skip to content

Titelbild
Marlene Röder:
Melvin, mein Hund und die russischen Gurken
Ravensburg: Ravensburger 2011
125 Seiten
€ 12,99
eBook: € 9,99
Ab 13 Jahren
Jugendbuch

Röder, Marlene: Melvin, mein Hund und die russischen Gurken

„Achtzehn mal das volle Leben bitte!“

von Janina Mecks (2011)

Vertrauen – Verrat, Freundschaft – Feindschaft, Glück – Pech, Freude – Trauer, Selbstfindung – Orientierungslosigkeit, Wunder – Tragödien, Liebe – Hass. All diese Dinge machen das Leben aus. Und man erlebt sie umso intensiver, wenn man gerade erst dabei ist, dieses Leben mit all seinen Facetten zu entdecken ...

In achtzehn Kurzgeschichten wirft Marlene Röder ihre Leser genau in diesen Momenten, die das Leben so einzigartig machen, mitten in das Geschehen hinein und reißt sie ebenso unsanft wieder heraus. Doch so unterschiedlich und eigenständig ihre Geschichten auch sein mögen, sie kommen dennoch mit gewissen Überschneidungen daher. So lassen sich Protagonisten der einen Erzählung ganz unerwartet als Randfiguren einer anderen Erzählung wiederfinden. Und diese Art der Darstellung bleibt nicht ohne Wirkung: Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, erscheinen die Personen und ihre Handlungen plötzlich ganz anders. Die Autorin gewährt dem Leser damit tiefe Einblicke hinter die Fassaden der Protagonisten. So wird der Leser aufgefordert, auch im realen Leben ein zweites Mal hinzuschauen.

„Germanys next Seekuh!“ – So nennt Janina, die „Oberhyäne“, Mareike beim Schwimmunterricht. Und sie hat ja auch nicht unrecht, findet Mareike. Sie ist schließlich einfach nur im falschen Jahrhundert geboren. Früher gehörten Rundungen zum Schönheitsideal und Jungen wie Fabian, in den Mareike heimlich verliebt ist, fänden sie dann bestimmt zum Anbeißen schön.

In einer andern Geschichte hingegen erfahren wir, dass Janinas Vater ihre Mutter verlassen hat. Und nun arbeitet ihre Mutter den ganzen Tag, nur damit Janina sich am Ende des Monats doch nicht annähernd so viele coole Klamotten kaufen kann wie ihre Klassenkameradinnen. Was tun? Klauen mit Elli, ihrer neuen steinreichen besten Freundin! Oder auch mit Ruben, ihrem kleinen Bruder? Besser nicht! Aber wenn er sie bei Mama verpetzt, weil sie ihm nichts vorliest? Dann vielleicht doch besser mitnehmen ... ?!?

„Wahrheit oder Pflicht“ – so heißt die Kurzgeschichte, in der Fabian kurz davor ist, mit dem „drittschärfsten“ Mädchen der Schule, Janina, herumzuknutschen. Doch so richtig bringt der Kuss im Badezimmer ihrer Eltern neben dem Waschbecken mit den Zahnbürsten seinen Körper dann doch nicht „zum Rocken“ ... Wäre das mit Lukas anders? Wahrheit oder Pflicht!

Feinfühlig, sanft und ausgesprochen empathisch schreibt die 28-jährige Jugendbuchautorin. Doch die Realität kommt nicht nur mit leisen Tönen daher. Gewalt, Hass und auch übersprühende Freude sind nicht mit feinfühligen Worten zu beschreiben. Auf den Punkt, ungeschminkt und rau gibt Röder dem Gefühlschaos Ausdruck, in dem sich ihre Figuren zuweilen befinden. Dabei bedient sie sich unterschiedlicher stilistischer Mittel, wie der Nachahmung einer Quizsendung, die ein vermeintlich schwangeres Mädchen in Gedanken mit sich selbst veranstaltet. Und genau solche stilistischen Abwechslungen lassen jede Kurzgeschichte ganz einzigartig werden.

Marlene Röders gekonnter Umgang mit Worten hat ihr bereits mehrere Buchpreise eingebracht, sowohl für ihr Erstlingswerk „Im Fluss“ wie auch für den darauffolgenden Jugendroman „Zebraland“. Dass hinter soviel Leistung einiges an Interesse – und Fleiß – liegt, kann man daran sehen, dass die Autorin das Schreiben bereits mit vierzehn Jahren aufgenommen hat. Und dieser Schreiblust bleibt sie neben ihrem Sonderpädagogikstudium in Gießen treu, wie man an ihrem jüngsten Werk unschwer erkennen kann. Dessen Titel „Melvin, mein Hund und die russischen Gurken“ ist dabei genau so originell wie die Wahl der Textsorte, die in der jüngeren Jugendliteratur ja nicht eben häufig anzutreffen ist.

Achtzehn Erzählungen über das Leben. Wieso gerade achtzehn? Braucht man achtzehn Jahre, um erwachsen zu werden? Um zu lernen mit dem Leben klarzukommen? Um es in seiner Komplexität zu verstehen? Wahrlich nicht. Denn dazu braucht es ein Leben lang. Aber „Melvin, mein Hund und die russische Gurken“ erzählt einen Teil daraus. Und zwar ganz ohne den Anspruch, den Sinn des Lebens zu hinterfragen.

Leseprobe