Clément, Claire: Opa sagt, ich bin sein Glückskind
Opa wird entführt
von Laura Struwe (2011)
Fannys Opa ist ein lebenslustiger Mensch. Regelmäßig trifft er sich mit seinen Freunden zum Skatspielen im „Dolce Vita“ oder arbeitet in dem kleinen Gärtchen, das die Familie gepachtet hat. Stets wird er von seinen beiden Enkelkindern, der Fünftklässlerin Fanny und ihrem kleinen Bruder Theo, dorthin begleitet. Hier können sie dem stressigen Alltag der Stadt entkommen und die Schönheit der Natur erleben. Die beiden Kinder bewundern nicht nur die Fähigkeit ihres Opas, mit den Sonnenblumen sprechen zu können, die ihn auch wirklich zu verstehen scheinen, er beeindruckt sie auch mit seinen wunderbaren Gedichten und den kleinen Rätseln, die er immer wieder neu für sie erfindet.
Doch als eines Tages Oma plötzlich nicht mehr aus ihrem Mittagsschlaf erwacht, ändert sich alles. Der Schmerz von Fannys Opa über den Tod seiner Frau ist so groß, dass er nicht einmal weinen kann und es ihm buchstäblich die Sprache verschlägt. Von diesem Zeitpunkt an sitzt er nur noch in seinem Sessel und starrt Omas Foto an. Nichts nimmt er mehr wahr, weder den herabwürdigen Umgang seiner neuen Pflegerin, noch Fannys unermüdlichen Einsatz, ihm die Freude am Leben zurückzugeben. Er ist „von innen gestorben“, wie es Fanny beschreibt.
Schließlich sieht ihre alleinerziehende Mutter keine andere Möglichkeit mehr, als den Großvater in ein Pflegeheim zu bringen, wenn sich sein Zustand nicht bessert. Doch hier, so befürchtet Fanny, würde sich seine Hilfsbedürftigkeit nur noch verstärken. Deshalb beschließt sie, ihren Opa zu ‚entführen‘ und ihn in einem abgelegenen Eisenbahnwaggon unterzubringen, bis er wieder gesund wird. Unterstützung findet sie bei dem obdachlosen Bommel, der schon länger in dem Waggon haust und sich bereit erklärt, sich während ihrer Abwesenheit um den Großvater zu kümmern. Trotzdem birgt Fannys Rettungsaktion auch große Gefahren: Kann sie Bommel wirklich vertrauen? Wird ihr Opa bei der Kälte nicht krank werden? Und schafft sie es, ihn regelmäßig mit Essen zu versorgen, ohne dass ihre Mutter oder die Babysitterin Yasmina etwas bemerken? Aber Fanny ist schließlich nicht umsonst „Opas Glückskind“ ...
Claire Cléments kleiner Roman über einen Großvater, der dank der Liebe seiner Enkelin Fanny wieder ins Leben zurückfindet, ist eine Geschichte über wesentliche Fragen des Lebens: die Bedeutung von Freiheit und die Schwierigkeit, von einem geliebten Menschen loszulassen. Es ist ein Buch über Trauer und Verlust, den Umgang mit verzweifelten Menschen und über die Stärken der Schwachen unserer Gesellschaft – der Kinder, Alten und Obdachlosen.
Der Roman ist aus der Sicht der Hauptprotagonistin, der neunjährigen Fanny, geschrieben. Ihre entschlossene, manchmal auch etwas vorlaute Art machen sie äußerst sympathisch. Anstatt tatenlos zuzusehen, wie ihr geliebter Opa in ein Altersheim abgeschoben wird, greift sie zur Selbsthilfe und entführt ihn trotz aller Risiken, die dies mit sich bringt. Langsam beginnt sie zu verstehen, wie sich ihr Opa fühlen muss. Denn auch sie hatte schon mal Liebeskummer, bei dem es sich so anfühlte, als hätte man ihr Herz betäubt. So weiß sie auch, dass ihr Opa etwas braucht, was ihn anregt, und kein Heim, in dem er seine Selbstständigkeit ganz verlieren wird. Am Ende soll sie schließlich Recht behalten und für ihre mutige Entscheidung belohnt werden.
Claire Cléments Buch „Opa sagt, ich bin sein Glückskind“ wurde in Frankreich mit dem Prix Chronos ausgezeichnet. Dieser Preis wird jährlich an Bücher vergeben, die sich mit Generationsbeziehungen beschäftigen und so zu einem besseren Verständnis von Jung und Alt beitragen. Auch wenn der kleine Roman nicht unbedingt an der Realität orientiert ist, zeigt er doch, wie eng eine Beziehung zwischen verschiedenen Generationen sein kann, und trotz der Schwermütigkeit des Themas ist der Autorin eine spannende und freche Geschichte gelungen, welche von großen Gefühlen erzählt und absolut ans Herz geht. Etwas störend wirkt, dass es Clément nicht recht gelingt, ihre ‚Botschaft‘ aus der Handlung heraus zu entwickeln, und so muss sie denn zusätzlich auf von Dritten erzählte parabelartige Geschichten zurückgreifen, um zu verdeutlichen, welch ein großes Gut die Freiheit ist und dass man anderen nicht seinen Willen aufzwingen darf.
Der kleine Roman lebt von viel direkter Rede, die Unmittelbarkeit schafft. Gleichwohl kommt die Übersetzung von Franziska Gulde-Druet etwas schwerfällig daher. Manche Formulierungen („diese wohlgeordneten Blumenrabatten“, „dieses ganze gestriegelte Grün“) dürften kaum dem Sprachschatz einer Neunjährigen entlehnt sein. Warum zudem aus der französischen Lou eine deutsche Fanny werden musste, bleibt unerfindlich, zumal die Übersetzung so auf Opas hübsche Verkleinerungsform „Loulette“ verzichten muss.
Dem Lesealter (ab acht Jahren) angemessen sind die schwarz-weißen Aquarell-Zeichnungen im Retrostil, die Marine Ludin für die deutsche Ausgabe geschaffen hat. In ganz unterschiedlichen Formaten – von eher vignettengroßen Darstellungen bis hin zur seitenfüllenden Illustration – bebildern sie unterschiedliche Situationen oder visualisieren die Gedanken und Phantasien der Protagonisten, ohne dabei jedoch wirklich Neues zu erzählen.