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Titelbild
Peter Sís:
Die Konferenz der Vögel
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
Hamburg: Aladin 2013
80 ungez. Bll
€ 24,90
Bilderbuch ab 12 Jahren

Sís, Peter: Die Konferenz der Vögel

Prächtig fremde Federn

von Lisa Gregor (2013)


In den Werken des bekannten tschechisch-amerikanischen Illustrationskünstlers Peter Sís spielen Vögel häufig eine große Rolle. Auch in seinem neuen Bilderbuch versammeln sich wieder Gefiederte, doch wer hier nun ein einfaches Tierbilderbuch erwartet, wird überrascht werden.

Sís, dem 2012 der Hans-Christian-Andersen Preis, die wichtigste internationale Auszeichnung für Kinderbuchautoren und -illustratoren, verliehen wurde, hat eine Neubearbeitung des persischen Epos „Die Konferenz der Vögel“ geschaffen. Dabei gibt er der aus dem zwölften Jahrhundert stammenden Schrift des Mystikers Farid du-Din Attar einige neue Akzente. In der Urfassung ist „Die Konferenz der Vögel“ stark von Religiosität geprägt. Der Text ist eine mit Gleichnissen und historischen Anekdoten gespickte Allegorie über den 7-stufigen Weg zu Gott, der in der sufistischen Lehre, der Attar anhing, eine zentrale Rolle spielt.

Bei Sís ist davon im Wesentlichen nur noch die Rahmenhandlung geblieben: Ein Wiedehopf, im Persischen Symbol für die Weisheit, überzeugt eine Schar versammelter Vögel davon, zum Berge Kaf aufzubrechen, um dort den geheimnisvollen König Simorg zu finden. Zunächst sind einige Vögel skeptisch und äußern Bedenken, denn einen König haben sie bisher nicht vermisst und können an dessen Macht nicht recht glauben. So will beispielsweise der Papagei nicht seinen sicheren Käfig verlassen, und die Nachtigall möchte sich nicht von der Rose trennen, um die sich ihr Leben dreht. Schließlich überzeugt der Wiedehopf sie jedoch alle, und so bricht die Konferenz der Vögel auf. Die Vögel durchfliegen sieben Täler, jedes bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich. So gibt es das Tal der Suche, das Tal der Liebe, das der Erkenntnis und das Tal der Selbstgenügsamkeit, in dem „Neugier“ und „Verlangen“ enden. Weiterhin durchqueren die Reisenden die Täler der Einheit und des Staunens und erhalten dabei nicht nur Einblick in die Tiefen ihrer Persönlichkeit, sondern erlangen auch Wissen über die Verhältnisse von Zeit und Raum.

Nachdem schließlich auch das Tal des Todes überwunden worden ist, verbleiben nur dreißig Vögel, die endlich den Berg Kaf erreichen. „Und sie sehen, dass sie selber Simorg, der König, sind und dass Simorg, der König, in jedem von ihnen ist und in allen.“

An dieser Stelle ist Hintergrundwissen nötig, um den Bedeutungshorizont, der sich aufspannt, überblicken zu können. Hier liegt keineswegs nur eine abenteuerliche Tiergeschichte vor, sondern es handelt sich um ein tief philosophisches Sprachspiel. Die Lösung des Rätsels um Simorg, der in allen Vögeln ist, ist in seinem Namen angelegt. ‚Si morg‘ – das bedeutet im Persischen ‚dreißig Vögel‘. Dass von den Tausenden, die die Reise angetreten haben, genau diese Zahl übrig bleibt, um schließlich zu einem Königs- und Gottesvogel zusammenzufließen, ist also kein Zufall. Hier gilt es, in Jahrhunderte alten mystischen Glauben einzudringen, um zu verstehen, was Sís mit seiner bildhaften Interpretation der „Konferenz der Vögel“ geleistet hat.

