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Leseprobe „Das Wasser, in dem wir schlafen“

Was gehört zu mir und was zu Lina? Diese Frage habe ich mir oft gestellt, als wir noch die gleichen Kleidergrößen trugen, mit den Fingern von einem Teller aßen und uns dabei mit den Füßen unter dem Tisch anstießen. Aber wären Lina und ich nicht Schwestern, wären wir uns nie begegnet, und falls doch, dann hätten wir kein Wort miteinander gewechselt. Jede hätte die andere nur verstohlen gemustert, vielleicht hätten wir uns aus Versehen in der Spiegelung einer Schaufensterscheibe in die Augen geschaut oder hätten an der Kinokasse dicht hintereinander gestanden und die feinen Haare im Nacken der anderen gesehen. Dann hätten wir den feinen Schweißgeruch der anderen bemerkt und als etwas Vertrautes eingesogen. Nach dem Film jedoch hätten wir verschiedene Ausgänge angesteuert. Wahrscheinlicher aber ist, daß wir uns nie begegnet wären und keine von uns je einen Verlust gespürt hätte. (S. 137)