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Titelbild
Marcel Feige:
I don’t have a gun. Die Lebensgeschichte des Kurt Cobain
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2012
223 Seiten
€ 16,95
Illustrierte Biographie ab 14 Jahren

Feige, Marcel: I don’t have a gun. Die Lebensgeschichte des Kurt Cobain

Son of a Gun

von Wolf Knipper (2012)


„Das würde der Rest meines Lebens sein – in einer Band spielen, auf Tour gehen, Konzerte geben und von Zeit zu Zeit meine Lieder im Radio hören. Das war‘s auch schon. Ich hätte mir nichts Schöneres vorstellen können.“

„I don’t have a gun“, die Lebensgeschichte Kurt Cobains, ist die neueste Biographie von Marcel Feige, der auch schon über Nina Hagen (2002) und Sido (2006, beide bei Schwarzkopf & Schwarzkopf) geschrieben hat. Kurt Cobain (1967-1994) war mit seiner Band Nirvana einer der einflussreichsten Musiker seiner Zeit, ein sensibler, zorniger Mensch und ein genialer Musiker mit einer zutiefst radikalen Lebensgeschichte. Wie andere vom „Club 27“ – Jimi Hendrix, Brian Jones, Janis Joplin, Jim Morrison und zuletzt Amy Winehouse ? starb er im magischen Alter von 27 Jahren.

Kurt Cobain wuchs unter harten Bedingungen im Nirgendwo des amerikanischen Nordwestens auf. Zuflucht fand er in der Musik. Mit seinen authentischen Texten bewegte er eine ganze Generation. „Smells Like Teen Spirit“ wurde zu ihrer Hymne. Doch zerrissen und voller Widersprüche scheiterte Cobain an seinem Leben, Drogen und einer rücksichtslosen Musikindustrie.

Marcel Feige erzählt die Lebensgeschichte des wütenden Außenseiters und hochsensiblen Künstlers als eine Geschichte der lebenslangen Suche. Dabei gibt er sich Mühe, Cobains Lebensgeschichte möglichst komplett darzustellen, und schafft es immer wieder, interessante Details mit einfließen zu lassen: „Wahrscheinlicher klingt deshalb, was Kurts Freunde erzählen: Er habe sich für die Nächte leerstehende Wohnblöcke und Geschäftshäuser gesucht, von denen es im trostlosen Aberdeen mittlerweile Aberdutzende gab.“ Cobain, der so viel liebte und so viel hasste, wurde spätestens mit dem Nirvana-Album „Nevermind“ zum Megastar, und zwar wider Willen, denn er wollte eigentlich nur Musik machen ? nicht mehr, nicht weniger. Bei der Produktion des Albums „Nevermind“ half der Produzent Butch Vig und arrangierte einige Tracks um. Auf diese Weise ebnete er den Weg zu einer Platte, die nach Pop klang und eine punkige Attitüde aus jugendlichem Lärm und Rebellion darstellte. Die Songstruktur war inspiriert durch die Pixies, von deren gefühlvoller Dynamik Cobain begeistert war. So steckt in „Nevermind“ eine einfache und bis dato im Mainstream nicht gebrauchte Formel: mal sanft und ruhig, dann wieder laut und hart.

Das wie ein Album aufgebaute Buch beginnt mit dem „Intro“, einer Autogrammszene vom Reading Festival 1992. Danach springt es zurück in das Jahr 1966, zum Umzug von Kurt Cobains Eltern in die Holzfällerstadt Aberdeen (Washington), da sie sich dort eine bessere Zukunft vorstellten. Geschildert wird die Zeit vor der Geburt von Kurts Schwester. Es waren glückliche Kinderjahre, in denen sich die Welt um ihn drehte, den aufgeweckten Jungen, der gerne andere Menschen unterhielt. Später wird von seiner rauen Jugend erzählt, als er nach dem Zerwürfnis mit den Eltern von Verwandten wie eine heiße Kartoffel weitergereicht wurde und letzten Endes auf der Straße landete. Den Schwerpunkt der Biographie bildet die Schilderung seines musikalischen Wegs bis zu den Veröffentlichungen der legendären Nirvana-Alben. Das Buch endet mit dem „Outro“, einem kurzen Überblick darüber, was nach Cobains ominösem Selbstmord aus seiner Ehefrau Courtney Love, der gemeinsamen Tochter Frances Bean und den Nirvana-Bandmitgliedern geworden ist.

Feige ist bestrebt, Cobains Handeln sowie sein Wesen möglichst vollständig vorzustellen und hinter dem Mythos die reale Lebensgeschichte aufzuzeigen. Hierbei lässt er keine Kleinigkeit aus, etwa die Tage, in denen Kurt in seinem heruntergekommenen Auto hauste oder sich als Obdachloser tagsüber im warmen Wartezimmer eines Krankenhaus aufhielt, um nicht zu frieren. Ebenso versucht Feige aufzuzeigen, wieso Kurt Cobain so enden musste: mit einer Überdosis Heroin und, um ganz sicher zu gehen, mit einem Kopfschuss – in der Hand den Abschiedsbrief, der seine innere Zerrissenheit widerspiegelt.

