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Titelbild
Paul Maar:
Der Galimat und ich
Bilder von Ute Krause
Hamburg: Oetinger 2015
253 Seiten
€ 12,99 / E-Book: € 9,99
Kinderbuch ab 8 Jahren

Maar, Paul und Ute Krause (Illustration): Der Galimat und ich

Die Tücken des Erwachsenseins

von Kimberly Persel (2015)

Der zehnjährige Jim aus Paul Maars neuem Kinderroman „Der Galimat und ich“ hat nur einen Wunsch: Er möchte so schnell wie möglich erwachsen werden. Doch das ist ein Wunsch mit Folgen.

Jim geht in die vierte Klasse und hat ein „Spezial-Talent“: Er verfügt über ein fotografisches Gedächtnis, mit dem er sich Gelesenes Zeile für Zeile vor Augen führen kann. Seit seinem dritten Lebensjahr lebt er bei seiner Tante Larissa und seinem Onkel Hans-Gert, die den Jungen im Glauben lassen, seine Eltern seien Spione und müssten ständig auf der Flucht sein. Tatsächlich sind sie aber bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen, wie Jim zufällig im Verlauf der Geschichte herausfindet.

Onkel und Tante geben dem Jungen zwar ein behütetes Zuhause, sind ihm gegenüber aber wenig offen und scheuen sich auch nicht, von der besonderen Fähigkeit des Neffen profitieren zu wollen, ja ihn zu instrumentalisieren: Jim soll das gesamte Lexikon auswendig lernen, um an einer Fernsehshow namens „Superwisser“ teilnehmen zu können. In Vorfreude auf den Gewinn hat man bereits ein „Wunschlisten-Heft“ angelegt. „Über die meisten von Jims Wünschen hatte Onkel Hans-Gert die Nase gerümpft. Aber er sagte nichts dagegen. Er durfte Jim ja nicht die Lust am Lernen nehmen. Schließlich ging es um eine Million!“ Tagtäglich werden daher die ‚Lernfortschritte’ überprüft, und für deren Präsentation hat der Onkel strenge Regeln aufgestellt. So muss sich Jim jeden Morgen vor der Schule seine Wurst auf dem Brot erst einmal „verdienen“.

In der Schule zählt Jim wegen seines Talents zu den Außenseitern, denn er hat die unangenehme Marotte, die aus dem Lexikon übernommenen Definitionen bei jeder passenden oder unpassenden Angelegenheit laut auszusprechen. Das nervt sowohl seine Mitschüler als auch seinen Lehrer, sie halten Jim für einen Besserwisser. Vor allem von seinem Klassenkameraden Alexander Wiedehopf wird Jim immer wieder geärgert, und in seinem „Hassfach“ Mathematik muss er ständig zum Aufgabenlösen an die Tafel. Als kleiner, teils auch ängstlicher Junge kann er sich nicht wehren, und daher wünscht sich Jim nicht sehnlicher, als erwachsen zu sein. Erst dann meint er sich Jim an allen „rächen“ zu können – und das will er auch für seinen heimlichen Schwarm Rebekka tun, welche wegen ihrer molligen Figur genauso wie Jim immer wieder geärgert wird.

Eines Nachts wird Jim von einem seltsamen Geräusch geweckt und entdeckt ein kugelförmiges Wesen auf einem seiner Lexikon-Bände. Es ist ein „Galimat“, der sich von „Elektro“ ernährt und sich überall materialisieren und entmaterialisieren kann. Sein Körper besteht aus einer großen Kugel, aus der zwei Antennchen, aber auch Arme und Beine ragen. Außerdem besitzt er mitten auf seinem Kugelkörper einen ‚Nasel‘. Diese Kombination aus Nabel und Nase lässt sich wie ein Knopf drücken, damit sich der Galimat wieder entmaterialisieren kann. Doch leider geht das nur, wenn der Galimat, wie alle Elektrogeräte, aufgeladen ist.

Paul Maar ist bekannt für seine phantasievollen und lustigen Geschichten, und auch in diesem Kinderroman zaubert er den Lesern ein Lächeln ins Gesicht. Erzählt wird die Geschichte nicht von einem Ich-Erzähler, wie vielleicht der Titel „Der Galimat und ich“ vermuten lässt, sondern von einem auf Jim fokussierenden allwissenden Erzähler, der viele Details, wie etwa das Aussehen des Galimaten, genauer erklärt und auch kommentiert. Die zahlreichen, bisweilen vignettenartigen, oft aber auch halbseitigen Schwarzweiß-Illustrationen von Ute Krause wirken cartoonhaft. Mitunter verbildlichen sie humorvoll einzelne Szenen von Maars Geschichte, wohingegen die wiederholte Visualisierung des Galimaten bald ihren Reiz verliert.

