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Salah Naoura:
Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums. Roman
Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2011
141 Seiten
€ 12,95
Hörbuch: € 14,95
Ab 9 Jahren
Kinderbuch

Naoura, Salah: Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums. Roman

Flunkernd nach Finnland 

von Sarah Hartkens und Laura Wiegelmann (2011)

Mattis Mutter sitzt weinend im Gras, sein Vater starrt böse auf den See hinaus und sein kleiner Bruder Sami lässt fröhlich Steine übers Wasser flitschen, während Matti darüber nachdenken soll, was er da angerichtet hat. Die Familie sitzt in einem fremden Land zwischen ihren sechs vollgepackten Koffern und Reisetaschen, ohne Haus, ohne Auto, ohne Geld, und weiß nicht mehr weiter. Und das alles nur, weil Matti den drei größten Fehlern seines Universums begegnet ist. An dieser Stelle beginnt der elfjährige Matti, aus der Rückschau seine Geschichte zu erzählen.

Angefangen hat alles mit einem für bare Münze genommenen Aprilscherz in der Tageszeitung, der einen Delphin für den städtischen Ententeich versprach. Ebenso stellt Matti fest, dass seine Eltern gar nicht für die gefährdeten Tiere seiner Lieblingsfernsehsendung spenden, obwohl sie ihm dies vor sechs Jahren erzählt haben. Als schließlich der finnische Onkel Jussi mit seiner Frau zu Besuch kommt, gerät Mattis Welt ganz aus den Fugen: Papa Sulo, der endlich seinen Traumjob als Handyspiele-Entwickler bekommen haben will, verkündet einen Umzug in die Schweiz und verspricht der Familie ein Haus am See. Matti erfährt zu spät, dass auch dies geflunkert ist – aber da hat er bereits seinen besten, halbfinnischen Freund Turo, seine Mitschüler und seinen taxifahrenden Onkel Kurt über den bald anstehenden Umzug informiert.

Die ersten beiden 'Fehler des Universums' können schnell noch wieder gerade gebogen werden (Matti und Sami lassen ihre Badewannendelfine im Ententeich frei und spenden Mamas Kleingeldsammlung und Papas Zigarettengeld für die Giraffen), die Sache mit dem Umzug ist allerdings nicht so einfach. Matti findet in einer Hausverlosung und einem Hausmeisterjob in Finnland die gesuchte Lösung. Doch irgendwie funktioniert sein Plan zu gut: Sein Vater zerschlägt nach Holzfäller-Manier fast sämtliche Möbel, Matti wird von der Schule abgemeldet und seine Mutter kündigt ihre Arbeit in einer Arztpraxis. Auch Sami ist begeistert von dem neuen roten Haus am See und Matti findet keine Möglichkeit mehr, die ganze Sache aufzuklären. Sein Onkel hatte wirklich Recht damit, dass Lügen schneller wachsen als Bambuspflanzen.

In seinem Roman „Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“ führt Salah Naoura aus der Perspektive des Ich-Erzählers Matti die verwirrende Doppelmoral der Erwachsenen mit ihren Lügen vor. Matti ergreift die für ihn nur logisch erscheinenden Konsequenzen bei dem Versuch, die Unwahrheiten richtigzustellen. Dabei verstrickt er sich selbst mehr und mehr in Lügen. Der Druck auf den Jungen steigt. Matti riskiert sogar, die Freundschaft seines besten Kumpels Turo zu verlieren. Doch sein Mitgefühl mit dem enttäuschten kleinen Bruder und der frustrierten Mutter lassen Matti an seinem Vorhaben festhalten. Letztendlich ist es vor allem er selbst, der mit den Lügen der Erwachsenen zu kämpfen hat.

Salah Naouras Romanheld könnte an die Figur des Pinocchio erinnern. In letzter Instanz wird sein Handeln jedoch nicht sanktioniert, sondern sogar belohnt. Mit einem Augenzwinkern erfährt der Leser zum Schluss, dass es sich doch manchmal lohnt, der Wahrheit mittels einer Lüge nachzuhelfen. Da Mattis Handeln eine Folge der Lügen der Erwachsenen ist, sind es genau genommen sie, die das Motiv der hölzernen Marionette repräsentieren. Salah Naoura fasst also den Erwachsenen an die Nase und stärkt in seinem Roman die kindliche Perspektive gegenüber der Erwachsenenwelt.

Die kritische Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt erfolgt jedoch nicht eindimensional und plakativ. Sehr wohl werden die Gefühlsregungen und die Verletzlichkeit der erwachsenen Figuren aufgegriffen. Dem mangelnden Erfolg in seinem Berufsleben als Busfahrer und dem beengten Leben in der zu kleinen Wohnung werden die Träume des Vaters auf Selbstverwirklichung entgegengesetzt, die Mutter wird genau wie ihre Söhne zum Opfer von Lüge und Enttäuschung.

Der Onkel des Protagonisten, welcher seinen Schützling regelmäßig von der Schule abholt, wird zum Mediator zwischen Kind- und Erwachsenenwelt. Er spricht die Lügen der Erwachsenen aus, dennoch bagatellisiert er sie zugleich, sie seien nicht so schlimm. Hier wird noch einmal die moralische Schieflage der Erwachsenenwelt deutlich, welche aus kindlicher Perspektive kaum nachvollziehbar erscheint.

Salah Naoura greift in seinem Roman die verständnislose kindliche Perspektive gegenüber der Scheinmoral der Erwachsenen auf, ohne dabei zu moralisieren. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenspiel beider Perspektiven ein lebendiger sowie spannender Roman. Aus einem Wald von Lügen lässt der Autor das vom Leser sehnlichst erwartete Happy End erwachsen – dabei wirkt die Geschichte weder komisch noch gezwungen. Kurze finnische Passagen (mit Übersetzungen) und ein Email-Dialog mit Mattis bestem Freund Turo am Ende des Romans bringen zusätzlich Abwechslung in den auch sonst sehr unterhaltsamen Text. Für dieses Kinderbuch erhielt Salah Naoura den Peter-Härtling-Preis, der gemeinsam von der Stadt Weinheim und dem Verlag Beltz & Gelberg für einen bisher unveröffentlichten Text verliehen wird.

Redaktionelle Überarbeitung: Sarah Hartkens und Laura Wiegelmann

Leseprobe