Voltz, Christian: Das kleine Buch vom großen Leben
Lebenskünstler
von Dinah Selbach (2007)
Herr Paul, Herr Franz, Herr Ludwig und Herr Anton, das sind Menschen – wie du und ich. Nur sind sie nicht aus Haut und Knochen - wie du und ich, sondern aus Draht, Schrauben, Zahnrädern und Papier. Diese herrlich skurrilen Figuren finden sich in fünf kurzen, voneinander unabhängigen Geschichten wieder, die eines verbindet: Sie zeigen uns das „große Leben“ im Kleinen!
Da ist zum Beispiel Herr Paul, ein wirklich ‚drahtiger’ Kerl, dem, als er auf das Wachsen eines Samenkorns wartet, seine Ungeduld zum Verhängnis wird und der von einem Vogel um die Früchte seiner Arbeit gebracht wird ... Oder Herr Anton und Herr Ludwig, die sich um eine Kartoffelpflanze streiten und sich gegenseitig mit lautem „PENG!“ und „ZACK“ was auf die Holznasen und Knopfaugen geben. Dass die Pflanze zwischenzeitlich von einem fliegenden Etwas verspeist wurde, bekommen die Streithähne gar nicht mit – „Rülps!“
Der Leser muss unweigerlich schmunzeln, wenn ihm von Herrn Paul und Konsorten der Spiegel vorgehalten wird. Aber es geht nicht nur lustig zu: Mal poetisch, mal philosophisch, mal humorvoll, mal traurig und immer wieder augenzwinkernd beantwortet Christian Voltz die Frage, was denn das Leben so alles ausmacht.
So sieht der Alltag von Herrn Franz recht trist, eintönig und vor allen Dingen „grau“ aus: aufstehen, sich ärgern, zur Arbeit fahren, sich ärgern, arbeiten, sich ärgern – und zurück. Doch plötzlich wird Herr Franz völlig aus der Bahn geworfen, denn seinen grauen Anzug schmückt keine graue, sondern … eine gelbe Krawatte! Diese Erkenntnis bringt nicht nur Herrn Franz, sondern auch den Text der Buchseite gehörig durcheinander. „Oh Schreck“, „verflixt“, „lächerlich“, „gelb“, „Unglück über Unglück“, „ich kann nie mehr in den Spiegel sehen“: Die Worte verteilen sich in verschiedener Größe und einem regelrechten Tohuwabohu über die Seite. Doch gibt am Ende die gelbe Krawatte dem grauen Alltag von Herrn Franz unerwartet eine angenehme und farbige Note! Herr Franz, der wie alle Figuren durch seinen großen weißen Kopf und den viel zu kleinen Körper cartoonartig wirkt, verrät uns durch seinen unterschiedlich gebogenen Drahtmund auf witzige Weise, wie es ihm geht und er fühlt: Am Ende steht ein riesiges Grinsen in seinem Gesicht!
Eher nachdenklich geht das Buch zu Ende: Opapa erklärt seinem Enkel bei der Gartenarbeit, dass Omama weder unter der Erde bei den Würmern und Maden liegt, „Sie hatte doch solche Angst vor diesen Viechern!“, noch im Himmel mit den Wolken fliegt, „mit ihren 85 Kilo! Ho! Ho! Ho!“ Opapa weiß genau, dass sie gar nicht weg ist: „Sie hat ihren Garten nie verlassen, weil sie ihre Blumen so geliebt hat!“ – und Opapa natürlich auch, weshalb sie auch heute noch ab und zu ihre Hände im Spiel hat …
Jedes Bild ist patchworkartig aus verschiedenen Materialien zusammengestellt und je länger man es betrachtet, desto mehr Details können entdeckt werden. Kleinigkeiten wie z. B. Opapas Kartoffelnase und die freche Drahtfrisur des Enkels lassen jede Figur einzigartig, aber auch zum Lachen komisch aussehen. Ihre Umgebung besteht teils aus Packpapier, teils aus fotografierten Gegenständen, die aus Muttern, verrosteten Gabeln und Stofffetzen die Requisiten bilden. Christian Voltz versteht es meisterhaft, ihnen Leben einzuhauchen. Während die Gartenerde und ein Baum genau das sind, was sie zu sein scheinen, ist die Harke aus einem Pinselstiel und einer Holz-Drahtkonstruktion zusammengebastelt.
Kurze Kommentare des Erzählers unterstützen die Lebendigkeit der Bilder, und machen den Betrachter auf versteckte Details aufmerksam. Dass Herrn Franz die Milch auf dem Herd überkocht, übersieht man fast wird aber, gerade noch rechtzeitig, an einem vorschnellen Weiterblättern gehindert: „Vorsicht ... DIE MILCH KOCHT GLEICH ÜBER“. So steht zwar die Bildergeschichte im Vordergrund, der Text sorgt jedoch erst für den jeweiligen Witz.
Christian Voltz begeistert mit seinem „kleinen Buch vom großen Leben“ mit Sicherheit Jung und Alt. Denn es geht hier nicht um Helden, große Taten oder spannende Abenteuer, sondern man beginnt die kleinen Dinge des großen Lebens aufregend zu finden und zu entdecken, dass jede Situation die man erlebt, etwas Einzigartiges sein kann – und dass Leute wie Herr Franz, du und ich die kleinen Helden des Lebens sind… So unterschiedlich diese Geschichten zu sein scheinen zeigen sie das Leben, unser Leben, in all seinen Facetten, denn sie lassen uns auf das stoßen, was wir nicht übersehen sollten: ein Leben voller kleiner Überraschungen!