zum Inhalt springen

Titelbild
Kristin Halbrook:
Die Geschichte von Zoe und Will
Aus dem Amerikanischen von Beate Brammertz
München: Heyne 2013 (Heyne fliegt)
315 Seiten
€ 14,99/ Kindle Edition: € 11,99
Jugendbuch ab 14 Jahren

Halbrook, Kristin: Die Geschichte von Zoe und Will

Bedingte Liebe

von Nadine Bieker (2013)

“Wenn ich zum Tanken anhalte, könnten sie uns einholen. Ihr Dad. Shelly. Die Bullen. Ich warte darauf, aber gleichzeitig warte ich auf dieses Gefühl der Freiheit, das Gefühl, wenn meine Finger nicht mehr zittern und ich mich nicht andauernd umschauen muss.“

Will hat es nicht leicht gehabt: Er wurde von seiner Mutter abgegeben, als er zwei Jahre alt war, und fortan von einer Familie zur nächsten weitergereicht – bis er schließlich im Heim landete. Er glaubt nicht an sich und lässt seine Wut sein Leben bestimmen. An seinem achtzehnten Geburtstag beschließt er abzuhauen, für immer – und mit Zoe.

Zoe ist fünfzehn Jahre alt und lebt mit ihrem alkoholkranken Vater zusammen. Seit dem frühen Tod der Mutter kümmert sie sich um ihren Dad und wird zum Dank von ihm pausenlos verprügelt. Sie ist verschüchtert, lebt in ständiger Angst, etwas falsch zu machen, und ist dabei unglaublich naiv. Bereits ihr ständiges Erröten, auch Will gegenüber, zeigt, dass ihre Schamgrenze sehr niedrig ist. Sie hat nie die Chance gehabt, ein ‚normales‘ Mädchen zu sein, ihre Mutter um Rat zu fragen oder gar ihre Sexualität auszuprobieren.

Kennengelernt haben sich die beiden Teenager in der Schule. Will wurde auf Zoe aufmerksam, weil ihr Gesicht stets von blauen Flecken übersäht war. Aus gegenseitigem Interesse wurde bald eine Beziehung, und Will ist sich sicher, dass er sich an Zoes Vater für die blauen Flecken rächen wird. Genau das tut er an dem Abend, an dem sie fliehen wollen: Er verprügelt ihren Dad, und Zoe bekommt das letzte Mal eine Flasche von ihrem Vater an den Kopf geworfen. Aber dann fahren sie los, machen sich auf den Weg in ihre Zukunft. Eine Zukunft, in der sie ein Leben finden möchten, das lebenswert ist, für das es sich zu kämpfen lohnt, das sie gemeinsam genießen können, ohne Angst, Wut und Missachtung. Ein Leben, das sie in Las Vegas suchen.

Ihr Trip weist viele Parallelen auf zu Ridley Scotts Roadmovie „Thelma und Louise“: einen Ladendiebstahl, die Tötung eines Menschen aus Notwehr und eine Verfolgungsjagd mit der Polizei – doch vor allem eine Autofahrt, deren eigentliches Ziel der Weg selbst ist. Zoe und Will, die in ihren bisherigen Leben mehr haben verkraften müssen als andere Teenager in ihrem Alter, finden zueinander und geben sich gegenseitig das, was sie selber nie erfahren durften: Liebe, Zuneigung, Vertrauen. So sehr sie sich selbst mehr hassen als lieben, geben sie sich doch gegenseitig das Gefühl, gebraucht zu werden. Zoe ist die Einzige, die daran glaubt, dass auch Will seinen Schulabschluss schaffen kann, und Will gibt Zoe den Schutz, den sie benötigt. So herzergreifend ihre Geschichte auch ist und auch wenn man beide Protagonisten sofort ins Herz schließt, so ahnt man doch, dass ihre Geschichte kein gutes Ende nehmen kann. Spätestens als Will jemanden niederschlägt, der Zoe zu nahe getreten ist, sie eine Tankstelle ausrauben und der Trip immer mehr zu einer hilflosen Flucht wird, zweifelt auch der letzte Optimist an einem glücklichen Ende.

