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Christian Oster:
Der Ritter ohne Socken
Illustriert von Katja Gehrmann
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Frankfurt am Main: Moritz 2010
61 Seiten
€ 9,95
Ab 5 (zum Vorlesen) bzw. 7 (zum Selberlesen) Jahren
Illustriertes Kinderbuch

Oster, Christian (Text) und Katja Gehrmann (Illustration): Der Ritter ohne Socken

Ritter in der Klemme

von Melanie Maria Schmitz (2011)

„Es war einmal“ – mit diesen berühmten Worten lockt der französische Schriftsteller Christian Oster („Meine große Wohnung“, „Meine Putzfrau“) den Leser in sein erstes ins Deutsche übersetztes Kinderbuch. Dass damit aber nicht die klassischen Pfade des Märchens betreten werden, wird schon bei der Einführung des Protagonisten deutlich, denn „Der Ritter ohne Socken“ wirkt bereits durch seine pusselige und vergesslich-konfuse Art eher belustigend als heldenhaft und tapfer. Auch die Tatsache, dass er ein Notizbuch benutzt, das ihm helfen soll, seine Gedanken und die zu erledigenden Ritteraufgaben zu sammeln und zu ordnen, um sie dann pflichtschuldigst der Reihe nach abzuarbeiten, hat so gar nichts Heldenmäßiges.

Das Vorhaben, zunächst den Drachen zu töten, um anschließend die wunderschöne Prinzessin aus dessen Klauen zu befreien, wird hintangestellt, als er beim Aufwachen feststellt, dass fatalerweise seine Socken verschwunden sind. Schließlich ist ein Ritter ohne Socken nur ein halber Ritter, die Stiefel verursachen ohne Socken zudem höllische Schmerzen, und mit nackten Füßen kann man einer Prinzessin ja wohl keinesfalls unter die Augen treten ...

Der Ritter beschließt also, erst einmal seine Socken zu suchen, und führt seine Reise zu Pferde fort. Doch die Sockensuche bleibt erfolglos, und es scheint, als ob es dem Ritter nicht vergönnt sei, seine Fußbekleidung wieder unversehrt zurückzubekommen. Letztlich nimmt die Geschichte jedoch in doppelter Hinsicht einen glücklichen Ausgang, da der Ritter am Ende nicht nur seine Socken, sondern auch seine große Liebe findet und so demonstriert, dass man auch auf Umwegen und ohne strikte Einhaltung eines vorgegebenen Plans sein Ziel erreichen und sogar glücklicher werden kann als erhofft.

Oster erzählt seine Geschichte vom sockenlosen Ritter mit viel Phantasie, lebendig und humorvoll und mit einem Stich ins Absurde. Vordergründig greift er auf Erzählformeln des Märchens zurück, die er unbekümmert mit – zurechtgebogenen – Erzählelementen der mittelalterlichen Âventiure verknüpft, in der ein Ritter Bewährungsproben und gefahrvolle Abenteuer bestehen muss. Bei der Âventiure, dem gewagten Beginnen mit ungewissem Ausgang, spielen Zufall und das Geschick eine zentrale Rolle. Oster spielt in seinem Kinderbuch mit diesen Grundelementen, indem der Zufall und das Geschick den Ritter immer wieder zu neuen Aufgaben lenken, die er bewältigen muss. Dadurch ergeben sich ständig unvorhergesehene Entwicklungen und überraschende, häufig komische Ereignisse, die zu merkwürdigen Änderungen des ursprünglichen Plans führen. So wird beispielsweise das Duell mit dem Drachen gestoppt und stattdessen die Verfolgung einer vorbeischwimmenden Ente aufgenommen, die eine Socke des Ritters im Schnabel trägt. Erzählkonventionen des Märchens und der Âventiure werden so auf irritierende, aber gelungene sowie belustigende Weise gebrochen. Solche Brüche werden durch die Einbindung zeitfremder Elemente in die Geschichte noch forciert, etwa wenn der Ritter im Schlafanzug im Schlafsack ein Nickerchen hält, ein Notizbuch als Organizer benutzt oder vor lauter Nervosität versucht ist, auf dem Gang auf und ab zu gehen und sich eine Zigarette anzuzünden. Verfremdend wirken auch die verschiedenen Leseranreden, bei denen man – eine parodistische Anspielung auf die seit ein paar Jahren beliebte Mitmach-Mode im Kinderbuch – auf skurrile Art zum Lösen von Aufgaben aufgefordert wird, die entweder im nachfolgenden Geschehen ohnehin wie nebenbei gelöst werden oder so widersinnig sind, dass man sie gar nicht enträtseln kann.

Die 61 Seiten umfassende Geschichte, die durch ihre unvorhersehbare Handlung niemals Langeweile aufkommen lässt, ist vorlesefreundlich in vier kurze Kapitel unterteilt. Das große Schriftbild und der überschaubare Seiten- und Kapitelumfang erleichtern auch Leseanfängern den Zugang. Zudem ermöglichen die einfach gebauten Sätze (Übersetzer: Tobias Scheffel) ein schnelles und leichtes Verstehen.

Die zahlreichen, farbenfrohen, grobpinselig gemalten Illustrationen hat die preisgekrönte Katja Gehrmann beigesteuert. Die Figuren und die Landschaft wurden zunächst mit schwarzem Stift vorgezeichnet und dann farbig ausgemalt. Der Hintergrund, über den an wenigen Stellen Text gedruckt wurde, ist mit Acrylfarben eher schemenhaft gestaltet worden. Die Illustrationen sind ganz- bzw. halbseitig oder erstrecken sich sogar über eine halbe Doppelseite und transportieren den Inhalt ins Bildliche, sodass die Geschichte bestens zum Vorlesen geeignet ist und daher bereits für fünfjährige Kinder empfohlen werden kann.

„Der Ritter ohne Socken“ enthält alles, was eine lesenswerte Geschichte haben muss: sprechende Tiere, einen Helden, eine schöne Prinzessin, die gerettet werden muss, ein Duell zwischen Gut und Böse, eine Prise Zauberei und ein Happy End. Und dass die Geschichte gespickt ist mit abenteuerlichen, unerwarteten Ereignissen sowie einer Menge Charme und Witz, macht das Kinderbuch „Der Ritter ohne Socken“ zu einem amüsanten Lesevergnügen für Leseanfänger und – nicht zuletzt – für Vorleser.

„Der Ritter ohne Socken“ ist neben „Der unglaubliche Sansibar“ (von Catharina Valckx) und „Harte Zeiten für Mister Vam“ (von Annette Herzog und Gergely Kiss) der dritte Titel, der in der 2010 gestarteten neuen Kinderbuchreihe des Frankfurter Moritz Verlags erschienen ist. Moritz gilt als einer der führenden deutschen Bilderbuchverlage (u. a. mit den Siegertiteln des Deutschen Jugendliteraturpreises „Detektiv John Chatterton“ von Yvan Pommaux, „Du groß, und ich klein“ von Grégoire Soltareff sowie „Han Gan und das Wunderpferd“ von Chen Jianghong) und ist nicht zuletzt bekanntgeworden durch seine produktive Kooperation mit dem Pariser Verlag L’école des loisirs, der auch die Rechte an Osters Kinderbüchern hält. „Der Ritter ohne Socken“ enthüllt, dass Verleger Markus Weber offenbar nicht nur eine prima Nase für hochwertige Bilderbücher hat …

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