szene gesetzt hatte. Doch Christopher Robin ist nun Schüler, und als solcher hat er seinen Spielgefährten viel voraus.
Benedictus hält sich bei der Darstellung der bereits bekannten Tiere stark an die Vorlage Milnes und verspricht diesem im Vorwort: „Deine Träume sind auch die meinen.“ So sind die Figuren nach wie vor bemerkenswert individuell und äußerst liebenswert dargestellt. Sie sind eigentlich keinen Tag älter geworden und weiser erst recht nicht – außer natürlich Christopher Robin. Ferkel ist immer noch ängstlich, I-Ah bläst weiterhin Trübsal, Pu sucht verzweifelt Honig, und Kaninchen sorgt wie eh und je für Ordnung. Jünger geworden sind die Waldbewohner also auch nicht. Um ein paar Tiere erweitert Benedictus den Freundeskreis bei deren Wiederauftritt. So greift Benedictus die inzwischen erfolgte Emanzipation der Frauen auf und entwirft dementsprechend Lotti, das divenhafte Otterweibchen, das den Freundeskreis um Pu aufmischen soll.
In der Fortsetzung erleben Pu und seine Freunde unter anderem einen Buchstabierwettbewerb, sie müssen eine Wassernot zusammen bewältigen, Lotti möchte eine Akademie gründen, sie spielen gemeinsam Kricket, und zum Schluss feiern alle zusammen eine große Abschiedsparty. Die Geschichten sind durchweg unbeschwert und leicht, spielen sie doch alle im Wald und scheinen fernab von Gut und Böse zu sein. Es gibt wenige auffällige Neuerungen, einer deutlichen Weiterentwicklung scheint sich der Autor zu sträuben, was möglicherweise aber auch rechtliche Ursachen hat. Die auffälligste Änderung ist wohl, dass sich die Geschichten verselbständigt haben. Es sind keine Geschichten mehr, die eigentlich Pu erzählt werden, weil der Bär Geschichten über sich am liebsten hört (Band 1: „Pu der Bär“), auch keine Traumgeschichten, die der Erzähler, Christopher Robin und Pu morgens nach dem Aufwachen zum Besten geben (Band 2: „Pu baut ein Haus“). Vielmehr werden Geschichten erzählt, die nicht mehr als reine Phantasieprodukte ausgewiesen sind, denn neben Pu existieren nun auch die uns bereits bekannten Tiere in der Rahmenhandlung außerhalb der Geschichten, und sie helfen dem Erzähler, die Geschichten beim Aufschreiben „richtig hinzukriegen“. Die auftretenden Tiere sind also bei Benedictus keine Phantasiefiguren mehr, sondern ‚richtige‘ Tiere oder zumindest doch sprechende und handelnde Stofftiere. Bei aller Begeisterung für die neuen „Pu“-Geschichten ist gerade diese Wendung doch wenig befriedigend.
Wie schon Milnes Originalbände, so übersetzt Harry Rowohlt auch die Fortsetzung brillant und spricht außerdem das Hörbuch erstklassig mit seiner ausdrucksstarken, sonoren Stimme. Durch seine kreative und bilderreiche Sprache zieht er einen in seinen Bann, so dass die Geschichten den Leser aus dem Alltag heraus in eine andere, sorglose Welt entführen. Für jüngere Kinder könnten die häufig abschweifenden Erzählungen (z. B. über den in unseren Breiten doch weitgehend unbekannten Mannschaftssport Kricket) allerdings irritierend und ermüdend wirken, erfordern sie doch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration.
Unterstützt werden die Abenteuer durch zahlreiche farbige Illustrationen von Mark Burgess, welcher bereits die Illustrationen des ursprünglichen Zeichners E. H. Shepard für eine Neuausgabe kolorieren durfte. Burgess lehnt sich ganz an Shepard an, kaum merklich greift er modernisierend ein, wodurch die Bilder recht glatt und rund erscheinen. Durch die Anlehnung an das Original wirken sie zwar positiv und fröhlich, aber gleichzeitig unmodern und etwas einfältig. Obwohl jede Seite von einem Bild begleitet wird, verleiten diese nicht dazu, länger auf der Seite zu verweilen.
Die Geschichten der Fortsetzung unterscheiden sich in der Thematik und der Sprache kaum von den ursprünglichen Abenteuern und wirken so austauschbar. Benedictus gelingt es jedoch, nach achtzig Jahren die Waldbewohner zu neuem Leben zu erwecken; er bietet damit eine leichte Lektüre für phantasievolle Kinder und Fans des liebenswerten Bären „von geringem Verstand“.