Da Jims Galimat noch ein Anfänger im Materialisieren ist, hat er all seine Energie verbraucht und muss nun warten, bis er wieder genügend aufgeladen ist und ihm andere Galimatini aus dem Weltall zur Hilfe kommen. Derweil versteckt sich „Gali“ in Jims Zimmer, die beiden freunden sich an, und Jim erfährt, dass der Galimat nicht nur sich selbst materialisieren kann, sondern auch andere Gegenstände: Es beginnt mit einem Schokoladenkuchen und endet bei einer „EWP“, einer „Erwachsen-werden-Pille“, die Jim, solange er sie nur lutscht, für eine kurze Zeit erwachsen machen kann. Wenn er sie jedoch hinunterschluckt, wird er für immer erwachsen bleiben.

Nachdem Jim eine der Pillen für seinen Streich in der Schule als „Schulrat Dr. Pfeiffer“ eingenommen hat, fühlt er sich aber keineswegs befreit, zumal er sein eigentliches Anliegen – Alexander in die Schranken zu weisen – vor lauter Wutgefühl nicht realisieren kann. „Es ist gar nicht so einfach, erwachsen zu sein.“ Besonders schlimm ist, dass Jims fotografisches Gedächtnis als Erwachsener nicht mehr funktioniert, wodurch ihm all die eingespeisten Begriffe nicht mehr zur Verfügung stehen. Als er dann auch noch erfährt, dass Rebekkas Mutter durch die Trennung von ihrem Mann unter Geldproblemen leidet, erkennt Jim immer mehr, dass Erwachsene genauso Probleme haben wie Kinder auch, ja, dass diese sogar noch schlimmer sein können. Da Rebekka unter dieser Situation am meisten leidet, hilft er ihr und ihrer Mutter, indem er sich mit der letzten Pille als Rechtsanwalt ausgibt, der Rebekkas Mutter den nötigen Beistand leistet. Doch dabei verschluckt Jim die letzte Pille, und so muss er auf seinen guten Freund, den Galimaten, hoffen.

Während sich Pippi Langstrumpf und ihre Freunde Annika und Thomas die berühmten „Krummeluspillen“ einführen, um immer Kinder bleiben zu können („Große Menschen haben niemals etwas Lustiges“), versucht Jim mithilfe der „Erwachsen-werden-Pille“ das Kindsein zumindest zeitweise hinter sich zu lassen. Er muss jedoch erkennen, dass das Erwachsenenleben keineswegs so einfach und sorgenfrei ist, wie er sich das vorgestellt hat, und dass auch das Kindsein seine angenehmen Seiten haben kann. Am Ende findet er sich in der Welt zurecht, er träumt von einer Zukunft, in die er allmählich hineinwachsen wird.

Durch die Verbindung von Spaß, Abenteuer, Situations- und Sprachkomik handelt es sich bei diesem Kinderroman um eine typische ‚Samsiade’. Denn auch Paul Maars Sams konnte mit seinen Wunschpunkten im Gesicht Wünsche erfüllen, und wie in der berühmten Buchserie wird auch in diesem Roman spießbürgerliches Verhalten karikiert – vor allem in Person des Onkels Hans-Gert und des Lehrers mit dem sprechenden Namen Senkel. Aus dem „Sams“ kennen wir auch die – sich hier eigentlich nicht aufdrängende – Unterteilung in Wochentagskapitel mit Unterkapiteln. Und liebte es das Sams zu reimen, so hat der Galimat ein andere Spracheigenschaft: Er wiederholt das letzte Wort seiner wörtlichen Rede, um seinem Gegenüber zu signalisieren, dass dieser nun an der Reihe ist.

Vereinzelt ist Maars Versuch erkennbar, die Geschichte in der Gegenwart anzusiedeln. Wenn dies leider keineswegs authenthisch wirkt, so deshalb, weil Elemente heutiger (Kinder-)Kultur wie z. B. das Internet nur beiläufig erwähnt werden, ansonsten aber keine Bedeutung spielen. Ob manche Idee heute noch zündet, sei dahingestellt. Der Auftritt des vermeintlichen Schulrats etwa wirkt eher wie eine altbackene „Lausbüberei aus der Kleinstadt“ – so der Untertitel von Spoerls „Feuerzangenbowle“ (1933), aus der wohl auch der bekannte Witz vom „Pfeiffer mit drei ‚f’“ entlehnt ist.

Trotz der vielen Parallelen zum „Sams“ eröffnet Maars Geschichte eine neue Welt, in der ein kleiner, lustig aussehender und herzensguter Galimat das eintönige und nicht kindgerechte Leben eines Jungen völlig auf den Kopf stellen kann, so dass dieser das wahre Leben eines Kindes kennen- und lieben lernen kann. Ob Sams-Fan oder nicht: Die Story ist unterhaltsam, lustig und bringt dennoch einige ernste Themen zur Sprache wie das Unglücklichsein in seiner eigenen Haut, wie Lügen, Scheidung und Tod. Ich kann dieses Buch nur empfehlen. 

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