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Titelbild
Melvin Burgess:
Death
Aus dem Englischen von Kai Kilian
Hamburg: Chicken House (Carlsen) 2014
345 Seiten
€ 14,99 / Kindle Edition € 10,99
Jugendroman ab 14 Jahren

 

Burgess, Melvin: Death

Was ist das Leben im Angesicht des Todes?

von Anika Straub (2014)

„Was würdest Du tun, wenn du durch eine Droge die beste Woche deines Lebens hättest, aber anschließend sterben müsstest?“

Melvin Burgess entwirft in seinem nach einer Droge benannten neuen Roman „Death“ eine Dystopie, in der diese Frage ein zentrales Leitmotiv ist. Death, so die Geschichte, kommt aus der Sterbehilfe, durch sie soll dem Patienten noch eine Woche ohne Leid geschenkt werden, gefolgt von einem raschen und schmerzlosen Tod. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die Droge auch für junge und gesunde Menschen reizvoll sein könnte, zumal es kein Gegenmittel gibt. Aber im Manchester der Zukunft ist es ‚die‘ Kultdroge geworden, denn man werde, so erzählt man sich, mit dieser Pille für eine Woche die Superversion seiner selbst sein: superjung, sexy, erfolgreich in allem Tun, und die Welt liege einem zu Füßen. Und dies scheint manchem mehr wert zu sein als ein ganzes Leben.

Vor dem Hintergrund einer dystopischen Gesellschaft entspinnt sich ein Thriller mit Adam und Lizzie als Protagonisten. Sie sind siebzehn und ein ungleiches Paar, denn Adam gehört der Unterschicht an, ist arm und perspektivlos. Lizzie hingegen zählt zur reichen Oberschicht und muss sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Jedoch ist dies nicht immer so gewesen: Adam und Lizzie kennen sich noch aus Kindertagen, denn auch Adam ist einst Teil von Lizzies Welt gewesen. Adams Vater hat jedoch durch einen Arbeitsunfall seine Stellung verloren, und so ist die ganze Familie ins gesellschaftliche Abseits geraten. Sie hat umziehen müssen, Adam hat die Schule wechseln müssen. So haben sich Adam und Lizzie aus den Augen verloren; erst Jahre später finden sie sich wieder. Adam hofft, durch die Verbindung mit Lizzie sein Ansehen aufbessern zu können. Zusammen besuchen sie ein Konzert von Jimmy Earl. Dieser ist der Kurt Cobain und Jim Morrison der Zukunft. Gerüchten zu Folge soll er Death geschluckt haben, und seine „Draufgehliste“ („[W]as tue ich in meiner letzten Woche?“) soll legendär sein. So werden die beiden jungen Leute dann auch wirklich Zeuge, wie Jimmy auf der Bühne leblos zusammenbricht: Death tötet ihn exakt nach sieben Tagen auf die Minute genau.

Der Musiker setzt durch seinen öffentlichen Tod ein Zeichen, das ungeahnte Konsequenzen hat. Eine Massenhysterie bricht los, die Fans rasten aus. Krawalle ziehen sich vom Konzertgelände quer durch die ganze Stadt. Auf einmal gibt es das Tausende Pfund teure Death gratis in schier unglaublichen Mengen. Hemmungen gehen verloren, die Jugendlichen schlucken im Rausch der Stunde zu Tausenden die folgenschwere Pille. Die Situation ist außer Kontrolle, es wird geplündert und randaliert und die Polizei steht machtlos daneben. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Tausende junger Menschen auf Death sind und in Kauf nehmen, nach einer Woche sterben zu müssen?

Burgess‘ Dystopie ist eine Überspitzung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. In „Death“ geht die Menschheit den Bach runter. Es herrscht Regression seit über zwanzig Jahren. Es gibt sehr viele Menschen, aber nur sehr wenige Jobs. Alles Geld ist im Besitz der Banken und Großkonzerne, der Zustand der Wirtschaft ist desaströs, die Sozialleistungen sind lächerlich gering. Die Großkonzerne sind längst mächtiger als alle Staaten zusammen. Es gäbe theoretisch genug Ressourcen in der Welt, um alle Menschen mit Nahrung, Kleidung und Bildung zu versorgen, aber alles wird für Banken und Waffen ausgegeben. Die Gesellschaft liegt im Sterben, denn drei Viertel der Menschheit hungert. Die Nachrichten werden von der Regierung gesteuert, die Wahrheit kann nur im Internet oder durch die sozialen Medien erfahren werden. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft eklatant auseinander.

