Nilsson, Frida (Text) und Ulf K (Illustration): Ich, Gorilla und der Affenstern
Affenliebe
von Kirsten Graw (2011)
Im Kinderheim Rainfarn steht eine Adoption an, und alles soll sauber sein. Auch die neunjährige Jonna muss mit anfassen, doch passt es ihr überhaupt nicht, sich die Hände zu waschen und die Bettlaken auszuschütteln. Normalerweise freuen sich die Kinder, wenn die Chance auf eine Adoption besteht. Als jedoch eine riesige Gorilladame aus ihrem Auto steigt, flüchten sie sich in den Schlafsaal. Einen Gorilla möchte schließlich niemand als Mutter haben, und zu Jonnas großem Pech sucht sich der riesige Affe ausgerechnet sie aus. Das Mädchen ist davon gar nicht begeistert, und so gestalten sich die ersten Tage zwischen den beiden denn auch besonders schwierig: Die Gorilladame wohnt auf einem schmuddeligen Schrottplatz, fährt ein altes, verrostetes Auto und hat auch sonst komische, gänzlich ‚unmütterliche’ Eigenarten: Sie ist laut, unordentlich und derb. Jonna, die von einer heilen Familie geträumt hat, ist entsprechend verstört und enttäuscht.
Im Laufe der Zeit nähern sich die beiden dann aber doch an, und zu Jonnas Erstaunen verbringen sie zusammen schöne Tage auf dem Schrottplatz. Jonna kann so sein, wie sie es immer wollte: Die Haare werden nicht mehr gekämmt, die Zähne nicht mehr geputzt, und auch die Kleidung darf dreckig werden. Sie lernt Fahrrad und Auto fahren und hat beim Schrottverkaufen viel Freude. Gorilla kümmert sich sehr mütterlich um Jonna und ist in allen Situationen einfühlsam und mutig für das Mädchen da. Es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden, die sich durch Vertrauen auszeichnet und durch gemeinsamen Spaß und kleine Abenteuer belebt wird.
Diese Beziehung wird allerdings schon nach kurzer Zeit auf die Probe gestellt, da der Bürgermeister – er ist an dem Grundstück interessiert, auf dem der Schrottplatz liegt – Gorilla erpresst. Gorilla und Jonna halten zusammen, doch schließlich wendet sich alles gegen sie. Zwar kennt Jonna Gorillas gutes Herz, doch den öffentlichen Instanzen gilt dies wenig: Jonna muss zurück ins Kinderheim. In dieser scheinbar ausweglosen Situation erinnert sich Jonna an den Affenstern, von dem ihr Gorilla erzählt hat …
Frida Nilsson thematisiert in dieser Entwicklungsgeschichte zweier sehr ungleicher Figuren auch den Umgang mit dem Fremden. Die Autorin schafft es, das Thema aus kindnaher Perspektive zu gestalten. Alle im Buch auftretenden Personen haben eine Abneigung gegen den Gorilla, anfangs auch Jonna. Ihre Beziehung entwickelt sich zwar sehr langsam, dafür aber umso intensiver. Schließlich verbindet Jonna und Gorilla eine innige ‚Affenliebe‘. So sehr Jonna Gorillas Qualitäten erkennt und zu schätzen weiß – den anderen Figuren bleiben sie verborgen. In ihren Augen bleibt Gorilla bis zum Schluss ein schrecklicher Affe.
Die Mutterfigur wird hier als gewaltig und in gewisser Weise auch als gefährlich dargestellt. Doch auch Gorillafell kann gemütlich sein, und Gorilla bemüht sich fürsorglich um ein Pflaster, wenn Jonna sich eine Wunde zugezogen hat. Sowohl Gorillas Mut und Stärke als auch ihre Einfühlsamkeit und Fürsorge sind mütterliche Eigenschaften, die Jonna am Ende sehr zu schätzen weiß. Nilsson vermittelt eben kein traditionelles, sondern ein kritisches und modernes Mutterbild.
Die unterschiedlichen Charaktere werden nacheinander vorgestellt und umsichtig in die Handlung eingepasst. Die zunehmende Vertrautheit von Kind und Gorilla wirkt durch diese einfühlsame Einführung glaubhaft und – trotz des absurden Elements – authentisch. Wo anfangs noch von ‚dem Gorilla’ gesprochen wurde, ist schließlich nur noch ‚Gorilla’ die Rede. Im Laufe der Geschichte nimmt der Affe immer menschlichere Züge an, und der Übergang von ‚Gefahr’ zu ‚Einfühlsamkeit’ wird besonders deutlich. Einen Kontrast zu Gorillas großem Herz und ihrer Ehrlichkeit bietet die Figur des Bürgermeisters, die sich durch Herzlosigkeit und Habgier beim Leser unbeliebt macht. In der Geschichte sorgt dies für zusätzliche Spannung, die auch durch vorausdeutende Kapitelüberschriften geschaffen wird.
Ulf K.‘s comicartige Zeichnungen, die einzelne Szenen und witzige Momente der facettenreichen Geschichte bildhaft darstellen, regen die Phantasie des Kindes an. Bereits auf dem schön gestalteten Cover (ebenfalls von Ulf K.) werden Jonna, Gorilla und der Affenstern eingeführt. Hier sieht man schon, dass es sich bei Gorilla nicht um ein gewöhnliches Tier handelt. Der Leser wird eingeladen, in eine spannende, komische und auch rührende Geschichte einzutauchen, die zu Recht für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 nominiert wurde.