Schubiger, Jürg & Franz Hohler (Text) und Jutta Bauer (Illustration): Aller Anfang
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde?
von Maria Kristina Rösner (2007)
Für Jürg Schubiger ist „Aller Anfang“ das Ei, rundherum rund und hart sowie zehn bis zwölf Meter lang, aus dem zuerst eine kleine Frau und dann der ganze Rest der Welt geschlüpft ist. Doch schon im nächsten Kapitel präsentiert Franz Hohler eine seiner Versionen und erzählt wie ein großer schwarzer Vogel eine Türe öffnet, hinter der sich im Dunkeln nur einen Spalt breit das Leben auftut. Abwechselnd, mitunter direkt aufeinander reagierend, stellen sich die beiden Autoren in ihrem 34 „Hin- und Hergeschichten“ die Frage aller Fragen: Wie mag die Welt wohl entstanden sein? Ihre Antworten überraschen und dekonstruieren teilweise augenzwinkernd die herkömmlichen christlich oder naturwissenschaftlich geprägten Vorstellungen von der Entstehung der Welt.
So wird in „Die Göttin“ ein vorgeblich lang geglaubter Irrtum aufgeklärt: Nicht Gott ist der Schöpfer von Himmel und Erde, sondern eine Göttin. Diese bittet Gott lediglich, all ihre neuen Schöpfungen auf einen Planeten zu bringen, „den sie etwas weiter hinten eingerichtet habe. Sie würde gerne auf dem unbedeutendsten anfangen“ – der Erde. Als Bote dieser schönen Dinge bleibt Gott bei den Menschen versehentlich als Schöpfer der Welt in aller Munde.
Es ist erstaunlich, wie vielfältig und verschieden die Themen und Untertöne der einzelnen Texte sind. Neben humorvoll-ironischen finden auch skurrile Geschichten und solche religiösen Inhalts ihren Platz. Die unterschiedlichen Typen und Aspekte lassen sich an vielen Stellen des Buches, mitunter auch innerhalb ein und derselben Geschichte, wiederfinden.
Eine kuriose Version von der Entstehung der Welt beginnt mit ein paar Turnschuhen. Die Entwicklung des Geschehens vollzieht sich rasend schnell und mit eigenartiger Logik: In den Turnschuhen stehen plötzlich Füße, die zu einem kleinen Jungen gehören, der kurz darauf mit einer Schnur Erde und Himmel trennt sowie einen Rosskastanienbaum pflanzt. Im Handumdrehen ist dieser Baum groß und kräftig, der kleine Junge ein junger Mann, der mit seiner Liebsten auf einem Ross davon reitet.
Genauso findet man aber auch langsamere und ruhigere Töne und Geschichten, in denen Religiosität eine Rolle spielt. In „Zauberei“ wird erzählt, wie ein Nüsschen und ein Zwetschgenstein von „einem kleinen Gott“ gesät werden. Nur durch festen Glauben, gegenseitige Hilfe und ganz viel Geduld entsteht aus dem Zwetschgenstein ein Baum und danach alles andere Leben.
Das Verstehen wird von der vielfältigen Gestaltung der Illustratorin Jutta Bauer unterstützt. Durch großzügige Bleistift- und Buntstiftzeichnungen, Scherenschnittcollagen und Rupftechniken schafft sie es, den Ton jeder einzelnen Geschichte auf ganz besondere Weise zu treffen. Dabei bildet sie nicht nur das Geschriebene ab, sondern erzählt Geschichten weiter, greift Details auf und lässt diese wiederkehren. Solche ersten Interpretationsangebote können besonders für junge Leser Anknüpfungspunkte sein. Außer den kunterbunten Zeichnungen sind sicher auch die einfallsreichen und simplen „Warum-Geschichten“ für Kinder sofort zugänglich. Warum das Kamel einen müden Blick hat, Löwen Fleisch fressen und der Teufel böse ist, wollte man immer schon einmal wissen.
Dass jeden Anfang auch immer ein Ende innewohnt, ist in einigen der kleinen Geschichten ebenfalls angedeutet. So gehört zu einem „kleinen Anfang“ von Jürg Schubiger, der das Buch eröffnet, am Ende auch ein „kleiner Schluss“ von Franz Hohler, der die Vergänglichkeit des Lebens thematisiert. Diese beiden Texte geben dem Buch einen Rahmen, in den die verschiedensten Geschichten rund um das Thema Schöpfung gefasst wurden. Wenn man sich auf den spielerischen Umgang mit diesem Thema einlässt und die Phantasie liebt, geben viele Stellen des Buches Anlass zum Schmunzeln, Staunen und Nachdenken, darüber, wie die Welt wohl entstanden sein mag.