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Westera, Bette (Text) und Sylvia Weve (Illustration):
Überall und Nirgends
Übersetzung aus dem Niederländischen: Rolf Erdorf
München: Rieder 2016
EA 2014 u.d.T.: Doodgewoon
112 Seiten
€ 25,00
Illustriertes Kinderbuch ab 8 Jahren

Westera, Bette (Text) und Sylvia Weve (Illustration): Überall und Nirgends

Vom Leben mit dem Tod

von Jana Gelies, Lara Tegler und Kun Wu (2017)

“Das Sterben macht mir keine Angst. / Der Tod ist nur für eben.
Erscheint er auch als Ewigkeit, / im Grab, da gibt es keine Zeit.
Die Zeit gehört zum Leben.”


Die Gedichte, die im Band „Überall und Nirgends“ zusammengefasst sind, handeln vom Leben und vom Tod, von der Lebenszeit und deren Ende, von Trauer und von Hoffnung und vom Leben nach dem Tod. Dabei ist das Spektrum der Sterbenden und Gestorbenen, um die es in den Gedichten geht, sehr groß: Der Tod einer Raupe oder eines Haustieres ist ebenso Gegenstand wie der existentielle Verlust eines Familienmitgliedes oder Kindes. Auch verschiedene kulturelle und religiöse Perspektiven auf den Tod werden eingenommen und thematisiert.

Einige Gedichte wirken morbide, ironisch oder witzig, andere rühren zu Tränen und sind in ihrer Tiefe so schwer zu erfassen und so ergreifend, dass die Frage aufkommt, ob sie für Kinder ab acht Jahren geeignet sind. – Doch kann und soll man Kinder vor diesen Themen bewahren? Sind sie nicht oft schon von der Realität des Sterbens betroffen? Etwa durch den Tod der Oma, des Haustieres oder eines Freundes?

Mit der Vielfalt der Texte variiert auch die bildliche Gestaltung der Buchseiten zu individuellen, den Schrifttext in seiner Wirkung bereichernden Kunstwerken. Jedes Gedicht steht alleine auf einer Doppelseite und lässt dadurch viel Platz für die Illustrationen. Die Farben sind überwiegend dunkel und flächig aufgebracht, einige Zeichnungen sind allerdings nur skizzenhaft gehalten. Die Wirkung der Bilder ist dabei so facettenreich wie die Gedichte selbst: Manchmal sind die Motive witzig und ironisch, manchmal drückend und unheimlich.

Außergewöhnlich sind die hin und wieder eingestreuten Halbseiten, die je die Hälfte der nachfolgenden Seite verdecken und beim Umblättern trotzdem den Blick auf ein völlig neues Motiv freigeben. So werden die Hinterbeine eines Geparden durch das Umblättern zu denen einer Katze. Die Gedichte solcher halbformatiger Doppelseiten sind thematisch häufig eng verbunden. Die thematische Differenzierung der Texte ist schon anhand des raffiniert gestalteten Inhaltsverzeichnisses erkennbar. In kleinen Gruppen oder einzeln stehen die Titel links oder rechts einer roten Linie, die von „Überall“ bis „Nirgends“ reicht. Der Sinn der Sortierung und die Raffiniertheit dieses Inhaltsverzeichnisses lassen sich allerdings erst auf den zweiten Blick und beim Lesen der Gedichte erschließen.

„Diese Raupe wurde nie ein bunter Falter. Schade. Raupe sein ist doch gar kein Alter.“

Die Autorin Bette Westera und die Illustratorin Sylvia Weve leben und wirken in den Niederlanden und haben zusammen und getrennt voneinander schon zahlreiche Bücher veröffentlicht. Der Band „Überall und Nirgends“ wurde 2015 mit einem bedeutenden niederländischen Literaturpreis für Jugendliteratur, dem Goldenen Griffel ausgezeichnet. Aus dem Niederländischen übersetzt Rolf Erdorf die Gedichte auf beeindruckende Weise ins Deutsche.

„Überall und Nirgends“ behandelt schwierige Themen auf eine leichtfüßige, aber unbeschönigende Weise. Die Gedichte sind feinschichtig, doppelsinnig und in einer natürlichen und schlichten, aber zugleich poetisch melodischen Sprache verfasst, was den Band für Erwachsene und Kinder gleichermaßen geeignet macht. Das schwierige Thema legt jedoch nahe, dass Kinder nicht unbegleitet in dem Band lesen und eine Ansprechperson bei Redebedarf haben sollten. Die prinzipielle Eignung für Kinder wird aber auf den letzten Seiten des Buches durch ein Glossar sichergestellt: Hier werden einige Begriffe wie „Hospiz“ oder „Reinkarnation“ in einfacher Sprache erklärt.

Beim Lesen der Gedichte fällt die Vielgestaltigkeit von Leben und Tod, Trauer und Hoffnung auf. Plötzlich wirken erschreckende Themen wie das Sterben alltäglich, natürlich und weniger beängstigend. „Das Sterben macht mir keine Angst. Der Tod gehört zum Leben.“

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