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Titelbild
Gabi Kreslehner
Charlottes Traum
Weinheim Basel: Beltz & Gelberg 2009
117 Seiten
€ 12.95
Jugendbuch ab 12 Jahren

Kreslehner, Gabi: Charlottes Traum

Abschied vom Erdbeerbaum

von Sylvia Kottmann und Sandra Piecha (2009)

Auch wenn viele Trennungen mit Schmerz, Trauer und Wut verbunden sind, sind sie doch gleichzeitig befreiend, nötig oder überfällig. Das ist nicht immer einfach und schön, aber gehört zweifellos zu unser aller Leben dazu. Vielleicht können wir uns gerade deshalb so gut in die Protagonistin Charlotte hineinversetzen, die schnell feststellen muss, dass das Leben kein Ponyhof ist. Ihre Eltern lassen sich trennen, und Charlotte muss erfahren, was dies bedeutet. Doch dann kommt da dieser neue Junge, Carlo. Er sieht nicht nur umwerfend aus, sondern ist auch nett und hat ein Auge auf Charlotte geworfen. Die genießt sonst wenig Beliebtheit in der Klasse, und ihre beste Freundin lässt sie auch im Stich. So wie ihre Eltern, die sich ja unbedingt scheiden lassen müssen. Der Traum einer behüteten Kindheit zerplatzt, und es wird Zeit, ihren geliebten Erdbeerbaum loszulassen.

Der wenig innovative Titel „Charlottes Traum“ und das Cover von Gabi Kreslehners mehrfach ausgezeichnetem Erstlingswerk lassen zunächst einen gewöhnlichen Mädchenroman vermuten. Doch bereits auf den ersten Seiten wird offensichtlich, dass es sich hier nicht um eine eindimensionale, verträumte Protagonistin handelt, denn die 15-jährige reagiert auf die Trennung ihrer Eltern und die rasante Wendung ihres bisher ‚süßen’ Lebens nicht mit Rückzug, sondern mit lautstarkem Protest und Wut auf die Welt. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund; nicht selten enden ihre Stimmungsschwankungen in aufbrausenden Auseinandersetzungen mit ihren Eltern und Mitschülern. „Charlottes Traum“ ist keine klischeehafte Liebesgeschichte zwischen Teenies. Vielmehr geht es um die Entwicklung einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung zwischen der mädchenhaften Charlotte, dem charmanten Carlo und dem schroffen Sulzer. Die unerfahrene Charlotte lebt noch in ihrer kindlich naiven Welt, in der sie gar nicht merkt, dass sie von gleich zwei Jungs umgarnt wird. Die sich sodann entwickelnde Liebe zwischen ihr und Carlo wird für Charlotte zum Katalysator ihrer eigenen Entwicklung.

Kreslehner gelingt es, mit Klischees zu spielen, die sie aber immer wieder sofort unterläuft. Der Leser wird so vom Verlauf der Handlung immer wieder überrascht und bis zum Ende über deren Ausgang im Ungewissen gelassen. Und weil Kreslehner mit „Charlottes Traum“ keine unrealistische Teenie-Romanze entwirft, darf der Leser sich auch allenfalls auf ein irdisches Happy End freuen. Carlo verbringt die Sommerferien in Italien, und Charlotte beschließt kurzerhand, ihn dort zu besuchen. Ohne ihren Eltern Bescheid zu sagen, kauft sie sich von ihrem Taschengeld eine Fahrkarte und steigt in den Zug. Doch am Bahnhof angekommen, wird sie nicht mit Freudentränen und innigen Küssen empfangen. Carlo schaut in eine andere Richtung und sieht sie nicht.

Kreslehner erschafft mit Charlotte eine sensible und authentische Protagonistin. Sie ist nicht nur das Opfer der Scheidung ihrer Eltern, sondern reift durch das Erlebte langsam, in kleinen Schritten und lernt sich zu wehren und abzugrenzen. Es ist eine enorme Entwicklung, die sie dabei auf den gut 100 Buchseiten durchläuft: vom wohlbehüteten und später rebellierenden Teenager zur jungen Frau, die ihr Schicksal akzeptiert und durch ihre erste eigene Liebe beginnt, die Probleme ihrer Eltern zu verstehen, und diesen langsam wieder näherkommt.

Auch in Charlottes eigenem Liebesleben läuft es alles andere als vorhersehbar und einfach. Denn was Charlotte und Carlo verbindet, ist zunächst nicht die Liebe, sondern die Erfahrung von Trennung und Verlust. Carlos Vater kam bei einem Unfall ums Leben; da seine Mutter nichts mehr in Italien hält, verlässt der Junge zusammen mit ihr sein geliebtes Heimatland. Carlo und Charlotte wissen beide, was es heißt, Abschied zu nehmen. Aus diesem gemeinsamen Verständnis entwickelt sich ihre Liebe. Wegen ihrer gemeinsamen Erfahrungen nähern sie sich ganz allmählich an. Auch wenn Charlotte durch das Scheitern der Ehe ihrer Eltern begreift, dass die Liebe endlich ist und vielleicht nicht mehr als ein „fuoco di paglia“ – ein Strohfeuer – entschließt sie sich, es trotzdem zu versuchen: „Wirst verlieren! Dir nix ersparen! Auf Friss oder stirb! Auf Leben oder Tod! Wumm, dachte ich, wie dramatisch! Heldenepos oder so! Und wusste, es würde sein, wie es eben war.“

In ein- bis vierseitigen kapitelähnlichen Episoden gelingt es Kreslehner, die unterschiedlichen Befindlichkeiten ihrer Protagonistin von lähmendem Entsetzen, Unverständnis, Trauer und Wut bis hin zu eigenem Verliebtsein und Verständnis für die Eltern in treffenden sprachlichen Bildern einzufangen. Dabei sind die einzelnen Episoden nie langatmig, wodurch die unterschiedlichen Gefühlslagen umso eindrücklicher nachvollziehbar werden.

Die unverfälschte jugendliche Sprache, die Kreslehner Ihrer Ich-Erzählerin gibt, ermöglicht dem jungen Leser, sich in Charlottes Welt einzufühlen und sich mit dem Schicksal des Mädchens zu identifizieren. Charlottes witzige Bezeichnungen, mit denen sie ihre Mitmenschen prägnant charakterisiert – sie betitelt die neue Eigentümerin ihres ehemaligen Zuhauses zum Beispiel als „zart, blond, hell gebackenes Flaumtörtchen“ – sorgen neben der oft derben Jugendsprache dafür, dass das eigentlich sehr ernste Thema aufgelockert wird. Zahlreiche Metaphern und Natursymbole, wie zum Beispiel Charlottes geliebter Erdbeerbaum, der sie ihre ganze Kindheit begleitet hat und von dem sie schließlich Abschied nehmen kann, verleihen dem Buch einen poetischen Anstrich.

„Charlottes Traum“ liest sich mit einem weinenden und einem lachenden Auge und ist dabei so bitter und süß, so ernst und witzig wie das Leben selbst.

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