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Jennifer Gooch Hummer:
Der Sommer, als Chad ging und Daisy kam
Aus dem Englischen von Claudia Feldmann
Hamburg: Carlsen 2014
350 Seiten
€ 17,90 / E-Book € 17,99
Übergangsbuch ab 12 Jahren

Hummer, Jennifer Gooch: Der Sommer, als Chad ging und Daisy kam

Inakzeptanz wie aus dem Bilderbuch

von Philipp Wudtke (2015)

Vor der 13-jährigen Apron liegt ein trostloser Sommer: Noch ist sie nicht über den Tod ihrer Mutter hinweggekommen, und nun wohnt auch noch Margie, die neue Freundin ihres Vaters, in ihrem Haus. Und das, obwohl Apron und Margie, die ein Kind von Aprons Vater erwartet, sich überhaupt nicht ausstehen können. Zu allem Überfluss wendet sich Aprons beste und einzige Freundin Rennie von heute auf morgen von ihr ab, um sich eine neue Freundin zu suchen. All das würde Apron sicherlich zur Verzweiflung bringen, wären da nicht Mike und sein Lebensgefährte Chad, mit denen sich das Mädchen anfreundet. Doch der aidsinfizierte Chad ist todkrank und hat nicht mehr lange zu leben …

Es ist das Jahr 1985. Apron Bramhall steckt in einer schwierigen Situation. Sie trägt noch das Krankenhausarmband ihrer verstorbenen Mutter um ihr Handgelenk, da will ihr Vater schon wieder heiraten. Seine neue Freundin ist die brasilianische Krankenschwester Margie, die zu Lebzeiten der Mutter noch als Pflegerin in der Familie gearbeitet hat. Von Apron wird Margie nur „M“ genannt. M behandelt Apron ziemlich schlecht, und der Verdacht drängt sich auf, dass sie nur mit Aprons Vater zusammen ist, um im Land bleiben zu können. So will M, dass Aprons Meerscheinchen, der „Boss“, verschwindet, wogegen sich Apron mit all ihren Möglichkeiten zu wehren versucht; zeitweise versteckt sie das Tier sogar im Schrank oder in ihrem Zimmer. Aprons Vater, ein vielbeschäftigter Lateinprofessor, bekommt von den Schikanen nicht viel mit oder schenkt diesen nur wenig Aufmerksamkeit. Das Verhältnis zwischen Apron und ihm ist dadurch stark belastet.

Zu Beginn des Romans besucht Apron mit ihrer – noch – besten Freundin Rennie das Musical „Jesus Christ Superstar“. Der Abend verdeutlicht, wie verschieden Rennie und Apron sind. Die Aufkündigung der Freundschaft – Rennie wendet sich stattdessen dem beliebtesten Mädchen der Schule zu – trifft den Leser daher nicht unerwartet. Apron befürchtet nun einen sehr einsamen Sommer. Doch dann lernt sie Mike kennen, der den Jesus im Musical gespielt hat und der sie kurz um Hilfe in seinem Blumengeschäft bittet. Dort trifft sie auch Chad, Mikes Lebensgefährten. Mike, Chad und Apron verstehen sich vom ersten Moment an glänzend, und Apron hat zudem ein Geschick für Blumen. Chad und Mike nehmen Apron so, wie sie ist, womit sie so ziemlich die einzigen sind. Zusehends blüht das Mädchen im Blumenladen auf.

Die beiden schwulen Männer sind sehr aufgeschlossen, offen und hilfsbereit, treffen aber selbst auf eine breite Mauer von Ablehnung: „Manchmal hassen einen die Leute, obwohl man nichts getan hat.“ Trotz der Anfeindungen, die ihnen wegen ihrer sexuellen Orientierung entgegenschlägt, stehen sie zueinander. Mit einer noch kindlichen Naivität und Offenheit betrachtet Apron die beiden und fragt sich so zum Beispiel, ob Chad vielleicht „normal geworden wäre“, wenn er zum Sexualkundeunterricht gegangen wäre. In der Nähe der beiden Männer fühlt sich Apron sehr wohl – ganz im Gegensatz zu dem Leben in ihrem eigenen Zuhause. Chad und Mike müssen ihr gesamtes Geld für teure Medikamente ausgeben und verlieren dennoch weder sich noch ihre Liebe aus den Augen, trotz der Inakzeptanz und des Hasses, der den beiden entgegenschlägt. Sensibel reagiert das Mädchen auf die neuen Erfahrungen: „Ich wollte nicht mehr, dass sie schwul waren. Ich wollte nicht, dass Leute wie Mrs Perry das Gesicht verzogen und sich von ihnen abwandten; ich wollte nicht, dass Mike von einem Fuß auf den anderen trat und sich räusperte, wenn er mit meinem Vater sprach; ich wollte nicht, dass Chad dauernd Witze über sich riss, damit es die anderen nicht tun konnten. Und vor allem wollte ich nicht, dass sie Aids hatten.“

Aprons Vater ist zunächst skeptisch und will seiner Tochter den Umgang mit Chad und Mike verbieten. Er ist unsicher, ob sich Apron nicht vielleicht mit Aids anstecken könnte. Doch Apron kann sich durchsetzen und arbeitet so viel wie möglich im Blumenladen. Dabei unterstützt sie Mike in der schweren Zeit und ist an Chads Seite, als dieser stirbt. Als Chad geht, kommt Daisy, Aprons kleine Schwester, auf die Welt. Erst nach Daisys Geburt erkennt Aprons Vater, welches falsche Spiel Margie die ganze Zeit gespielt hat. Durch diese Einsicht kommen sich Vater und Tochter wieder deutlich näher.

