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Titelbild
Richter, Jutta:
Die Katze oder wie ich die Ewigkeit verloren habe
Mit Illustrationen von Rotraut Susanne Berner
München: Hanser 2006
€ 12,90
Ab 7 J.
Kinderbuch

Richter, Jutta (Text) und Rotraut Susanne Berner (Illustration): Die Katze oder wie ich die Ewigkeit verloren habe

Nichts ist für die Ewigkeit

von Carolin Freers und Carolin Klein (2007)

Kann es eine bessere Entschuldigung für eine morgendliche Verspätung geben als die, dass man von einer alten, weißen, sprechenden Katze aufgehalten wurde? Für die achtjährige Christine nicht, denn dies ist die Wahrheit – ihr gehört die Ewigkeit. Christines Umfeld hat dafür jedoch kein Verständnis und bezeichnet sie als „Klüngelliese“ und als „mutwilliges Mädchen.“ Doch dies stört sie nicht weiter. Und so erklärt Christine im Zwiegespräch mit der Katze: „Du bist eine mutwillige Katze […] und ich bin ein mutwilliges Mädchen und eigentlich sind wir verzaubert und werden siebenundsiebzig Leben haben.“ Die Katze zeigt sich zunächst für Christine als einzige Ansprechpartnerin, die sich ihrer zahlreichen Fragen annimmt, die ihr die Erwachsenen nicht beantworten können oder wollen. So setzen sich die beiden mit Themen wie der Ewigkeit, den Weg der Zahlen in den Kopf und der Angepasstheit der Menschen auseinander.

Nach und nach wird aber klar, dass die Katze versucht, Christine von sich abhängig zu machen. Sie versucht, ihre Gedanken- und Phantasiewelt zu zerstören, und urteilt über die Mitmenschen des Mädchens kaltschnäuzig und hart. Ihr Versuch, einen Keil zwischen Christine und deren Umfeld zu schlagen, scheitert jedoch. Im Laufe der Zeit beginnt die Achtjährige, die Aussagen der Katze und ihr autoritäres Gehabe in Frage zu stellen. Sie erkennt das wahre Gesicht der Katze: „Die Katze war böse. Sie kannte kein Mitleid, sie kannte nur sich und die Mäuse.“ So wendet Christine dem Tier den Rücken zu und beginnt ihre Wege zu gehen. Sie entwickelt eigene Sichtweisen und Vorstellungen von der Welt und vom Leben.

Jutta Richter zeigt uns in „Die Katze“ in beeindruckender Weise den Prozess der Verabschiedung von einer durch kindliche Sichtweisen geprägten Welt. Ähnlich wie in ihren vorherigen preisgekrönten Werken „Der Hund mit dem gelben Herzen“ oder „Hechtsommer“ beschreibt sie eine Entwicklungsphase, in der kindliche Erklärungsmuster verloren gehen. Die zuvor zufriedenstellenden Modelle führen die Erklärungssuchenden nicht mehr weiter, und sie wagen einen ersten Schritt in die Welt des Erwachsenendenkens. Auch Christine befindet sich in diesem Prozess und wendet sich zunächst hilfesuchend an die Katze, da es ihr an erwachsenen Ansprechpartnern fehlt.

Das Heraustreten aus der kindlichen Lebenswelt schildert Jutta Richter aus Christines Perspektive – und das ganz unsentimental, gleichwohl poetisch und bildhaft. Die zuvor als fester Bestandteil Christines Lebens zu betrachtende Katze spielt nun, ohne großen Trennungsschmerz, keine Rolle mehr. Und so kann man sich als Leser fast sicher sein: Das Leben geht auch nach dem Verlust der Ewigkeit weiter.

Für die Ausstattung des Buches sorgte Rotraut Susanne Berner. Die die neun Kapitel eröffnenden Illustrationen werden in schwarz, weiß und gelb gehalten und sind klar und einfach strukturiert. Flächiger Tondruck wird mit Bleistift- und Kohlezeichnungstechniken kombiniert. Die Katze ist auf jedem der Bilder zu sehen, die teilweise die Inhalte des folgenden Kapitels aufgreifen.

„Die Katze“ erlaubt verschiedene Lesarten. Sowohl Kinder als auch Erwachsene werden angesprochen und zum Nachdenken angeregt. Während für Kinder die sprechende Katze als Bezugsperson eine reizvolle Figur darstellt, erkennt der Erwachsene die gesellschaftskritischen Aspekte der Geschichte und wird ermutigt, sein eigenes Verhalten gegenüber Kindern zu reflektieren. Bemerkenswert ist Christines Entwicklung im Laufe der Geschichte, die sie zur eigenen Entscheidungsfähigkeit führt. Sie erkennt, „dass alte weiße Katzen nicht immer alles wissen.“

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