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Antje Damm:
Kiki
München: Carl Hanser 2012
78 Seiten
9,90 €
Illustriertes Kinderbuch ab 8 Jahren

Damm, Antje: Kiki

Geschenkte Erinnerungen

von Anna Müller (2012)


Eine kleine Kugel aus getrockneten Grashalmen verbirgt in sich ein kleines Geschenk. Um das Geschenk zu öffnen, müsste die Kugel zerstört werden – doch dafür ist sie zu kostbar. Doch der eigentliche Inhalt spielt auch gar keine so große Rolle, denn mit diesem Strohkügelchen sind vor allem Erinnerungen an ein unvergessenes Jahr verbunden, ein Jahr mit Kiki.

Antje ist neun Jahre alt, als sie mit ihren Eltern und ihren Brüdern von der Stadt aufs Land zieht. Der Umzug fällt ihr schwer. Für sie ist alles fremd. Selbst ihr neues Zimmer ist bedrohlich, da die Umzugskartons sich nachts in riesige Monster zu verwandeln scheinen. Antje vermisst ihre alten Freunde, ihr altes Leben. Nur zögerlich findet sie sich in ihrer neuen Heimat zurecht. Richtig gut wird es jedoch erst, als sie Kiki kennenlernt. Es ist Freundschaft auf den ersten Blick – ein Blick auf Kikis zwei riesige Vorderzähne, „Hasenzähne“ genau wie bei ihr, die sie ab diesem Tag nicht mehr zu verstecken braucht. Gemeinsam brauen die Mädchen einen „Zaubertrank“, der ihre Freundschaft besiegeln soll. Von dieser Freundschaft erzählt Antje, die Ich-Erzählerin der Geschichte, und nimmt dabei die Leser mit auf eine Reise durch ihre Erinnerungen an ein Jahr mit ihrer besten Freundin Kiki.

In Antje Damms neuem Kinderbuch „Kiki“ kann man in zehn episodischen Rückblenden in die grenzenlose Ideenwelt der Kinder eintauchen und sehen, wie sie gemeinsam ihre Abenteuerlust stillen, Grenzen überschreiten und versuchen, die Welt zu verstehen. Gemeinsam träumen sie davon, Archäologinnen zu werden. Doch warum träumen, wenn man jetzt schon damit beginnen kann? Vielen Ideen folgen auch Taten. So erzählt Antje unter anderem von verschiedenen „Exkursionen“, bei denen die Mädchen allerlei „Schätze“ entdecken und selbst der kleinsten, unbedeutendsten Glasscherbe hohen Wert zusprechen. Jedem Fund folgen fantasievolle Geschichten über Prinzen, Prinzessinnen oder auch erschlagene Füchse, die die Herkunft der „wertvollen Stücke“ erklären sollen.

Es ist vor allem Kiki, die durch ihren Einfallsreichtum begeistert. Ihre Antriebskraft färbt nicht nur auf Antje ab, sondern lässt auch die Leser staunen und mitträumen. Ihr Zimmer gleicht einer Werkstatt, in der sie mit ihrer Freundin Antje zusammen „Schlumpfschlösser“ baut oder Bilder für die „Wechselwände“ kreiert, die wöchentlich mit neuen Bildern behängt werden. Antje erzählt von Päckchen, die sich die beiden Mädchen gegenseitig zuschicken, als sie gleichzeitig krank sind. Mit dem Basteln und Verschicken kleiner Geschenke versuchen sie, ihre Langeweile zu bekämpfen. In Antjes „Krankenpäckchen“ steckt die Strohkugel aus geflochtenen Grashalmen, in der sich das eigentliche Geschenk von Kiki versteckt. „Ich war natürlich neugierig, aber ich machte die Kugel nicht kaputt und ließ sie so, wie sie war, denn sie gefiel mir so gut. Ich nahm mir vor, sie irgendwann anders mal aufzumachen und nachzuschauen, was darin verborgen war […].“

Beinahe am Ende des Buches nimmt die Erzählung eine völlig unerwartete Wende: Kiki stirbt nach einem Verkehrsunfall. Dieser Umschlag scheint der ganzen Geschichte ihren Sinn zu rauben. Ein einziges Kapitel – und der große Traum einer endlosen Freundschaft ist zerstört. Die Sorglosigkeit und Lebensfreude, die in den vorangegangenen Kapiteln den Ton bestimmten, sind beinahe vergessen.

Über das Nachwort erfährt man, dass Antje mittlerweile erwachsen geworden ist. Der sprachliche Stil passt sich plötzlich der erwachsenen Erzählweise an, sodass Antje nicht länger im Ton und aus der Perspektive ihres jüngeren Ichs erzählt. Trotz der langen Zeit, die seither vergangen ist, spürt Antje noch den Verlust ihrer Freundin, sie pflegt ihr Grab und ist in die Nähe des Friedhofes gezogen. Doch die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Kiki und ihre tiefe Freundschaft zueinander sind das, was ein Leben lang hält. Daher erzählt sie noch heute ihren eigenen Kindern die Geschichten von damals. Inwieweit das Buch autobiographisch angelegt ist, bleibt letztendlich offen. Auffällig ist, dass die Autorin Antje Damm für die Ich-Erzählerin des Buches ihren eigenen Vornamen gewählt hat. Auch ist einigen Signalen innerhalb der Geschichte zu entnehmen, dass diese in den 1970er Jahren spielt, also in den Kindheitsjahren der Autorin.

„Kiki“ ist eine traurige und zugleich schöne Geschichte über eine tiefe Mädchenfreundschaft, die viel zu schnell vorbeigegangen ist. Nicht der Tod der Freundin steht im Fokus der Erzählung, diese lebt vielmehr von Erinnerungen an eine unvergessene Zeit – Erinnerungen, die Antje ein Leben lang begleiten und sie noch heute von Kiki erzählen lassen.

Das Buch eignet sich durch die kurzen Kapitel gut zum Vorlesen und weckt beim erwachsenen Rezipienten womöglich so manche Erinnerungen an eigene Kindertage. Aufgrund der größeren Schrift ist es auch zum ersten Selberlesen zu empfehlen. Die Geschichten werden durch farbige Illustrationen der Autorin begleitet, die den Lesern einen Blick in Antjes Kindertage gewähren. Die Bilder stehen jeweils am Kapitelanfang und bilden ganzseitig einen konkreten Moment aus der jeweiligen Episode ab. Allerdings ist es ausschließlich Antje, die in den Bildern dargestellt wird. Die Illustrationen sind mit bunten Filzstiften und einem schwarzen Konturenstift gezeichnet, was zum Teil an die filzstiftbemalten „Krankenpäckchen“ erinnert. So gelingt es der Autorin, sich der kindlichen Antje auch über den Illustrationsstil anzunähern.

Das Strohkügelchen wird vermutlich ein Leben lang sorgfältig aufbewahrt werden. Es ist eine Art Schatz, der noch Jahre nach Kikis Tod die unvergessene Freundschaft lebendig hält und zugleich ein unbezahlbares Geschenk verbirgt: „Vielleicht ist gerade die Vorfreude, noch etwas von Kiki zu bekommen, so schön, dass ich es nie öffnen werde.“

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