„I don’t have a gun“ ist in 27 Kapitel unterteilt, die nach Nirvana-Songs betitelt sind. Hierdurch liest sich das Inhaltsverzeichnis wie die Set-List zu einem Nirvana-Konzert. Die Kapitelüberschriften lassen, sofern man mit den Liedtexten und Cobains Lebensgeschichte bekannt ist, erahnen, was in dem jeweiligen Kapitel das Thema sein wird. Dennoch weiß Feige die bekannte Geschichte vor allem am Anfang mit interessanten Details zu spicken: „Als eines seiner Bilder auf der Titelseite der Schülerzeitung abgedruckt wurde [...] kam er zornig heim. Er fand seine Zeichnung nicht nur schlecht, sondern fühlte sich durch deren Veröffentlichung auch bloßgestellt.“ Als Quellen werden großenteils deutschsprachige Werke gelistet, was den Eindruck hinterlässt, dass die Biographie aus zweiter oder gar dritter Hand geschrieben ist, auch wenn sie mit dem Anspruch auftritt, Ungelesenes zu enthalten. Inwieweit Feiges Aussagen (z. B.: „Verdattert starrte Kurt seinen Vater an“) durchgängig verbürgt sind, lässt sich schlecht sagen, da Einzelheiten nur mitunter belegt sind, vor allem durch Zitate aus Cobains Umfeld. Ganze sieben Mal wird auf Cobains auch auf Deutsch erschienene „Tagebücher“ rekurriert; eher trägt Feige eigene Deutungen vor: Aus den Ereignissen in der Kindheit werden schnell Rückschlüsse darauf gezogen, wieso Cobain so war, wie er war, und wieso es so kommen musste, wie es kam.

Das flüssig zu lesende, handliche Buch ist leicht verständlich geschrieben. Auflockernd wirken die allerdings nur spärlich eingesetzten, (bis auf zwei) allseits bekannten Photos. Ergänzt wird die Biographie durch ein Glossar mit der Erklärung schwieriger und möglicherweise unbekannter Wörter sowie eine Zeittafel, eine Nirvana-Diskographie und ein Quellenverzeichnis für alle verwendeten Zitate.

Auch wenn das Buch sich gut lesen lässt, gibt es ein paar Ungereimtheiten, welche dem begeisterten Nirvana-Fan bitter aufstoßen werden. Man fragt sich, woher Marcel Feige all diese Informationen hergenommen hat, die frühere Biographen nicht herausgefunden haben. Auch wird beispielsweise die Autogrammszene beim Reading Festival anders beschrieben als in der Biographie „Come as You Are: The Story of Nirvana“ von Michael Azerrad (1994, dt. bei Hannibal) und anders, als sie auf einer Videoaufnahme zu sehen ist. „Nevermind the Bollocks“, das bekannteste Album der Sex Pistols, wird mal als ihr Debütalbum bezeichnet, mal als ihr sechstes Studioalbum. Es sind Kleinigkeiten wie diese, die dem aufmerksamen Leser negativ auffallen werden, genauso wie die rasch dem Ende zugehende Geschichte ab der Erscheinung von „Nevermind“ (1991). Das Buch verliert genau an dieser Stelle seinen Charme und wirkt lustlos niedergeschrieben. Es werden keine Details mehr eingestreut, und bis auf das Reading Festival und das Unplugged-Konzert finden kaum Ereignisse mehr den Weg in die Biographie. Man stolpert quasi vom Erscheinen des Albums „Nevermind“ in das Jahr 1994 zum Tod Kurt Cobains.

Der Autor versucht, den Fokus von Nirvana abzuwenden hin zur Person Kurt Cobain und zu dessen Beziehung zu Courtney Love. Die innere Zerrissenheit, das gelebte Paradoxon, welches Kurt Cobain verkörpert, wird in diesem Buch sehr gut dargestellt, dabei wirkt die Darstellung nicht überzogen.

Marcel Feige, geboren 1971, arbeitete als leitender Redakteur verschiedener Musik-, Lifestyle- und Stadt-Magazine. Seit 1998 lebt er als Schriftsteller in Berlin. Im Jahre 2002 wurde er mit seinen Büchern „Schatten über Deutschland. 100 Jahre deutschsprachige Fantastik“ und das „Fantasy-Lexikon“ gleich zweimal für den Rheinischen Literaturpreis 2002 nominiert. Für „Nina Hagen. That‘s why the lady is a punk“ erhielt er 2003 den renommierten Internationalen Buchpreis „Corine“.

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