zum Inhalt springen

Titelbild
Stein Erik Lunde:
Wie Liebe, nur anders
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Mannheim: Sauerländer 2011
192 Seiten
€ 13,95
Ab 14 Jahren
Jugendbuch

Lunde, Stein Erik: Wie Liebe, nur anders

Alles andere als Liebe!

von Ann-Katrin Schmieder (2011)

„Alles fing damit an, dass mit Sara Schluss war.“ Das plötzliche Ende der harmonischen Beziehung zu seiner Jugendliebe lässt Roland den Boden unter den Füßen verlieren. Wie im Delirium verlebt er fortan seine Tage und stolpert, bedingt durch Gleichgültigkeit und Sehnsucht, in Lines Arme. Dass er mit Line an seiner Seite allerdings nur halb so gut funktioniert wie mit Sara, wird ihm schnell bewusst: Sprachlosigkeit und Langeweile dominieren die junge Beziehung. Die ersehnte Nähe engt Roland schnell ein und hält ihn davon ab, er selbst zu sein. Auch Lines problembehaftete Familienverhältnisse machen Roland zu schaffen. Warum er es trotzdem ein ganzes „schlimmes Jahr“ (norwegischer Originaltitel: „Et dårlig år“) lang nicht schafft, sich von Line zu trennen, bleibt für den Leser abzuwarten.

Passend zu der deprimierenden Stimmung, welche die Trennung von Sara mit sich bringt, beginnt die Geschichte schwermütig und keinesfalls amüsant. Dem Leser werden die Gefühle des Ich-Erzählers wie offene Karten dargelegt. Auch bei der Beschreibung der anschließenden, emotionslos erscheinenden Passivität Rolands spart der Autor nicht an Worten – detailgetreu arbeitet Stein Erik Lunde die chaotische Gefühlswelt des Protagonisten heraus. Der zeitliche Abstand von vier Jahren zwischen dem erlebenden und dem erzählenden Ich schmälert die Nähe zum Geschehen nicht. So ist es dem Leser ein Leichtes, der Geschichte zu folgen und sich in die Situation einzufühlen. Intime Momente werden ebenso offenherzig geschildert wie die damit einhergehenden Emotionen. Der Autor beschönigt das Geschehene zu keiner Zeit. Der Beginn der Beziehung zwischen Roland und Line ist wohl der Gegenentwurf zu einem Kitschroman, wenn beschrieben wird, wie Line sich nach der ersten gemeinsamen Nacht über Roland beugt, sich aber schnell wieder von ihm „runter rollt“, weil ihm übel wird. Rolands Übelkeit bleibt und manifestiert sich in der melancholischen Grundstimmung des Buches, welcher der Leser gewachsen sein muss. Warum sich der Ich-Erzähler immer tiefer in die ungewollte Beziehung verstrickt, ist durch den gewährten Einblick in sein innerstes Gefühlsleben schnell nachvollziehbar. Rolands Lethargie steigert sich so weit, dass er völlig resigniert und ihm sich bietende Möglichkeiten zum Ausstieg aus der Misere nicht wahrnimmt. So ist es im Endeffekt Line, die ihn für einen autofahrenden Proleten verlässt.

Die irritierend nebensächlichen Kapitelüberschriften sind Ausdruck von Rolands untätiger Gleichgültigkeit; sie reißen den Leser aus dem Lesefluss, stehen aber trotzdem scheinbar zusammenhangslos „neben“ der Geschichte. In der depressiv anmutenden Stimmung sind es Situationskomik und skurrile Momente, die den Leser entlasten, zum Schmunzeln bringen und die schwermütige Thematik deutlich leichter erscheinen lassen.

Zur Schilderung der Handlung bedient sich Lunde einer unverblümten und leicht verständlichen Sprache, die akzentuierte Besonderheiten aufweist, wie etwa lange Aufzählungsketten ohne Kommasetzung. Zu den Raffinessen des Textes gehört es sicherlich, dass der Ich-Erzähler das Geschehene mit dem bereits benannten zeitlichen Abstand in Paris niederschreibt. Durch diese Rückschau wirkt die Geschichte reflektiert und organisiert. Auf der anderen Seite gerät der Leser zunehmend ins Grübeln, ob der Roman, den Roland gerade schreibt, nicht die Geschichte ist, die er gerade liest. Dadurch wirkt die Erzählung stellenweise unzuverlässig und fordert den Leser heraus.

Der Jugendroman ist in drei ineinandergreifende, jedoch formell voneinander abgegrenzte Zeitebenen eingeteilt. Stein Erik Lunde gibt dem Leser einen Einblick in das gegenwärtige Geschehen und schildert die vergangenen Beziehungen zu Sara und Line in unterschiedlich langen Kapiteln. Zusätzlich spickt er die teilweise extrem kurzen Passagen mit unabhängigen, externen Rückwendungen. Mit seinem Erzählen baut Lunde der jugendlichen Leserschaft eine Brücke zu anspruchsvoller Lektüre.

Der norwegische Autor hat innerhalb von etwa 30 Jahren als Schriftsteller schon einige Werke für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene verfasst. Mit „Wie Liebe, nur anders“ richtet sich Lunde nicht nur an diejenigen jungen Menschen, die selbst erste Erfahrungen mit der Liebe gemacht haben und für die das Aus einer Beziehung gleichsam das Ende der Welt bedeuten kann.

Lunde lässt seinen Protagonisten die Geschichte einer verlorenen Jugendliebe erzählen; diese steht im ständigen Kontrast zu der nicht funktionierenden Beziehung zu Line, weshalb der Roman schlussendlich wenig eigentliche Liebesgeschichte enthält. Der Kontrast von Enge und Nähe, von leerem Sex und Liebe und nicht zuletzt von Vertrauen und Selbstbetrug macht dieses Jugendbuch zu dem, was es ist: eine Geschichte über das Verlieren, aber auch über das Wiederfinden.

Leseprobe