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Neil Gaiman:
Die verrückte Ballonfahrt mit Professor Stegos Total-locker-in-der-Zeit-Herumreisemaschine
Zeichnungen von Christ Riddell
Aus dem Englischen von Ursula Höfker
Würzburg: Arena 2014
160 Seiten
€ 9,99
Illustriertes Kinderbuch ab 9 Jahren (zum Vorlesen ab 6 Jahren)

Gaiman, Neil (Text) und Chris Riddell (Illustration): Die verrückte Ballonfahrt mit Professor Stegos Total-locker-in-der-Zeit-Herumreisemaschine

Abenteuer mit Milch

von Florian Gatz (2014)

Die Mutter muss zu einer Konferenz und lässt ihren Mann mitsamt Sohn und Tochter allein zu Haus. Als Familienmanagerin hat sie ihrer Familie alle wichtigen Termine für die Tage ihrer Abwesenheit notiert, ihnen Essen portionsweise zubereitet und eingefroren. Mit letzten Tipps für den Familienvater verlässt sie das Haus: „Oh, und wir haben fast keine Milch mehr. Du musst welche kaufen.“

Am nächsten Morgen wird das Problem akut. „Im Kühlschrank war nur Orangensaft. Sonst nichts, was man über Knusperringe hätte gießen können [...]. ,Keine Milch’, stellte meine Schwester fest.“ Konsequent beschließt der Vater, im Laden an der Ecke Milch zu besorgen. Erst nach einer Ewigkeit kommt er wieder und wird von seinen Kindern zu einer Erklärung für seine Verspätung gedrängt. Jetzt erzählt der Vater eine haarsträubende Geschichte, wie es dazu gekommen sei:

Nach einer Entführung durch Außerirdische, denen er knapp entkommen sei, sei er in ein Raum-Zeit-Kontinuum geraten. Er habe sich auf einem Piratenschiff wiedergefunden und sei dort schließlich von Professor Stego, einer zeitreisenden Stegosaurierdame, gerettet worden, die mit ihrem Heißluftballon durch die Zeit reisen könne. Die folgenden Stationen der gemeinsamen Reise zurück zu seinen Kindern steigern sich in ihrer Absurdität. Laut den Worten des Vaters haben Ureinwohner nach einer Opfergabe für ihre Gottheit Klottz getrachtet, ein Vulkan ist ausgebrochen, vampirähnliche Wumpire haben dem Duo an den Kragen gewollt, und im Finale haben es die Abenteurer mit dem gesamten Aufgebot ihrer Widersacher zu tun bekommen.

,Selbstverständlich’ verweist der Vater in seiner Erzählung wiederholt darauf, dass er in heroischer Art und Weise dabei stets das Wohl seiner Kinder in den Vordergrund gestellt, die von ihm gekaufte Milchtüte vor jeglicher Gefahr geschützt und unter Einsatz seines Lebens gerettet habe. Dabei habe er noch nicht einmal das Risiko gescheut, gleich die Existenz des gesamten Universums aufs Spiel zu setzen.

Es wird auf zwei Ebenen erzählt. Der Sohn beginnt als Ich-Erzähler und führt den Leser in die Situation ein. In der Geschichte des Vaters wird dieser dann zum Ich-Erzähler und schildert mit zahlreichen lautmalerischen Einlagen und in bildlicher Sprache seine Abenteuerreise: „Es machte Sirr und Worchel und Klamper und dann schossen wir durch das kosmische Nichts.“ Oft bezieht die Erzählung dabei Komik aus Wortneuschöpfungen. „Magst du hart-haarig-nass-weiße Knackis?’, fragte der Stegosaurus unvermittelt. ,Kokosnüsse?’ vermutete ich.“ Dadurch, dass er den Protagonisten seiner Geschichte komische und auch skurrile Eigenschaften und Verhaltensweisen andichtet, nimmt die Ballonfahrt absurde Züge an. Die Milch wird zur bestimmenden komischen Größe in der Erzählung. Sie wird auf unterschiedlichste Art diskutiert („nass-weißes Trinkzeug“), ist Teil einer Prophezeiung und vermag sogar das Ende des Universums herbeizuführen. Dass dieses dann doch nicht eintritt, steigert nur noch die Absurdität des Buches: Anstelle der großen Katastrophe erscheinen drei tanzende Zwerge mit Blumentöpfen auf den Köpfen.