„Der Sommer, als Chad ging und Daisy kam“ spielt in einer Zeit, in der Homosexualität und Aids bei einem Großteil der Bevölkerung Unverständnis und Inakzeptanz, mitunter auch Hass auslöste. Hiermit ist auch Apron konfrontiert, die sich nebenbei mit ihren eigenen alltäglichen Problemen herumschlägt: Die beste Freundin trennt sich von ihr, ihr Schwarm bevorzugt ein anderes Mädchen, ihr Körper verhält sich noch nicht so, wie es bei anderen der Fall ist, und natürlich gibt es zu Hause Probleme mit ihrer Stiefmutter.

Mit einer originellen Idee beginnt jedes Kapitel des Buches, nämlich mit einem Begriff oder Spruch auf Latein, dem eine – mitunter recht freie – Übersetzung nachgestellt ist. Manche Sprüche traktieren Lebensweisheiten, aber auch Humoriges ist dabei wie z. B.: „Si hoc comprehendere potes, gratias age magistro latinae linguae – Wenn du dies lesen kannst, danke deinem Lateinlehrer“. Gerne verschanzt sich Aprons Vater hinter seinen lateinischen Sprüchen, wenn er mit Problemen konfrontiert wird. Auch wenn das Lateinische als Bindeglied zwischen Vater und Tochter dient – Apron notiert sich viele lateinische Sprüche mit Übersetzungen, welche sie im Laufe der Geschichte gar als Grußkarten-Botschaften verwenden kann –, hat es doch ebenfalls eine abweisende Wirkung, da Apron als Sprachanfängerin zahlreiche lateinische Begriffe und Sätze erst noch entschlüsseln muss. Wenn auch wohl ungewollt, baut der Vater auf diese Weise Distanz zu seiner Tochter auf.

Jennifer Gooch Hummer schafft es in ihrem von Claudia Feldmann übersetzten Debütroman, Sympathien für Apron, aber auch für Chad und Mike zu wecken. Wahrscheinlich gerade wegen ihrer ehrlichen, häufig aber aber auch tollpatschigen Art schließt man Apron schnell ins Herz und hofft, dass auf sie ein glückliches Ende warten möge. Auf der einen Seite liest sich der Roman aufgrund der in der Regel kurz gefassten Kapitel der Altersempfehlung (12 Jahre) angemessen und macht das Lesen kurzweilig, andererseits fehlt es ihm durch die oberflächliche Behandlung von ernsten Themen wie Aids und den damit verbundenen schlimmen Folgen an Tiefe. Man könnte einwenden, dass der Roman rein der Unterhaltung diene und daher die Krankheit und die damit verbundenen Folgen sekundär für die Geschichte seien, jedoch verursacht die geschilderte ‚Wahrheit’ durch den Mangel an Tiefgründigkeit und an Willen zur realistischen Gestaltung ein falsches Bild bei der Zielgruppe. Insbesondere werden die Probleme verharmlost – Chad macht noch wenige Wochen vor seinem Tod einen springlebendigen Eindruck, er ist äußerlich kaum gezeichnet –, was einen ganz falschen Eindruck von der tückischen Krankheit und ihrem Verlauf hervorruft.

Die Oberflächlichkeit des Romans zeigt sich außerdem in fehlenden Ausarbeitungen von durchaus interessanten Ansätzen, wie der Frage nach dem Verhältnis zwischen Aprons Mutter und dem Vater ihrer ehemals besten Freundin Rennie. In der Kabine des Schiffs, das Rennies Vater gehört, entdeckt Apron bei einer Fahrt das Bild ihrer Mutter an einer Wand hängend und wundert sich, dass dort nicht das Bild seiner Ehefrau zu sehen ist. Eine Affäre wird von Apron zwar angedeutet, allerdings spielt sie im weiteren Verlauf des Romans keinerlei Rolle mehr, so dass man sich fragt, wozu das Motiv überhaupt eingeführt wurde.

Darüber hinaus ist der Roman übersät von Klischees, wie dem der bösen Stiefmutter und dem homosexuellen Paar, das alle gängigen Vorurteile bestätigt und damit das Schubladendenken fördert. Nur ganz selten gelingt es Hummer, aus einem ironischen Einsatz solcher Klischees Kapital zu schlagen – wie in der burlesken Szene, als Chad und Mike als Mr und Mrs Bramhold in die Schule stolzieren, um ein Gespräch mit Aprons Lehrerin zu führen, da Apron ein richtiges Treffen zwischen ihrem Vater und ihrer Lehrerin unbedingt verhindern möchte.

Durch die sympathischen Charaktere und die skurrilen Momente, die Apron erlebt, ist der Roman zügig zu lesen, in der Gestaltung des Plots und der Erzählanlage wartet er nicht mit Experimenten auf. Er kann so als Zeitverkürzer dienen, der unterhaltsames Lesefutter zur Verfügung stellt, eine nachhaltige Wirkung wird man ihm nicht zuschreiben wollen.

„Der Sommer, als Chad ging und Daisy kam“ ist ein Roman über die Homophobie in den 1980ern, Aids als tödliche Krankheit, die 13-jährige Apron mit ihren persönlichen und familiären Problemen, aber auch über Freundschaft und innige Liebe. Wie im Leben folgen auf Licht- auch Schattenseiten, auf Hochs mal Tiefs, und am Ende zählen nur die harte Realität und der große Wunsch nach mehr Akzeptanz für das Anderssein.

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