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Jonathan Stroud

Jonathan Stroud

Jonathan Stroud wurde 1970 im englischen Belford geboren. Bereits mit sieben Jahren schrieb und zeichnete er erste eigene Geschichten und entwickelte eine besondere Liebe zur Fantasy-Literatur. Stroud arbeitete zunächst als Lektor für Kindersachbücher, doch nach der Veröffentlichung seiner ersten eigenen Bücher fasset er den Entschluss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Spätestens mit dem Welterfolg der „Bartimäus“-Triologie gelang es Stroud, sich in die Herzen der kleinen und großen Fantasy-Fans zu schreiben. Nun erschien im cbj-Verlag sein neustes Fantasy-Abenteuer „Valley - Tal der Wächter“.

„Valley – Tal der Wächter“

Der junge, abenteuerlustige Hal und seine temperamentvolle Freundin Aud wachsen in der Zeit der Mythen und Sagen in einem weiten Tal, umgeben von tiefen Wäldern und zerklüfteten Berghängen, auf. Nach den Geschichten der Ahnen ist es strengstens verboten, die Grenzen des Tales zu verlassenen, da mächtige und düstere Wesen jeden nur möglichen Ausgang bewachen. Wer sich diesen widersetzt, dem droht die grausame Rache der Talwächter. Doch wie viel Wahrheit steckt hinter diesen generationenalten Legenden? Gepackt von Neugierde und Abenteuerlust beschließen Hal und Aud, das Geheimnis der alten Legenden zu ergründen. – In „Valley – Tal der Wächter“ verbindet Stroud Spannung und Ernsthaftigkeit mit Enthusiasmus und einer guten Portion englischen Humors. Die vielschichtigen und tiefgründigen Figuren der Geschichte bleiben bis zum Ende unberechenbar.

Im Rahmen des 9. Internationalen Literaturfestes lit.COLOGNE vom 12. bis 21. März 2009 wurde auch Jonathan Stroud für eine Lesung gewonnen. Im Arkadas-Theater in Köln-Ehrenfeld veranschaulichte Stroud lebendig und kreativ mit dem Stift in der Hand, wie er sich seine „starken Helden“ in „Valley“ vorstellt. Unterstützt wurde er durch seine „deutsche Stimme“, den Schauspieler Florian Fischer. Im Vorfeld der Veranstaltung hatten Jane Eschment und Felix Giesa von der Les(e)bar-Redaktion die Möglichkeit, den sympathischen Engländer bei frühlingshaften Temperaturen und einer Tasse Kaffee im Rathenau Viertel zu seinem neuen Buch zu befragen und ein wenig auf den Zahn zu fühlen.

1. Hat Ihre Leseerfahrung als Kind Einfluss auf Ihr Schreiben und, wenn ja, in welcher Weise?

Die Bücher, die man als Kind liest, sind diejenigen, die einem für immer am nächsten sind. Auch als Erwachsener liest man natürlich viel, aber die Sachen, die man als Kind liest, beeinflussen einen am meisten. Schon als Kind habe ich immer Fantasy-Geschichten, Mythen und Sagen gelesen. Und alle meine Geschichten haben Elemente davon in sich. Aber ich versuche, sie etwas zu verändern, sodass etwas Neues entstehen kann. „Valley“ baut auf meiner Leidenschaft für nordische Legenden und Sagen auf. Es ist der Versuch, etwas Modernes aus diesen Stoffen zu machen.

2. In welcher schriftstellerischen Tradition würden Sie Ihre Arbeit gerne sehen?

In England gibt es ja eine große Fantasy-Traditon und ebenfalls eine lange Kinderliteraturtradition. Beide Traditionen sind miteinander verwoben, wenn man z. B. an Tolkien, C. S. Lewis und Alan Garner denkt, der in den 1970ern Jahren düstere Geschichten geschrieben hat. Diese und ähnliche Werke haben den Grundstein für Harry Potter gebildet. Ich wäre gerne ein Teil dieser Tradition. Ich würde auch sehr gerne etwas schreiben, was den Leser an frühe Werke wie „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson erinnert. Für mich ist das der Archetyp eines Textes. Eine brillante Kinderabenteuergeschichte – mit Piraten und allem, was dazu gehört. Aber gleichzeitig ist es großartige Literatur, die anständig geschrieben ist. Für mich ist das etwas, an das ich gerne versuchen würde anzuschließen. [Faltet die Hände und tut so, als betete er Stevenson an.]

3. Im Unterschied zu Ihren letzten Arbeiten ist „Valley” in einer ländlichen Gegend angesiedelt, Handlungszeit und -ort sind weit weg von der modernen Zivilisation. War es Ihre Absicht, etwas komplett Unterschiedliches nach der „Bartimäus“-Trilogie zu schreiben?