Und so sind Zoe und Will auf dem Weg, von dem sie überzeugt sind, dass er sie in ein besseres Leben führt. Sie glauben, dass sie alles schaffen können, glauben an ihre Liebe, geben sich gegenseitig ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit und zweifeln nicht daran, dass sie alles hinter sich lassen können, weil sie sicher sind, dass ihre Liebe zueinander unendlich und unzerbrechlich ist. Sie müssen an all das fest glauben, denn vermutlich ahnen sie selber, dass ihr Vorhaben nicht klappen kann. Immer wieder reden sie sich aber ein, dass ihr Unternehmen Erfolg haben wird, denn sie benötigen etwas, an dem sie sich festhalten können. Man spürt, wie sehr sie einander brauchen, aber es kommen auch leise Zweifel auf, und man fragt sich, ob sie sich wirklich so sehr lieben, wie sie dies vorgeben, oder ob sie sich nur lieben wollen, um auch endlich geliebt zu werden. Ihre Liebe erscheint manchmal als Gerüst, auf dem ihre Hoffnungen und Ziele aufgebaut sind und durch das sie lernen, auch sich selbst zu lieben. Denn würden sie sich wirklich so sehr lieben, wie sie vorgeben, käme Zoe wohl kaum ein Gedanke wie: „Dieses Glück ist so groß, ich fürchte, es wird mit einem schrecklichen Knall zerplatzen, wie ein zu prall gefüllter Heliumballon.“

An manchen Stellen zweifelt man, ob Zoe und Will die geschilderten Situationen im wahren Leben wirklich so erlebt hätten. Dass zwei Teenager, die gemeinsam in ein neues Leben fliehen und offensichtlich unsterblich ineinander verliebt sind, in ihrer ersten gemeinsamen Nacht nur deshalb nicht zum ersten Mal miteinander schlafen, weil sie noch nicht verheiratet sind, mutet heutzutage doch etwas weltfremd an, und die Frage drängt sich auf, ob dies in einem amerikanischen Roman nicht einfach so sein ‚muss‘. Stattdessen erlebt man nun unzählige Liebesbekundungen, die sich bis ins Kitschige steigern, um dann aber ohne Höhepunkt im Leeren zu verlaufen. Nicht nur an dieser Stelle erscheint der Roman sowohl im positiven als auch im negativen Sinne als ‚typisch‘ amerikanisch, auch sonst erfüllt er etliche Klischees eines typischen Mädchen- bzw. Frauenromans. Der Leserbindung durch Spannungssteigerung dienen zudem die aus der Populärliteratur bekannten Erzählschemata der Steigerung von Quantitäten und Qualitäten, die hier im ultimativen Show-down kulminieren.

Halbrook schreibt ihren Debütroman abwechselnd aus der Perspektive je einer ihrer Figuren. Ihr gelingt es, den Leser zwei Stimmen hören zu lassen, so dass er beide Protagonisten hautnah kennenlernt. Man kann die Geschichte so noch deutlicher spüren, gleichsam als säße man mit den beiden Jugendlichen in Wills altem Camaro. Wenn Will spricht, schwankt die Stimmung schnell zwischen Wut, Angst und Verzweiflung, aber man hört auch hin und wieder das Kind in ihm, das er nie hat sein können und das derart liebebedürftig ist. Allerdings kann man gut nachvollziehen, dass er auf das Mädchen manchmal beängstigend wirkt. Bei Zoe hingegen vergisst man mitunter, dass sie erst fünfzehn Jahre alt ist, denn trotz ihrer Schüchternheit und Naivität ist sie manchmal sehr reflektiert. Dennoch spürt man, dass sie stark an sich zweifelt, glaubt ihr, dass sie das Gefühl hat, am Tod ihrer Mutter schuld zu sein und die Prügel ihres Vaters zu verdienen. Dadurch, dass man sich in beide Protagonisten sehr gut hineinfühlen kann, werden die Konflikte der beiden Jugendlichen zu inneren Konflikten des Lesers. Man versteht, warum Will unbedingt an der Flucht festhält, warum Zoe versucht, ihren Freund um jeden Preis zu retten – und auch, dass beides zusammen nicht gehen kann.

In der doppelten Sichtweise auf das Geschehen zeigt sich auch, dass Zoe und Will einander nicht so gut kennen, wie sie denken. Wenn Zoe sagt „Will fängt mich auf, wie immer“, dann glaubt man ihr zwar sofort, dass sie nie daran zweifeln möchte. Doch je mehr Probleme sich anhäufen, desto ungeduldiger wird Zoe, und man ahnt, dass sie schließlich aus dem Ganzen ausbrechen wird.

Kristin Halbrook gibt dem Leser eine Playlist mit an die Hand. In den Songtexten wird Zoes und Wills Verzweiflung auf einer weiteren Ebene spürbar. Wenn Bruce Springsteen singt „You can get killed just for living in Your American skin” – Halbrook nennt das Lied ihren „Book theme song“ –, versteht man einmal mehr, warum Zoes und Wills Roadtrip in die Freiheit scheitern muss.

„Nobody but us”, so der Originaltitel, ist ein gelungener Debütroman über zwei junge Menschen, die leiden, die einander so sehr brauchen und die einen kurzen Roadtrip lang das Leben in seiner schönsten und zugleich schmerzlichsten Form spüren.

Leseprobe