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Benjamin Chaud:
Bühne frei für Papa Bär!
Aus dem Französischen von Anja Malich
Hildesheim: Gerstenberg 2012
24 ungezählte Bll
12,95 €
Bilderbuch ab 3 Jahren

Chaud, Benjamin: Bühne frei für Papa Bär!

Neugierde wird belohnt

von Fabian Menz (2012)


„GROOOOOOOAAAAAAAAARRRRRR“, dröhnt es durch die Pariser Oper, als ein großer brauner Bär sein trauriges Lied anstimmt. Wie kindliche Neugierde und die Sorge eines Vaters sich zu einem großen Abenteuer vereinen können, erfährt der Betrachter in Benjamin Chauds liebevoll gestaltetem Bilderbuch „Bühne frei für Papa Bär!“

Das Abenteuer zweier Bären beginnt im herbstlichen Wald, wo Papa Bär und sein Sohn sich bereits bestens auf den Winterschlaf vorbereitet haben. Im Hintergrund liegt schon Schnee auf den Bergen und die Laubbäume haben ihre Blätter verloren. Die Voraussetzungen für einen geruhsamen Schlaf bis zum Frühjahr scheinen perfekt. Würde der kleine Bär da nicht – einer späten Honigbiene folgend – die Bärenhöhle verlassen. „Wo eine Biene ist, ist auch Honig“, weiß er und läuft dem Insekt nach, in der Hoffnung, dass sie ihn zur Quelle des süßen Nektars führen möge. „Papa Bär spürt einen kalten Luftzug, wo eigentlich der warme Bauch des kleinen Bären sein sollte.“ Er verlässt die Bärenhöhle und die folgende Suche nach dem kleinen Honigjäger führt ihn durch den lebendigen Wald in den unübersichtlichen Dschungel der Großstadt. Die vielen Nebenschauplätze lenken nicht nur den Betrachter, sondern auch Papa Bär fast ein bisschen von der wichtigen Frage ab: „Wo kann der kleine Bär nur stecken?“ Ausgerechnet im Opernhaus finden beide Bären, was sie suchen: ein Honigparadies, einen abhanden gekommenen Sohn und die Erkenntnis, dass Menschen und Tiere nicht denselben Musikgeschmack haben.

Neugier ist nicht nur für den kleinen Bären der Antrieb, den Honig zu finden. Auch die Neugierde der Leserinnen und Leser weckt Benjamin Chaud auf den zwölf Doppelseiten von „Bühne frei für Papa Bär!“ mit Darstellungen, die teilweise den Charakter von Wimmelbildern haben. Beim Anschauen des wuseligen Stadtlebens beispielsweise weiß der Betrachter zunächst gar nicht, wo die Augen zuerst verweilen sollen – was macht ein Elefant hinter den Vorhängen einer Stadtwohnung? Es entwickelt sich ein Mitgefühl für die Sorgen des Bären. So viel Durcheinander – und dann auch noch Werbetafeln, auf denen Bären zu sehen sind, und Kinder, die Bärenmützen tragen.

Chaud versteht es, den Blick des Betrachters geschickt zu beeinflussen: Einige Szenen wollen in ihrer Unübersichtlichkeit regelrecht erobert werden, in anderen Situationen achtet man auf die Handlungen der tierischen Hauptfiguren. Dies gelingt durch die Verwendung unterschiedlicher Perspektiven, die Farbgebung und durch zeichnerische Mittel, mit denen Chaud mal Ruhe, mal Unruhe erzeugt.

Auf den ersten sechs Doppelseiten bleibt die Blickrichtung ähnlich: Papa Bär befindet sich am linken Bildrand und der Blick des Betrachters verfolgt seinen Weg zur nächsten Seite, stets auf der Suche nach dem kleinen Bären. Die Umgebung verändert sich dabei fortwährend, womit Kinder und erwachsene Betrachter zu einer aktiven Bildbetrachtung angeregt werden. Blättert man nun weiter, steigt die Spannung deutlich an. Vom Bildrand nähert sich das Tier unwissentlich mehr und mehr der Opernbühne, die aus verschiedenen Perspektiven dargestellt wird. Im Moment der größten Anspannung befindet sich der Beobachter hinter dem Bären und sieht sich – mit ihm zusammen – einem erwartungsvoll dreinblickenden Publikum ausgesetzt. Wenn das Tier seinem Druck mit lautem Bärengesang Luft macht, ist es im Zentrum der Aufmerksamkeit angekommen. Die Momentaufnahme zeigt nur den Bären und zwei Operndarsteller vor einfarbigem Hintergrund.