Diese vom Autor gezeichneten Missstände sind der klassische Nährboden für Unruhen. Eine Revolution ist unvermeidlich. An ihrer Spitze stehen die „Zeloten“, eine militante Mischung aus „hirnverbrannter Protestbewegung und bewaffnetem Rebellentrupp“. Ihr Markenzeichen sind Rattenmasken, ihre Schlachtrufe: „Kostenloser Käse für alle!“ und „Unser Tag wird kommen!“ Trotz der unernsten Züge sind sie nicht zu unterschätzen, denn sie sind bereit, für ihre Überzeugungen zu sterben. Und sie verwandeln sich von einer verrückten Randerscheinung zur Zugkraft der Revolution. Sie stecken auch hinter der kostenlosen Death-Schwemme. Deather sind gefährlich, denn sie haben nichts zu verlieren. Dadurch werden sie von den Zeloten für ihre politischen Ziele instrumentalisiert, und ausgerechnet dieser Vereinigung schließt sich Adams Bruder Jess an, der bis zu seinem unerwarteten Verschwinden und der Offenbarung, dass er ein Zelot ist und als solcher gestorben sein soll, als langweilig, unauffällig und absolut regelkonform gegolten hat.

Für Adam entwickelt sich das Leben durch das plötzliche Verschwinden seines Bruders, der bisher als Chemiker das finanzielle Standbein der Familie gewesen ist, in eine ungewollte Richtung. Jede Menge Arbeit zu einem Hungerlohn und keine Aussicht auf Besserung sollen nun sein Leben sein. Die Schule und sein Traum, Fußballprofi zu werden, sind von einem auf den anderen Tag vorbei. So kommt es, dass er, als sich für ihn die Gelegenheit ergibt, ebenfalls Death schluckt. So nimmt die Entwicklung ihren Lauf. Sieben Tage – der Countdown läuft: ein Schwanken zwischen Euphorie und Wahnsinn, Egoismus und Altruismus, Angst und Verdrängung, Liebe und Hass, Lust und Wut – und die Erkenntnis, dass das eigene Leben, in dem Wissen des baldigen eigenen Todes, doch erstrebenswerter ist, als man geglaubt hat.

Nicht zuletzt durch die auktoriale Erzählanlage ist es Burgess möglich, die Handlungsorte schnell wechseln zu lassen, oft gibt es chaotische Menschenmassen, viel Hysterie und Wahnsinn. Das Erzähltempo ist unglaublich schnell, und der Leser hat das Gefühl, von Level zu Level gepusht zu werden. So erreicht das Szenario seinen Gipfel, als Lizzie auf der Suche nach einem Gegenmittel für Adam in die Hände des psychopathischen Christian gerät, eines ältlichen „Teenager[s] von 45 Jahren, der aussieht wie ein Skater aus den 90ern“. Christian ist der Sohn des Drogenbarons, psychotisch und ein Killer. Von seinem Bodyguard bewacht, der versucht ‚Schadensbegrenzung‘ zu betreiben, hält er Lizzie als seine „Freundin“ gefangen, foltert und misshandelt sie. Christian tötet seine Opfer am liebsten, indem er ihnen präzise Schnitte durch die Wirbelsäule zufügt. Sein Lieblingsschnitt ist der C4: Gelingt dieser, kann der Gepeinigte sein Sterben ganz langsam und bewusst miterleben, ohne sich dabei bewegen zu können. Durch die Figur Christian wird „Death“ zu einem skurrilen und Ekel auslösenden Psychothriller. Als Adam Lizzie zur Hilfe eilt, steigt die Spannung noch einmal an und die Geschehnisse prallen nur so aufeinander.

Im Finale wird klar, dass die Zeloten zur Erreichung ihrer politischen Ziele eine in ihren Ausmaßen unvorstellbare Verschwörung verübt haben: Jess hat seinen Tod nur vorgetäuscht, um besser für die Zeloten operieren zu können. Die verteilte Droge ist gar kein echtes Death gewesen, und Tausende für tot geglaubte Menschen bekommen ihr Leben zurück – unter ihnen ist auch Adam.

Melvin Burgess schafft es, in einem spannenden Thriller verpackt und vor dem Hintergrund einer dystopischen Gesellschaft, politik- und gesellschaftskritische Themen aufzugreifen, die unübersehbare Aktualität besitzen. Er konstruiert seine Geschichte um philosophische Fragestellungen, die gerade in der Zeit des Heranwachsens enorme Brisanz besitzen und durchaus zum Nachdenken anregen.

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