Ja, es war eine ganz bewusste Entscheidung, etwas ganz anderes auszuprobieren. „Bartimäus“ ist sehr urban, es spielt im heutigen London, es ist allein daher schon sehr modern. Der phantastische Aspekt steht im Mittelpunkt und bestimmt die Handlung, es gibt den Dschinn Bartimäus, eine Menge Zaubersprüche und Verfolgungsjagden. Ich wollte jetzt etwas schreiben, bei dem der phantastische Aspekt eher am Rande der Geschichte vorkommt. Es sollte ein ländlicher und historischer Kontext sein. Also eigentlich klassische Fantasy, aber ich wollte darin etwas Neues schaffen, indem ich mit den Elementen spiele.

4. Sie haben gesagt, dass Sie von alten Mythen inspiriert wurden. Hatten Sie beim Schreiben literarische Vorbilder im Kopf, als Sie an den Figuren in „Valley“ gearbeitet haben? Ich meine da etwa, dass Hal sehr klein und hässlich ist, etwa so wie Alberich, immerzu spielt er seiner Umgebung böse Streiche wie Loki, Sven dagegen ist ein dumpfer Held, ähnlich Conan, dem Barbaren …

Ja, das ist definitiv so. Nach meiner Meinung kann man gar nicht schreiben, ohne an Traditionen zu erinnern. Hal ist ein Schelm, ebenso wie Loki, aber auch so wie Bartimäus. Oder so wie der chinesische Affenkönig Sun Wukong, der auf einer Wolke reitet. Sun Wukong ist ein schelmischer Held, der viel Ärger verursacht, aber trotz allem ein Held ist. Hal ist genau so eine Figur. Und dann hat man diesen Conan-Aspekt, einen machomäßigen Helden. Was ja im Prinzip total langweilig ist. Gut, man hat einen spannenden Kampf, aber das war es dann. Also muss man etwas Interessanteres machen. Ich habe also meine Figur als schwach und heruntergekommen angelegt. Körperlich ist er lausig. Er hat Erwartungen nach dem Motto: „Ich werde einmal ein großer Held!”, und der Leser erwartet, dass genau das passiert. Ich habe mir überlegt, ich führe Hal, und somit den Leser, an der Nase herum.

5. Entstand Hal als komplett neue Figur oder kann man von einer Evolution während des Schreibprozesses sprechen? Ist er eventuell die Quintessenz Ihrer früheren Figuren?

Ja, das kann man so sagen. Zu Beginn war er etwa überhaupt nicht witzig. Ich wollte ja etwas Unterschiedliches zu „Bartimäus“ machen. Also war es am Anfang sehr düster. Hals Onkel wird umgebracht, er war sehr traurig und gefangen in seiner Beklommenheit. Als ich es dann gelesen habe, merkte ich, dass die Figur so nicht interessant ist. Ich habe also bei „Bartimäus“ die Komik entliehen. Und das funktionierte sehr gut, da Hal ja versucht, jemand zu sein, der er nicht ist, und daraus entsteht in sich schon eine gewisse Komik. Nachdem ich bemerkt habe, dass er eigentlich witzige Züge hat, ging das Schreiben sehr viel einfacher. An diesem Punkt gab es also eine sehr fruchtbare Entwicklung.

6. In Ihrem neuen Buch und bereits auch in „Bartimäus” zentriert sich die Handlung um ein Paar ungleicher Figuren. In den „Bartimäus“ Büchern sind das Nathanael und der Dschinn, in „Valley“ haben wir Aud und Hal. Was meinen Sie, worin liegen die Charakteristiken und Stärken Ihrer Figurenpaare?

Für mich liegt das Essentielle meiner Bücher in den starken Figuren, die im Zentrum des Geschehens agieren. Am Rande kann es jede Menge action and sexy magic geben. Aber im Zentrum müssen starke Figuren stehen, die in Konflikt miteinander treten und kämpfen. Sie mögen sich zwar auch, aber das ist natürlich sehr kompliziert. Für mich ist das am spannendsten, und ich glaube, auch für den Leser. Nathanael und Bartimäus sind gegensätzlich: Bartimäus ist chaotisch, anarchistisch, frech, unhöflich und sarkastisch. Nathanael hingegen ist sehr streng, ernst und stolz. Das zeigt sich ja auch in der Struktur des Buches. In den Bartimäus-Kapiteln hat man jede Menge Witze, wohingegen die Nathanael-Kapitel sehr viel ernster sind. Im ganzen Buch geht um diesen Gegensatz. In „Valley” ist das etwas komplizierter. Hal und Aud sind sich teilweise ähnlich, sie sind beide gewitzt und energiegeladen, sie denken kreativ und stecken voller Tatendrang. Sie sind sich sogar ähnlicher, als ihnen bewusst ist. Allerdings möchte Hal die Legenden gerne glauben, wohingegen Aud eher skeptisch ist und den Geschichten keinen Glauben schenkt. Der Unterschied ist, wie sie mit den Geschichten umgehen. Hal liebt es, Geschichten erzählt zu bekommen, und er möchte ein Teil dieser Geschichten werden. Aud hingegen ist davon überzeugt, dass die Geschichten nur erfunden sind. Und so kommt es, dass manchmal Hal Recht hat und manchmal eben Aud. Woraus sich der interessante Konflikt für diese Geschichte ergibt.

