Janisch Heinz und Helga Bansch: Die Brücke
Der Fluss kennt viele Geschichten
von Christina Wax und Barbara Krämer (2011)
An einem Fluss können sich viele Begebenheiten abspielen. Öffnet man das Bilderbuch „Die Brücke“ von Heinz Janisch und Helga Bansch, erhält man einen Blick auf eine schöne, sonnige Flusslandschaft. Man kann eine Mutter beim Baden mit ihrem Kind beobachten, einen Heißluftballon bestaunen, der über das Land fliegt, oder einen Hund betrachten, der einsam am Flussufer liegt.
Über den Fluss spannt sich hoch oben eine Hängebrücke, die zwei Berglandschaften miteinander verbindet. Genau in ihrer Mitte treffen ein Bär und ein Riese aufeinander. Doch die Brücke ist so schmal, dass sie nicht aneinander vorbeigehen können. Für jeden der beiden ist klar, dass er auf keinen Fall umkehren wird. Die beiden diskutieren darüber, wie sie das Problem lösen können, und müssen bald feststellen, dass ihre Vorschläge nicht realisierbar sind, ohne dass einer von ihnen ins Wasser stürzt. Nur wenn sie zusammenarbeiten, können sie ihren jeweiligen Weg fortsetzen. Eng umschlungen drehen sich der Bär und der Riese wie im Tanz umeinander, schaffen es so, aneinander vorbeizugelangen, und können schließlich zufrieden ihrer Wege gehen.
Die Bilder entsprechen durchweg Banschs Illustrationsstil: Die in Pastelltönen gehaltene Landschaft wirkt idyllisch, warm und einladend. Dominierend sind Beige- und Brauntöne, in denen sowohl die Berge als auch der Himmel und der Hintergrund dargestellt sind. Im Kontrast dazu steht die farbintensive Darstellung einzelner Komponenten wie des schwarzen Bären oder des leuchtend türkisfarbenen Flusses. Dabei entspricht die spezifische Farbgebung einzelner Elemente nicht immer der Realität. So bestehen die in die Illustrationen eingeklebten Berge aus unterschiedlichen Materialen wie beispielsweise einer alten Landkarte oder einem einfachen karierten Blatt. Durch belebende Variationen der Illustrationen – Zeichentechniken werden mit Elementen der Malerei verbunden – erhält das Buch ein wenig den Charakter einer anderen Welt, in die man beim Lesen und Betrachten der Bilder eintaucht.
Auf der ersten Seite kann man noch eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente entdecken. Mit fortschreitender Erzählung wird der Blick dann stufenweise immer mehr auf den Disput zwischen dem Bären und dem Riesen verengt. Bansch nähert sich perspektivisch dem Zentralgeschehen, zoomt sich an es heran, bis nur noch die Füße des Bären und des Riesen zu sehen sind. Dann wiederum wechselt sie die Perspektive, lässt die Leser auch aus der Vogelschau auf das Geschehen blicken. In spannenden Augenblicken stellen je zwei oder drei Inserts einzelne Situationen oder Reaktionen genauer heraus. So zum Beispiel kontrastiert eine über anderthalb Seiten angelegte Großdarstellung des zornigen Bären mit drei verschieden hohen, untereinander angeordneten Bildausschnitten am rechten Buchrand, die nacheinander in ganz unterschiedlicher Close-up-Abstufung die missmutigen Augen, das entschlossene Gesicht und den verkniffenen Mund des Riesen zeigen.
Die Geschichte ist einfach: Bär und Riese müssen gemeinsam eine Lösung für ihr Problem finden. Anders als die störrischen Ziegen der Fabel schaffen es die beiden Großen aber, miteinander zu arbeiten. Die gemeinsame Drehung des Bären und des Riesen wird als Sequenz von fünf durch Gutter getrennten Bildern dargestellt, in der jede Neunzig-Grad-Drehung bildübergreifend veranschaulicht wird. Es wirkt beinahe zärtlich, wie die beiden Giganten einen Tanz auf der schmalen Hängebrücke wagen.
Das Bilderbuch ist ein Werk besonders für kleine Kinder, die mit dem Lesen von Bilderbüchern beginnen, und überzeugt durch seine Einfachheit und Klarheit in Bezug auf den Inhalt. Es wird viel wörtliche Rede benutzt, wodurch dem Konflikt zwischen den beiden Hauptfiguren Lebendigkeit verliehen wird. Die in schwarzer Serifenschrift gehaltenen Textblöcke sind auf die Freiflächen der Seiten platziert, jedoch nicht optisch von den Bildern getrennt und schildern ansprechend und gut verständlich das Geschehen, so dass die Situation auch von sehr jungen Lesern gut verstanden werden kann. Der dargelegte Konflikt zwischen dem Bären und dem Riesen bietet die Möglichkeit, Konfliktsituationen und Lösungsstrategien zu besprechen.
Nach der den Höhepunkt der Geschichte markierenden Fünf-Bilder-Sequenz wird wieder ‚zurückgezoomt‘, bis – wie zu Beginn – die ganze Flusslandschaft zu sehen ist. Folglich ist auf der ersten und der letzten Doppelseite nahezu das selbe Bild zu sehen – doch mehrere Details haben sich verändert: Während des Erzählens der Geschichte der Begegnung auf der Brücke haben sich auch andere Geschichten zugetragen. Mit dem Wiederaufnehmen des Anfangsbildes und des einleitenden Satzes schließt sich ein Kreis um die Geschichte vom Bären und Riesen. Der Blick öffnet sich wieder: „Der Fluß kennt viele Geschichten. Er kennt auch die Geschichte von der großen Brücke.“