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Mark O’Sullivan:
Jimmy, Jimmy. Die Geschichte, wie mein Vater wieder 10 Jahre alt wurde
Aus dem Englischen von Anu Stohner
München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2013
340 Seiten
€ 13,95, Kindle Edition: € 11,99
Jugendbuch ab 14 Jahren

 

O’Sullivan, Mark: Jimmy, Jimmy. Die Geschichte, wie mein Vater wieder 10 Jahre alt wurde

Lernen, Hilfe anzunehmen

von Lisa Gregor (2014)

„Jimmy“, soll Eala sagen. Nicht mehr „Dad“, denn ihr Vater kann sich nicht mehr daran erinnern, dass er eine Tochter hat. Er erinnert sich auch nicht mehr daran, bis vor kurzem Geld mit dem Verfassen von Bilderbüchern verdient zu haben, und auch nicht mehr daran, wie man überhaupt schreibt, liest, Nudeln kocht oder Auto fährt. Dafür liebt es Jimmy, mit seinem Sohn Sean, den er einfach nur für einen Kumpel, vielleicht auch für seinen Bruder hält, und dessen bestem Freund Brian im Garten Fußball oder im Keller Videospiele zu spielen. Aber auch der gemeinsame Sport funktioniert nicht mehr so gut wie früher, weil Jimmy eine leichte Lähmung im Bein hat und insgesamt wenig Körperkontrolle.

Ein Unfall ist Schuld an dieser Situation, unter der nun die ganze Familie leidet: Während einer abendlichen Joggingrunde ist Ealas Vater von Clem Healy, einem Jungen aus der Nachbarschaft, mit dem Fahrrad umgefahren worden und mit dem Kopf hart auf eine Mauer aufgeschlagen. Nach dem Aufwachen aus dem Koma ist „Jimmy“ nun auf das geistige Niveau eines Kindes zurückgeworfen. Dabei wird er von diffusen Erinnerungsfragmenten verunsichert, die ihn immer wieder in spontane Aggressionsschübe ausbrechen lassen.

Von dem bunten und fröhlich wirkenden Cover von Mark O’Sullivans Roman „Jimmy, Jimmy. Wie mein Vater wieder 10 Jahre alt wurde“ sollte man sich nicht täuschen lassen: Sicher, es gibt einige komische Situationen in diesem Jugendroman, aber wirklich lustig ist hier wenig. Was „Jimmy, Jimmy“ tatsächlich liefert, ist eine eindringliche und mitunter traurige Familiengeschichte, die an vielen Stellen zum Nachdenken anregt. Die wichtigste Botschaft ist wohl, dass jeder Mensch seine eigenen Bedürfnisse und Probleme hat, deren Relevanz von außen nicht nachvollzogen werden kann. Gegenseitiger Respekt ist das Schlagwort, das als Fazit aus nahezu jedem Handlungsstrang herausklingt. Dabei driftet die Erzählung nie in einen belehrenden Tonfall ab, was auch der gewählten Erzählperspektive zuzurechnen ist. Ich-Erzählerin Eala versieht eventuelle Anklänge von offensichtlicher Moralisierung oder Kitsch mit ironischen Kommentaren und sperrt sich gegen jede Form von aufgezwungenem Gutmenschentum.

Dies begegnet ihr nicht zuletzt in Form der Sozialarbeiterin Fiona Sheedy, von Eala hämisch „Miss Understanding“ getauft, die bemüht ist, Ordnung in den Berg aus Problemen zu bringen, der sich vor der Familie auftürmt. Im Vordergrund steht dabei natürlich das Schicksal Jimmys, der aus seinem Leben als Illustrator gerissen wird. Doch seine gesundheitlichen Einschränkungen sind nicht die einzige Belastung für das Familienleben: Ealas Bruder Sean wird zu Beginn der Erzählung als jähzorniger Teenager präsentiert, der zu viel trinkt und mit Polizistensohn Brian herumhängt, der wiederum alles andere als einen guten Ruf hat. Eala hingegen tritt als die Vernünftige auf, die stundenlang mit dem zweijährigen Bruder spielt, ihre Mutter bei Krankenhausbesuchen begleitet und sich um den Haushalt kümmert.

Nur langsam wird klar, dass auch Eala an der Situation zu zerbrechen droht: Sie blockt den Kontakt zu ihrer besten Freundin ab, weil sie deren scheinbar selbstsüchtige Gesellschaft nicht erträgt, sie arbeitet nicht mehr bei der Produktion des Schulmusicals mit und gleitet schließlich in eine sich immer weiter steigernde Tablettenabhängigkeit. Konflikte mit ihrer Mutter, die für Eala herzlos wirkende Entscheidungen trifft, sowie mit der herrisch auftretenden Pflegerin Marta, die sich um Jimmy kümmern soll, belasten Eala ebenso wie die sich beinahe gegen ihren Willen anbahnende Verliebtheit in Brian. Nur langsam beginnt Eala zu verstehen, dass sie nur dann einen Weg aus ihrer Spirale aus Wut und Schmerz findet, wenn auch sie lernt, Hilfe anzunehmen.

Trotz der angenehm nüchternen Erzählstrategie ist die kaum zusammenfassbare Masse an dramatischen Nebenhandlungen, die in „Jimmy, Jimmy“ aufgeführt wird, an einigen Stellen zu überpräsent, um überzeugend zu wirken. Sicher gehören die Erzählung über die Fehlgeburt, die Ealas Mutter erleidet, und die Familiengeschichte von Unfallverursacher Clem zu den Szenen, die den Roman lebendig wirken lassen, doch gibt es auch einige Momente, an denen die Handlung zu übersteigert wirkt. Die düstere Vergangenheit beispielsweise, die Jimmy Frau und Kindern bisher verschwiegen hatte und die ihn jetzt einzuholen beginnt, obwohl er sie weder erzählen noch memorieren kann, gehört zu den dramatischen Übertreibungen, mit denen der Autor den kühlen Charme gefährdet, der die eigentliche Qualität des Romans ausmacht.

Ein durchaus charmantes Detail bezieht sich auf den Titel des Buchs; „Jimmy, Jimmy“ heißt ein Lied der Punkband „The Undertones“. Dessen Zeilen in der Schlusstrophe „Now little Jimmy’s gone/ He disappeared one day/ But no one saw the ambulance/ That took little Jimmy away“ wirken sehr programmatisch.

Unabhängig davon, wie man die einzelnen Handlungsstränge bewerten will, ist festzuhalten, dass es einen bleibenden Eindruck hinterlässt zu beobachten, wie die Familienmitglieder nach und nach lernen, mit der Katastrophe umzugehen. Dabei müssen sie zwar erkennen, dass es Dinge im Leben gibt, die für immer verlorengehen können und sich auch nicht wiederherstellen lassen, sie erhalten dabei aber auch gleichzeitig die Gelegenheit, enger zusammenzurücken und sich auf einer neuen Ebene kennenzulernen. Man gewinnt das Gefühl, gemeinsam mit den Romanfiguren etwas erkannt zu haben, das Ealas Vater vor seinem Unfall ungewollt sehr treffend zusammenfasst hat: „Wir schauten den Schwänen zu, die elegant vorüberglitten, und Dad sagte, wir sollten unter die Wasseroberfläche schauen, auf die Füße mit den Schwimmhäuten, mit denen sie paddelten wie verrückt. ‚Cool auszusehen ist harte Arbeit‘, sagte er.“

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