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Sabine Ludwig:
Die fabelhafte Miss Braitwhistle
Mit Illustrationen von Susanne Göhlich
Hamburg: Cecilie Dressler 2011
208 Seiten
€ 12,95
Illustriertes Kinderbuch ab 8 Jahren

Ludwig, Sabine (Text) und Susanne Göhlich (Illustration): Die fabelhafte Miss Braitwhistle

Anarchie in der 4a

von Nadja Schmelzer (2012)


Man nehme eine laute, freche Klasse, eine Austauschlehrerin aus England, eine gute Prise Phantasie und einen großen Schluck Zauberei. So lautet das Rezept für ein irrwitziges Buch über den ‚etwas anderen Schulalltag‘.

Wer kennt ihn nicht? Den grauen, öden Schulalltag, geprägt von gestressten Lehrern, Diktaten und Algebra. Die Klasse 4a jedenfalls nicht. Wirklicher Unterricht findet dort nicht statt. Stattdessen ärgern sich die Schüler und Schülerinnen gegenseitig vor Langeweile, während ihre Klassenlehrerin Frau Taube immer wieder betont, dass sie noch taub werde von dem Gebrüll der Klasse. In der phantasievollen Geschichte von Sabine Ludwig herrschen, anders als im realen Schulalltag, Anarchie und Chaos. So streiten die Schüler und Schülerinnen lauthals und gehen über Tische und Bänke, während die Klassenlehrerin mit Müh‘ und Not versucht, sich Gehör zu verschaffen. Nicht grundlos ist Frau Taubes Klasse an der ganzen Schule berüchtigt – und jeder weiß, wofür das „a“ in 4a steht: Albtraum!

Und so kommt, was kommen muss: Die überaus lebendige Klasse steht plötzlich ohne Lehrerin da. Dem lang angedrohten Nervenzusammenbruch nahe, verlässt Frau Taube wortlos das Klassenzimmer und lässt die Schüler und Schülerinnen allein zurück. Da kommt die neue Austauschlehrerin aus England, Miss Braitwhistle, doch wie gerufen. Kurzerhand erklärt sie sich bereit, den Unterricht zu übernehmen.

Kaum betritt Miss Braitwhistle das Klassenzimmer, sitzen die Schülerinnen und Schüler auch schon still auf ihren Stühlen. Nicht etwa, weil die neue Lehrerin so streng ist, nein, vielmehr weil die Kinder sprachlos das Geschehen vorne am Pult beobachten. Schon allein ihre große Omahandtasche wirft Spekulationen auf, denn darin finden sich allerlei Sachen: neben Teekanne und -tasse zum Beispiel auch ein Skelett, Kekse, Handschuhe und warme Jacken. Doch nicht nur Miss Braitwhistles Tasche oder ihre ungewöhnliche Aussprache bringen die Kinder zum Staunen: Eine Ballonfahrt zur Schule, Schnee mitten im Sommer und ein Ritt auf den Schulstühlen sind nur wenige der Abenteuer, die die Schüler und Schülerinnen mit ihrer neuen Lehrkraft erleben.

Mit viel Charme und Witz entwirft Sabine Ludwig in ihrem neuen Kinderbuch „Die fabelhafte Miss Braitwhistle“ die verschiedenen Charaktere, die überspitzt und häufig karikaturhaft, aber nie lächerlich dargestellt werden. Die geschilderten Begebenheiten sind so anschaulich und komisch geschildert, dass man das Gefühl hat, man säße selbst lachend im Klassenzimmer. Das Buch ist voller Situationskomik, die auch schon mal in Slapstick übergeht. Dann wird aus einem kleinen, humoristischen Schneeball schon mal eine ganze Lawine. Gekonnt spielt Sabine Ludwig auch mit dem britischen Humor. Einerseits lacht man mit Miss Braitwhistle, gleichzeitig aber auch liebevoll über sie, etwa wenn sie sich britischen Klischees hingibt: Natürlich hat der obligatorische Tee seinen Auftritt ebenso wie der verkohlte Plumpudding, Miss Braitwhistles mit Anglizismen spielende Sprache reizt zum Schmunzeln, und wenn sie alles wortwörtlich nimmt, ergibt sich das eine oder andere humorvolle Missverständnis. So antwortet sie auf die Frage einer dicken Kassiererin, ob sie sie auf den Arm nehmen wolle, beispielsweise mit: „Lieber nicht, Sie sind zu schwer!“ Und aufrichtig enttäuscht ist sie, als der Bademeister entgegen seiner Ankündigung doch keinen Besen frisst ...

Erzählt wird die phantastische Woche, die die 4a mit Miss Braitwhistle erlebt, aus der Sicht von Franz, der immer wieder die Frage aufwirft, ob die Austauschlehrerin nicht vielleicht zaubern könne oder eine Hexe sei, denn so viel Zauberei und Wunder auf einmal haben weder er noch sein bester Freund Aki je erlebt. Dabei begleitet uns ein Satz durch das ganze Buch: „Aki hat mich angeschaut und ich hab Aki angeschaut.“ Denn auch wenn niemand versteht, wie Miss Braitwhistle eine verblüffende Aktion nach der nächsten durchzieht, so verstehen sich beste Freunde zum Glück auch ohne Worte.

Durch den Ich-Erzähler können sich die Leser und Leserinnen besonders gut in die Geschichte einfühlen. Franzens Sprache ist zwar bildreich im Ausdruck, doch einfach strukturiert, und dass er sich mitunter bei der Bildung des Genitivs vertut, gibt der ins Magische spielenden Geschichte einen eher realistischen Touch. Franz erzählt die Geschichte locker und amüsant und mit vielen Wortspielereien und Wortwitzen. So etwa wird aus Miss Braitwhistle gleich zu Beginn „Miss Bratwiesel“.

Susanne Göhlich hat zu der Geschichte zahlreiche Schwarz-weiß-Illustrationen beigesteuert. Es sind Umrisszeichnungen mit angedeuteten Schattierungen, die anscheinend mit Öl- oder Wachsmalkreide angefertigt wurden. Platziert sind sie einerseits über den vorausdeutend-leselenkenden Überschriften zu Beginn der jeweiligen Kapitel, und wie diese greifen sie einen Aspekt des zu Erzählenden auf. Zusätzlich findet man Illustrationen, die sich jeweils über eine Doppelseite erstrecken und ein Moment des Geschehens pointiert verbildlichen, ohne selbst erzählerische Qualitäten auszuspielen.

Das humorvolle Buch um eine wahre Rasselbande und eine Lehrerin, die nicht zuletzt durch ihre wundersame Handtasche und ihre magischen Fähigkeiten an Mary Poppins erinnert, zeigt einmal mehr, dass man manchmal im Leben mehr lernt als in der Schule – auch wenn diese ‚Botschaft‘ durch ein kräftiges Schmunzeln und ein komplizenhaftes Augenzwinkern, passend zur gesamten Geschichte, doch recht doppelbödig erscheint ...

Eine Fortsetzung dieses witzigen Kinderromans ist in Arbeit.

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