Herzog, Annette (Text) und Katrine Clante (Illustration): Pssst!

Ein Zitronenfalter auf dem halbfertigen Stuhl – Identitätssuche in der Adoleszenzphase

von Jasmin Abdel Gawad und Bijan Fezlizanjani (2016)

„Wenn ich nur wüsste, worin der Sinn des Lebens besteht. Warum bin ich geboren? Was soll ich aus meinem Leben machen? Geht es darum, glücklich zu sein? Und wie werde ich das? Oder geht es darum, etwas zu bewegen?“

Die 1960 bei Berlin geborene Annette Herzog greift ein alt bekanntes und immerwährendes Thema auf. In den zwölf Kapiteln des Comics „Pssst!“ gelingt es der Autorin zusammen mit der 1973 in Kopenhagen geborenen Illustratorin Katrine Clante, der LeserIn die Welt einer Heranwachsenden näherzubringen: Wie fast alle pubertierenden Jugendlichen stellt sich Viola die Frage nach dem Sinn des Lebens und versucht, ihre eigene Identität zu finden, denn man „verändert sich, wenn man groß wird. Aber wer kann voraussagen wie?“ Die (jugendlichen) LeserInnen erfahren in dem Werk, dass es wohl vielen Teenagern ähnlich gehen muss bei der Frage nach der eigenen Persönlichkeit und dass jede/r die Wandlung des Körpers und Veränderungen von sozialen Kontakten durchlebt. „Warum kenne ich mich eigentlich selbst so schlecht, obwohl ich rund um die Uhr mit mir zusammen bin?“ – Um mit den Fragen des Lebens besser umgehen zu können, liefert das Werk nun keine direkten Antworten oder Lösungsansätze, es zeigt aber immer wieder, dass selten etwas nur schwarz oder weiß ist.

Die sprachliche Komposition ist kongruent zur implizierten Adressatengruppe des Romans: Für die jugendlichen LeserInnen sind die Themen, mit denen sie sich – genau wie Viola – in dieser aufregenden Zeit auseinandersetzen, komplex genug, weshalb es ein großer Gewinn des Comics ist, dass der Schreibstil einfach gehalten ist. In den verschieden großen und unterschiedlich gestalteten Panels findet sich neben Figurenrede, Listenaufführungen, Aufsätze und Gedichte. Die Texte und Bilder sind inhaltlich sehr gut aufeinander abgestimmt und bilden eine untrennbare, eindrucksvolle Einheit. Die Art der Illustration macht hierbei das Besondere des Werkes aus: Es ist eine Mischung aus Comic und Collage. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Protagonistin selbst das Buch gestaltet hat, mit Fotos, Skizzen, Notizen und Geschichten. Die Illustrationen spiegeln die verspielte aber auch reflektierende Attitüde von Jugendlichen wieder. Auf diese Weise sowie durch den kaum näher beschriebenen Charakter der Protagonistin wird ein breites Publikum zu Identifikation eingeladen.

Die Tiefgründigkeit, mit der Viola sich all den Fragen des Erwachsenwerdens stellt, verleiht dem Comic zudem einen philosophischen Charakter. Immer wieder erscheint ein Zitronenfalter, der leitmotivisch nicht nur für Violas eigene Metamorphose steht. Zunächst ist es ihr Großvater, der ihr einen letzten Gruß in Form eines solchen Schmetterlings hinterlässt. Außerdem vergleicht sie ihre Entwicklung mit der einer Raupe hin zu einem Falter, Viola lernt ein anderes Mädchen kennen und deren Verbindung erinnert an die tiefe Freundschaft zwischen Violas Oma und deren Freundin Magda. Viola trägt viel von ihren Großeltern in sich; und dass der Schmetterling sinnbildlich auch immer für dieses besondere, wohlige Gefühl im Bauch steht, vermag vielleicht ein leiser Hinweis auf die bevorstehende enge Beziehung der beiden Mädchen sein, wenn der Comic nach dem Kennenlernen dieser mit zwei gemeinsam wegfliegenden Zitronenfaltern endet.

„Pssst!“ ist für alle Jugendlichen: Auch wenn der Comic aufgrund der weiblichen Protagonistin zunächst nur für weibliche Adressatinnen geeignet zu sein scheint, werden die grundlegenden Themen der Pubertät aufgegriffen und nicht ausschließlich weiblich perspektiviert. Kritisiert werden könnte, dass der Beginn der Sexualität nur angedeutet wird, obwohl er angesichts der heutigen medialen Einflüsse schon früh einsetzt und an Bedeutung gewinnt. Nichtsdestotrotz ist dieses eindrucksvoll illustrierte Werk mit seinen humorvollen und philosophischen Aspekten mehr als nur lesenswert.

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