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Titelbild
Andy Stanton:
Mr Gum und der Mürbekeksmilliardär
Mit Illustrationen von David Tazzyman
Aus dem Englischen von Harry Rowohlt
Mannheim: Sauerländer 2010
199 Seiten
€ 12,90
Ab 8 Jahren
Illustriertes Kinderbuch

Stanton, Andy (Text) und David Tazzyman (Illustration): Mr Gum und der Mürbekeksmilliardär

Ein einzigartig fieser Kerl 

von Ulrike Zilligen (2003)

Mr Gum hasst Kinder, Menschen, Tiere, Spaß und ist einfach nur ein böser Mensch. Am liebsten verbringt er den Tag im Bett. Er ist der faulste und griesgrämigste Mensch überhaupt und wohnt in einem verwahrlosten Haus. Nur sein Garten ist prachtvoll und ordentlich. Das liegt jedoch nicht an seiner Liebe zur Natur, sondern an einer Fee, die in seiner Badewanne lebt und ihm Schläge mit der Bratpfanne verpasst, wenn er den Rasen und die Blumen vernachlässigt.

Andy Stantons „Mr Gum und der Mürbekeksmilliardär“ ist nach „Sie sind ein schlechter Mensch, Mr Gum!“ das zweite Buch über den fiesen Misanthropen und seine Schandtaten. Sein Opfer ist diesmal das neu zugezogene Mürbekeksmännlein Björn Schneyder. Nicht, dass das Männlein nur ein Milliardär ist, es besitzt Elektromuskeln und trägt seine Milliarden in einer Keksdose umher. Um Freunde zu finden, versucht Björn Schneider Sympathien zu erkaufen und lädt alle Stadtbewohner zu einer großen Rummelplatzfeier ein. Nur hat ihn niemand vor dem fiesen Mr Gum und dem ekeligen Metzger Willi Wilhelm gewarnt. Die beiden nehmen die Einladung natürlich gerne an. Doch ihre Absichten sind nicht so edel, wie sich das der Mürbekeksmilliardär gewünscht hat. Sie legen viel größeren Wert auf dessen außergewöhnliche Keksdose ...

Und schon beginnt ein neues, spannendes Abenteuer, an welchem auch die beiden Helden des ersten Bandes, Polly und Freitag, teilnehmen. Polly ist ein aufgewecktes Mädchen, das die Machenschaften von Mr Gum beobachtet und zu verhindern versucht. Freitag ist zwar schon ein erwachsener Mann, aber dennoch Pollys bester Freund. Er steht ihr immer tatkräftig zur Seite. Während der Feier des Mürbekeksmilliardärs beobachten die beiden, wie die Bösewichte Mr Gum und Willi Wilhelm das kleine Mürbekeksmännlein austricksen, ihm seine Keksdose stehlen und damit fliehen. Sofort wollen Polly und Freitag Björn Schneyder helfen. Doch dieser ist wütend. Aufgrund seiner seltsamen Ansichten über Freundschaft möchte er sich nicht helfen lassen, da er ja nun kein Geld mehr hat. Trotzdem geben Polly und Freitag nicht auf und kommen schließlich durch kuriose Zufälle auf die Spur der beiden Diebe. Diese verbünden sich mit dem übelriechenden Franzosen Monsieur Nabel, dessen Gestank so entsetzlich ist, dass man ihn sogar durch das Telefon riecht.

Kurz bevor die beiden Bösewichte nun auf ihrer Diebestour mit ihrem Komplizen Nabel über das Meer fliehen können, kommen der bereits aus dem ersten Band bekannte Hund Jakob sowie Björn Schneyder Polly und Freitag zur Hilfe. Gemeinsam können sie die Ganoven stoppen, und Björn Schneyder kann seine Keksdose wieder in die Arme schließen. Aber nicht nur das! Er begreift, was wahre Freundschaft ist und dass diese nicht käuflich ist. Stanton tut so, als wolle er diese heilsame Lehre seinen jungen Lesern nur so ganz nebenbei mit auf den Weg geben, dabei ist das ganze Setting durch das völlig übersteigerte Verhalten Björn Schneyders so abwegig, dass zumindest der erfahrene Leser schnell begreift: Hier wird das auch heute immer noch präsente Pädagogisieren im Kinderbuch auf die Schippe genommen und ad absurdum geführt.

