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Karin Bruder:
Zusammen allein
München: Deutscher Taschenbuch Verlag (Reihe Hanser) 2010
270 Seiten
€ 12,95
Ab 14 Jahren
Jugendbuch

Bruder, Karin: Zusammen Allein

„Das Regime darf man nicht gegen den Strich streicheln“

von Martin Ritter (2011)

Agnes, die Ich-Erzählerin und Hauptfigur des Romans „Zusammen allein“ von Karin Bruder, hat ihre gesamte Kindheit in Rumänien verbracht. Im Sommer 1986 kehrt ihr Vater nach einem Besuch in Köln nicht mehr zurück, ein knappes Jahr später flieht auch die Mutter vor dem Ceausescu-Regime. Von den Eltern allein gelassen, fühlt sich die 16-Jährige verraten und versucht, sich trotz der katastrophalen Situation in ihrem geliebten Heimatland Rumänien einzurichten. Zunächst wird sie bei ihrer Tante und deren Familie einquartiert, verlässt diese jedoch schon bald im Streit und zieht zu ihrer ihr bislang unbekannten und von der Familie verachteten Großmutter Hertha, genannt Puscha.

Großmutter und Enkelin treffen so erstmals aufeinander. Puscha ist eine laute und gleichzeitig schillernde Persönlichkeit, an der ein bewegtes und rauhes Leben nicht ohne Spuren vorbeigegangen ist. Schnell und doch kritisch halten beide aneinander fest und kämpfen zunehmend zusammen um ihr gemeinsames Überleben – und um das der wenigen Vertrauten. Kapitän Misch und sein Sohn Petre, die beiden Mitbewohner, haben den wichtigsten Platz in den Herzen der beiden Frauen.

„Das Leben ist ein Hund“ – diese bittere Erkenntnis hat die rüstige Puscha zu ihrem Wahlspruch erkoren, und sie wird nicht müde, ihre Möglichkeiten in dem totalitären Regime auszuschöpfen. In geschickten Tausch- und Gefälligkeitsgeschäften lässt die alte Dame stets ihre vielen Beziehungen spielen und ermöglicht der Wohngemeinschaft so ein in Anbetracht der Umstände einigermaßen passables Auskommen. Dabei steckt sie selbst voller Überraschungen und Widersprüche, die sie in ihrem Inneren und in Jahrzehnte alten Briefen und Telegrammen verbirgt und denen Agnes zunehmend auf den Grund zu kommen versucht.

Mit viel Sinn für Details schildert Karin Bruder in anschaulicher Weise den Alltag der ungewöhnlichen Familie. Doch ist der Tenor ernüchternd: Jeder Quadratmeter Wohnraum ist dem Amt zu melden und kann staatlich verordnet neu bewohnt werden. Alles wird vom Staat kontrolliert und verteilt: das Bauland, der Wohnraum, der Radio- und Fernsehfunk, der Strom, die Heizmittel, Schreibutensilien und Lebensmittel. Trotzdem hält Agnes vorerst eine gerechte Verteilung in ihrem Land für möglich. Sie engagiert sich entsprechend den politischen Vorgaben tatkräftig mit Geist, Körper und Seele in den schulischen Veranstaltungen und den Arbeitsdiensten. Weder Puschas noch Mischs Schwarzmarktgeschäfte noch Petres Kritik am System stehen Agnes’ anfänglich noch hingebungsvoller Einsatz- und Leistungsbereitschaft im Weg.

Agnes sehnt sich nach Liebe. Magere Zuwendung erfährt sie von den Eltern in Briefen und kleinen, von Zollbeamten durchwühlten und geplünderten Päckchen, die nur unregelmäßig bei ihr ankommen. Vater und Mutter leben nun in einer für Agnes unwirklichen Parallelwelt. Die Fotos, die sie der Tochter schicken, bezeugen die zunehmende Entfremdung von den Eltern: „Mamusch [...] war überall kugelrund geworden, strahlte zufriedenglücklich in die Kamera. Den Arm hatte sie um meinen Vater gelegt, der in kurzen, sehr bunten Hosen wie ihr Zwillingsbruder aussah, auch er wohlgenährt.“ Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein. Puscha, Misch und Petre – alle sind wie die Protagonistin als eigensinnige Charaktere mit Ecken und Kanten gezeichnet – sind nun Agnes‘ neue Familie.

Es sind staatliche Instanzen, die letztlich den Glauben des Mädchens an das Ceausescu-Regime zerstören. Am eigenen Leib erfährt Agnes während eines schulischen Arbeitseinsatzes durch Ceausescus willige Handlanger, dass der einzelne Mensch in seinem Land nicht viel wert ist. Diesem schwerwiegenden Erlebnis folgen viele weitere, die sich in Willkür stets zu übertreffen scheinen. Mit Petres Verhaftung erlebt Agnes schließlich die ganze Härte des Systems aus allernächster Nähe. Wie auch Petre, so will Agnes ‚ihrem‘ Rumänien aber nicht den Rücken kehren. Hunger, Verrat, Verhöre, körperliche Gewalt und Verhaftungen können sie nicht davon abhalten, schließlich doch Widerstand zu leisten und an die Möglichkeit von Demokratie in ihrem Heimatland zu glauben.

Die gebürtige Kronstädterin Karin Bruder – sie lebt seit Anfang der 1970er Jahre in Deutschland – thematisiert in ihrem Roman eine Zeit, die jugendliterarisch bislang noch selten Beachtung findet. Eindringlich schildert sie den Alltag und den täglichen Überlebenskampf ihrer rumänischen Protagonisten. Agnes muss sich entscheiden, ob sie – wie Puscha – mitspielt so gut sie kann oder – wie Petre – aktiven Widerstand leistet. „Zusammen allein“ ist ein fesselnder Zeitroman, der tiefe Einblicke vermittelt und von der Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises zu Recht auf die Nominierungsliste 2011 gesetzt worden ist. „Der Roman“, heißt es in der Jurybegründung mit Blick auf dessen literarische Qualitäten, „verdient diese Nominierung durch seine konsequent eigenwillig-eigenständige Sprache, mit ihren prägnanten Metaphern in einer rhythmisierten Prosa, und nicht zuletzt auch durch seine Verweigerung eines schlichten Happy Ends.“

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