7. Ich war sehr von Aud begeistert. Immer ist sie an Hals Seite, wenn er in Gefahr gerät. Sie scheint ein sehr außergewöhnliches und starkes Mädchen zu sein. Würden Sie sagen, dass sie die treibende Kraft der Handlung ist?

Ja, das würde ich schon sagen. Was eigentlich sehr witzig ist, da Hal ja eigentlich die Hauptfigur ist. Doch Aud ist eindeutig die stärkere und klügere Figur, dabei auch sehr sozial, wohingegen Hal seinen Mitmenschen böse Streiche spielt. Aber am Ende des Buches wird er ja doch noch ein guter Führer für seine Gefolgsleute sein. Er schafft es also, ein Held zu sein, indem er lernt, Verantwortung für andere zu übernehmen. Sogar für Menschen, die ihm nicht am Herzen liegen. Aud erkennt von Anfang an, dass er ein guter Mensch ist, er ist zwar kleinwüchsig und irgendwie komisch, doch dem schenkt sie keine Beachtung. Wo alle andere nur darauf achten, ob man stark oder reich ist, schaut sie in das Innere der Menschen, und das macht sie zur Schlüsselfigur. Aud ist toll! Ich mag sie. [Lacht begeistert.]

8. Was haben Sie mit dem Aufbau des Buches, dem Wechsel der einleitenden Legendenfragmente und der eigentlichen Handlung beabsichtigt?

Das ganze Buch handelt ja von Geschichten. Für mich schien es eine gute Idee zu sein, einen Kontrast zwischen der Heldengeschichte und der eigentlichen Handlung zu schaffen. Sven ist ein klassischer Held, von dem man denkt, er sei ein guter Mensch. Aber im Laufe der Zeit merkt man, dass er nicht wirklich ein guter Kerl ist. Er ist zwar stark und mutig, aber dauernd tötet er Menschen; er verhält sich sehr reaktionär gegenüber seinem Gefolge. Die Legenden zu Beginn der Kapitel bieten so einen Hinweis auf das, was Hal in der Geschichte versuchen wird. Nur, dass er immer scheitert. Das wahre Leben ist halt anders als es die Legenden sind. Für mich ist es der größte Spaß zu lesen, wie Hal versucht, Sven nachzueifern.

9. Am Ende der Handlung werden Hal und Aud selber Teil der Legenden, aber Sie geben nicht zu erkennen, um wen es sich bei dem Erzähler der Legenden handelt. Wer ist denn nun eigentlich diese geheime Figur?

Darüber musste ich mir gerade ernste Gedanken machen, da das Buch ins Japanische übersetzt wird. Im Japanischen muss man wissen, um welches Geschlecht es sich bei dem Erzähler handelt, die Sprache macht dies erforderlich.

Die ersten Geschichten werden offensichtlich von Katla oder Onkel Brodir erzählt. Am Ende hingegen muss es jemand anderes sein, da ja etliche Jahrzehnte vergangen sind. Für mich handelt es sich dabei um eine Frau, die ähnlich wie Katla die Geschichten einem kleinen Mädchen zum Einschlafen erzählt. Vielleicht ist dies ja auch ein Kind wie Hal und Aud, die auch wissen möchte, was sich hinter dem Tal verbirgt …? Für mich ergibt sich so eine schöne Kreisstruktur für das Buch.

10. „Valley” heißt im Original „ Heroes of the Valley“ [„Helden des Tals”]. Am Ende wird Halss Held Sven als der Erzfeind enttarnt. Glauben Sie, dass man seine Helden demaskieren muss, um erwachsen zu werden?

Ja, das denke ich schon. Wenn man unter ‚Demaskieren' versteht, dass der Held erfunden ist. Am Ende entpuppt sich Svens Heldentum als Schwindel, und Hal erkennt, dass dies kein Weg ist, dem er folgen sollte. Natürlich sind nicht alle Helden Schwindel. Das Wichtige muss sein, dass man sie hinterfragt und ihnen nicht blind folgt. Wir alle haben ‚Helden‘ wie Politiker, Popstars oder Schriftsteller, von denen wir denken, dass sie toll sind. Aber irgendwann muss man sich fragen, ob sie diesem Ideal wirklich entsprechen. Vielleicht sind sie ja tatsächlich großartig, oder aber sie sind einfach Personen wie wir, mit Stärken und Schwächen, Leute, die ebenfalls Fehler machen. In Bezug auf Geschichten heißt das, dass man nicht einfach alles glauben darf, was sie einem erzählen, sonst läuft man Gefahr, alles zu machen, was sie wollen. Daher sind Aud und Hal für mich solch starke Figuren, weil sie nicht aufhören zu hinterfragen. Manchmal verstehen sie etwas falsch, aber wenigstens versuchen sie, Wahrheiten zu finden. Darum sind sie so gut. [Lacht fröhlich.]

Danke für das Interview!

Fragen und Übertragung aus dem Englischen von Jane Eschment und Felix Giesa.