Und Mr Gum? Mr Gum hat seine bösen Absichten wieder nicht in die Tat umsetzen können. Vielleicht plant er schon seinen nächsten fiesen Streich?!

Durch aberwitzige und bizarre Vorstellungen beschreibt Andy Stanton die abenteuerliche Welt, in der sich die Einwohner, Helden und Bösewichte von Bad Lamonisch an der Bibber bewegen. Geschickte Sprach- und Wortspiele, absurde Metaphern und unsinnige Wiederholungen geben dieser abgedrehten Nonsense- Geschichte ihr Gepräge. Von dem Angeberhügel über einen Mürbekeksmann mit elektrischen Muskeln, lustige Liedtexte, durch das Telefon stinkende Menschen bis hin zu dem Geist des Regenbogens lässt es sich Stanton nicht nehmen, alle wunderlichen Ideen aufzuschreiben und wortgewandt miteinander zu verknüpfen. Man ist begeistert von jeder einzelnen Figur, und alle haben ihren eigenen beeindruckenden Charakter. Acht seltsame Anhänge in Form von Listen und mit Titeln wie „Frau Lieblichs Lieblingssüßigkeitenzutaten“ oder „Martin Münzwäschereis Lieblingswaschmaschineneinstellungen“ geben nähere Auskunft über Vorlieben und Marotten mancher Bad Lamonischer.

David Tazzyman hat das Buch durchgängig mit recht drolligen, krakeligen und ulkigen Schwarz-weiß-Zeichnungen versehen. Verschiedene Schrifttypen und Schriftgrößen helfen, das Widersinnige der Geschichte in seiner absurden und ironischen Funktion hervorzuheben. Der meist zwölfzeilige Text ist jeweils als Block in die Seitenmitte gesetzt, so dass viel Platz für die Illustrationen bleibt. Mal sind sie in Vignettengröße in den Text eingestreut, manchmal nehmen sie eine ganze Seite ein oder erstrecken sich auch über eine ganze Doppelseite. Es scheint, als hätte das Buch mit seinen vielen verschmierten Grau-Stellen schon zahlreiche kleine, ungewaschene Hände gesehen oder als wäre es Mr Gum persönlich schon mal zwischen die Finger geraten.

„Mr Gum“ ist ein Buch, das man als Kind gerne mehrmals liest. Es hat eine spezielle – von Harry Rowohlt erneut treffsicher ins Deutsche übertragene – Humorebene, die auch für Erwachsene äußerst amüsant ist. Ob die Kinder Stantons Ironie und seine häufig abwegigen Anspielungen wirklich immer verstehen, ist fraglich. Das wird aber die Lesefreude nicht trüben. Stantons ungewöhnliche Art zu schreiben und mit Wörtern umzugehen, hält für Kinder ganz neue Leseerfahrungen bereit.

Zu den beiden bisher erschienenen Büchern gibt es jeweils ein Hörbuch (natürlich vorgelesen von dem unnachahmlichen Harry Rowohlt) und Lieder zum Mitsingen. Gerade wird der dritte Band der Reihe ausgeliefert: „Der entsetzliche Mr Gum und die Kobolde“, ein vierter, „Mr Gum und die Kristalle des Unheils“, ist für den Herbst angekündigt. In Großbritannien sind bereits acht Bände erschienen. Wir dürfen also gespannt sein auf weitere Abenteuer aus Bad Lamonisch an der Bibber.

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