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Tot gespart – 95 Jahre Arbeit und trotzdem reicht es nur für 1,7 m²!

von Dalizia Demke, Lea Hunscheidt, Hannah Prior und Celine Tozun (2023

‚Ausgerechnet heute geht es ihr gut? Es musste ein Irrtum vorliegen. Fast fünfundneunzig Jahre alt war seine Mutter, bevor sie starb. Ihr Leben lang hatte sie ihm gesagt, ihr gehe es schlecht. Ausgerechnet heute geht es ihr gut? Das kann nicht sein.‘

In seinem neuen, relativ kurzen Roman „Eigentum“ widmet sich der mit den Brenner-Krimis bekannt gewordene und vielfach ausgezeichnete Autor Wolf Haas der bewegenden Lebensgeschichte seiner im Alter von beinahe 95 Jahren verstorbenen Mutter. Er begleitet sie sozusagen erzählend noch einmal auf ihrem harten Weg zur Verwirklichung des Traums von materiellem Wohlstand und sozialer Anerkennung – also auf der erst ganz zum Lebensende hin und auf absurde/tragikomische Weise erfolgreichen Suche nach dem titelgebenden Eigentum. Denn ein Leben lang hat die Mutter hart gearbeitet und unermüdlich versucht, genügend Geld für den Kauf eines Eigenheims zu sparen: Hatte sie zehn Schilling pro Quadratmeter angespart, kostete der Quadratmeter aufgrund der Inflation aber mittlerweile zwanzig Schilling. Und dann wurden die zwanzig Schilling wiederum zu vierzig. So vermochte sie es nie, sich ihren Traum vom eigenem Heim zu erfüllen und ihre ‚kapitalistische Geschichte‘ bleibt nur ein endloser Zyklus aus Entbehrung, Arbeit und Sparanstrengungen.

Auf seiner Reise in die Vergangenheit der Mutter, die zugleich auch eine Reise in die eigene Kindheit ist, kommen der Erzählerfigur, die wir nur zu gerne mit dem realen Autor Haas gleichsetzen möchten, so manche skurrilen Gedanken, wie etwa die seltsame Ähnlichkeit zwischen Hochzeiten und Begräbnissen. Er schweift systematisch in schräge, teilweise absurde, dabei meist sehr hellsichtige Überlegungen ab, ‚singt‘ Lieder oder errechnet Quadratmeterpreise, was zunächst Verwirrung auslösen kann, weil das Buch, das auch ein Totengespräch ist, teilweise wie ein Selbstgespräch wirkt. („Eigentum“ ist also Jugendlektüre, kein eigens an Jugendliche adressiertes Werk.) Eine Besonderheit auf sprachlicher Ebene ist zudem, dass Haas an einigen Stellen den Dialekt seiner Mutter nachahmt, um ihre Stimme möglichst ‚authentisch‘ wiederzugeben. Überhaupt zeichnet er ein ehrliches und ungeschöntes Bild einer Person mit Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese sehr persönliche Autofiktion Haas’ Versuch darzustellen scheint, von der Trauer über den Verlust seiner Mutter zu erzählen und dass er ihr von Mühsal und Arbeit geprägtes Leben in seinem Roman festhält, bevor es unwiederbringlich verblasst: „Eigentum“ leistet also, auch in Form einer Kindheitsgeschichte, Erinnerungsarbeit und ‚framt‘ dies zudem durch das Nachdenken über eine Poetikvorlesung, derer sich das Autor-Ich angenommen hat. Dieses Setting und die außergewöhnliche Kombination von Haas-typischem grimmigen Humor, seinem lakonischen Schreibstil und der Erzählung von tiefen Emotionen sorgen dafür, dass, durch die Fokussierung auf die innere Handlung, ein vielschichtiges und zum Nachdenken anregendes Werk gelingt, welches man, wie die Figur der eigenwilligen Mutter, nicht vergessen wird!

 

Bibliografische Angaben:

Wolf Haas
Eigentum
Berlin: Carl Hanser Verlag
160 Seiten
Jugendbuch ab 16 Jahren

 

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