Die Farbgebung und der Stil der flächig kolorierten Zeichnungen sind weitere wichtige Hilfsmittel, mit denen der Autor die Komposition der Bilder strukturiert und Atmosphäre schafft. Eine schneeweiße Bärenhöhle gibt es vielleicht nicht in der Realität, sie ist aber ein gelungener Kontrast zur grünen und braunen Färbung des Waldes. Der Bär ist dadurch in der Höhle gut zu entdecken, ebenso auf der Bühne, deren Hintergrund auch weiß ist. Mit weißen Flächen werden auch Lichteffekte erzeugt, und die vielen weißen Gesichter der Leute im Opernpublikum sind „mucksmäuschenstill und starren ihn an, als erwarteten sie etwas von ihm. Vielleicht sollte Papa Bär ein Lied für sie singen?“ Die jeweils gewünschte Stimmung wird durch flächige oder reduzierte Farbgebung unterstützt. Die überwiegend in Seitenansicht dargestellten Bäume, die lustigen Tiere mit ihren großen Augen, Autos mit unrealistisch kleinen Rädern und andere Details lassen an Kinderzeichnungen denken. Weitere Dynamik wird mit Hilfe einer verspielten Zeichentechnik geschaffen. Braucht der Betrachter Ruhe, um sich auf die Handlung zu konzentrieren, arbeitet Chaud mit sparsamen Strichen. Soll man die Details eines Bildes hingegen schrittweise entdecken, wird der Blick von geschwungenen und verschnörkelten Abbildungen zum Wandern angeregt.

Die Darstellung von Papa Bärs kurzer Solokarriere veranschaulicht auch das feinfühlige Zusammenspiel von Bild und Text. Während die Zeichnung einen eindrucksvoll brüllenden Bären zeigt, erzählt der Text eine andere Geschichte: „Er räuspert sich, holt tief Luft und stimmt ein Bärenlied an. Ein schönes, trauriges Lied, das seine Mutter ihm früher zum Einschlafen vorgesungen hat.“ Dies ist nicht der einzige Moment in der Bildergeschichte, in dem die schriftliche Erzählung und die großen Bilder zusammen amüsante Widersprüche erzeugen.

Auf der letzten Seite angekommen, bleibt den Lesern, Vorlesern oder Zuhörern die Erkenntnis: Neugierde lohnt sich! Den kleinen Bären lässt sie schließlich doch ein Honigparadies entdecken und den Vater lässt sie die Sorgen überwinden. Den Betrachter des Buches regt sie vielleicht dazu an, „Bühne frei für Papa Bär!“ wieder auf der ersten Seite aufzuschlagen und in den vielen Details der Darstellungen – immer wieder aufs Neue – skurrile Menschen und Tiere zu entdecken und sich kleine Geschichten auszudenken. Der Anteil von Anspielungen, die für Kinder schwer zu entschlüsseln sein dürften, machen die Lektüre auch für Erwachsene spannend. Sie können prominente Popmusiker im Publikum erahnen und erhalten Hinweise, welche Oper gerade aufgeführt wird. Papa Bär jedenfalls hat die Abenteuer gut verkraftet, die der kleine Bär ihm beschert hat: „Bravo kleiner Bär, ich bin stolz auf dich. So viel Honig!“ lobt er seinen Sohn – und die Sorgen sind vergessen.

Zum Glück gibt es auch auf der letzten Seite noch so viel zu erkunden, dass man das Buch noch nicht zuschlagen muss, wenn die Geschichte fertig vorgelesen ist.

Bildprobe