Zweifel und Korrekturvorschläge der Kinder werden durch Erzählerwechsel zurück zum Sohn markiert. „,Moment mal! Er war ein Stegosaurus?’, vergewisserte ich mich. ,Ja.’ ,Wie kann er dann so einfach eine Strickleiter hinaufklettern?’“ Solche ‚Fehler‘ lässt der Sohn so nicht gelten. Die Schwester äußert einen Wunsch: „,Kommen in der Geschichte auch Ponys vor?’, fragte meine Schwester. ,Ich finde, es wird Zeit für Ponys.’“

Typografisch setzt Gaiman einzelne Worte in Szene. Das Auge des Klottz wird zum AUGE des KLOTTZ, gedruckt in übergroßen Lettern. Das plötzliche zweite Erscheinen der Außerirdischen unterbricht die Professorin beim Sprechen: „Hat mich sehr gefreut, dich als MitfAAHRG“. Die Buchstaben werden vom ersten A bis zum G stetig größer und nehmen die ankommende Bedrohung auf. Gaiman schafft hier eine Dynamik und nimmt typografisch Einfluss auf Lautstärke und Stimmung seines Textes. Er unterstreicht diese zusätzlich durch die Anordnung einzelner Wörter oder Sätze. Eine Doppelseite ist beispielsweise komplett schwarz gehalten. Der Text ist weiß, links oben kann man lesen: „Und dann war es dunkel“, eingerückt zur Mitte der Seite dann in deutlich größeren Lettern: „Sehr dunkel.“ Die zweite Seite beginnt im unteren Drittel, ebenso groß gedruckt: „,Huch’,“ und schließt rechtsbündig am unteren Ende in normaler Schriftgröße mit „entfuhr es Professor Stego.“

Besonderer Augenmerk und Reiz liegt auch in den Illustrationen von Chris Riddell. Der britische Illustrator ist u.a. für seine Zusammenarbeit mit Paul Stewart bei „The Edge Chronicles“ bekannt, und er liefert auch im vorliegenden Buch überzeugende Arbeit: Seine Bilder tragen die Geschichte und geben dem Text die passenden Gesichter. Er behält stets das Auge für entscheidende Details (Wumpire mit Krallen und Eckzähnen, die Piratenkönigin mit einem Papagei auf der Schulter) und steuert sinnvolle Ergänzungen und Vorwegnahmen zur Geschichte bei. So findet sich als erstes Bild die das Buch beherrschende Milchtüte. Das erste ganzseitige Bild der Küche enthält bereits alle Komponenten der vom Vater erzählten Geschichte (Ballon auf Kalender, Blumentöpfe, Ponys, Vampirbuch, Vulkan, Außerirdische usw.), welche von den Kindern am Schluss zweifelsfrei als Erzählanlässe des Vaters identifiziert werden. Auch die Zeitung, die der Vater zu Beginn des Buches liest, präsentiert mit Berichten über das Ufo oder die Gottheit Klottz bereits Inhalte der Erzählung.

Die lange Wartezeit der Kinder wird allein durch eine Seite im Comicstil dargestellt: Man sieht, wie sich der Sohn die Zeit vertreibt. Finden sich in der ersten Zeile nur zwei Panels, werden diese in jeder Zeile um jeweils ein weiteres Panel ergänzt, bis sich in der vierten Zeile fünf Panels ‚quetschen‘. Die Ungeduld des Kindes, der Vater möge endlich kommen, wird so auch auf der bildlichen Ebene deutlich. Den Abschluss des Buches gestaltet Riddell im Alleingang. Im Text nicht genannt, avanciert eine Piratendublone, die dem Vater zu Beginn der Geschichte von den Piraten übergeben worden ist, zeichnerisch zum ‚Wahrheitsbeweis‘ der väterlichen Erzählung und erhält einen Ehrenplatz auf der letzten Seite der Geschichte. Ihr folgen dann Darstellungen der aufgereihten Protagonisten der fantastischen Reise.

Riddells Zeichnungen sind mit Tusche gearbeitet, Plastizität erhalten sie durch Schraffuren und den starken Schwarz-Weiß-Kontrast. Dieser findet seine stärkste Ausprägung in der Darstellung einer Silhouette im Stile eines Scherenschnitts. Einen zusätzlichen Reiz entfalten die gekonnten Bildzitate. Zwei Milchtüten werden wie Popart inszeniert, die Covergestaltung von „Professor Stegos Führer zu allem in der gesamten Zukunft“ ähnelt einem Filmplakat zu King Kong, die Wumpire finden ihre Vorbilder bei filmischen Artgenossen: „Nosferwatu“ ist dem berühmten Untoten nachempfunden, der „Bleich blasierte Edvard“ lässt deutliche Rückschlüsse auf „Twilight“ zu.

Die Verbindung von Text und Bild überzeugt: In mitunter nahezu anarchischer Seitengestaltung wird der Schriftsatz den Bildern angepasst, windet sich um kleine (Ponys, Kinder, Außerirdische) und große Bildarrangements (Vater an Strickleiter) herum oder wird als Textfeld über die Illustration gelegt (tanzende Zwerge mit Blumentöpfen auf dem Kopf). Auf diese Weise wird die ebenfalls verwendete Technik, Textseite neben Bildseite zu setzten, aufgebrochen und unterstreicht dadurch das Tempo der Erzählung.

Die faszinierende Geschichte mit offenem Ende (Könnte die Dublone nicht doch ein Beleg für den Wahrheitsgehalt der Erzählung sein?) gelingt dem Duo Gaiman/ Riddell sehr gut. Die von Komik, Spannung und hohem Tempo lebende Erzählung findet in den Bildern ihre Entsprechung und ist für Kinder ab neun Jahren und zum Vorlesen auch schon für Kinder ab sechs Jahren geeignet.

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