Die genannten Kenntnisvorrausetzungen sind nicht die einzige Hürde, die bei der Lektüre der gleichzeitig schlicht strukturierten und sehr tiefsinnigen Geschichte zu überwinden ist. Sís setzt zwar auf einfache Wortwahl, dies bedeutet aber nicht, dass seine Sätze tatsächlich leicht zu durchdringen wären. Zahlreiche Leerstellen, Verrätselungen und Brüche machen es schwer, der nicht zuletzt durch die Bildabfolge klar aufgebauten Handlung zu folgen. Bei Passagen wie der folgenden taucht die Frage auf, ob das zu empfehlende Betrachtungsalter wirklich bereits bei sechs Jahren liegen sollte, wie es der deutsche Verlag vorschlägt: „Zurück?... Es ist ein Kreis, Vogel. Denk einfach an den Phönix. Mehr als eintausend Jahre lebt er allein und erwirbt große Weisheit, und wenn es Zeit ist zu gehen, sammelt er einen Haufen Blätter um sich herum, schlägt mit den Flügeln und entzündet so ein Feuer – ein neuer Phönix steigt aus seiner Asche.“

Doch auch wenn es stellenweise schwierig sein mag, in die Tiefen des Bilderbuchs vorzudringen – so opulent ausgestattet wie hier hat „Die Konferenz der Vögel“ sicher noch nie stattgefunden. Nicht nur die Tiere im Bilderbuch begeben sich auf eine abenteuerliche und anspruchsvolle Reise, an deren Ende sie viel erlebt und erlitten haben, auch der Betrachter begibt sich mit diesem Buch auf eine Reise, und sie führt ihn über Seiten voller Farbenspiele, detailreich gearbeiteter Labyrinthe und nicht zuletzt wunderbar fantasievoller Vogelzeichnungen hin zu der Erkenntnis, dass nicht immer ein langer Weg zurückgelegt werden muss, um ans Ziel zu gelangen.

„Die Konferenz der Vögel“ enthält viel bildlichen Einfallsreichtum. Dabei entsteht keineswegs Unruhe. Dadurch, dass die einzelnen Reiseetappen der Vögel einem festen Schema folgen, kann bei jedem Bild genussvoll verweilt werden. Es besteht kein Anreiz, Seiten nur zu überfliegen und den klassischen Stoff hastig durchzublättern. Im Gegenteil lädt jede einzelne Seite zum Verweilen ein, und auch nach mehrfachem Ansehen sticht immer wieder etwas Neues ins Auge. So bietet zum Beispiel die kunstvolle Anfertigung der Labyrinthe, welche die Vögel in den einzelnen Tälern überfliegen, eine beeindruckende Vielfalt, die beim ersten Betrachten vollständig zu erfassen kaum möglich sein wird.

Sehr überzeugend ist auch das Zusammenspiel von Text und Bild. Manchmal wird den immer kurzen Textteilen eine eigene Seite zugestanden, meist findet Sís jedoch einen Weg, beide Elemente miteinander zu verbinden. Im Anschluss an die Szene, in der die Vögel das Tal des Todes durchflogen haben, wird in vier Sätzen das Ableben einiger Reisegefährten und ihr vorheriges Verzweifeln geschildert. Diese vier Sätze in vier verschiedenen Schriftgrößen sind auf einer sehr dunklen Seite kreisförmig angeordnet. In der Mitte dieses Satzkreises ist ein leuchtender Punkt zu sehen, und von den Rändern fliegen Vögel in den Kreis hinein auf diesen Punkt zu. Wenige Seiten weiter verschmelzen viele weiße Vögel zu zwei großen. Diese Vogelgebilde sehen aus wie Wolken und bewegen sich durch einen kräftig blauen Hintergrund auf den rechten Doppelseitenrand zu. Auf der nächsten Doppelseite sind die beiden Vögel größer geworden, aber auch stärker mit ihrem Hintergrund zusammengeflossen. Bis hier wird auf Text ganz verzichtet, dieser folgt erst auf der nächsten Seite, wenn nur noch ein verwaschener weiß-blauer Farbverlauf zu sehen ist. Dies sind nur einige Beispiele für die immer wieder neuen Möglichkeiten, die Sís findet, um Text und Bild einander umspielen zu lassen.

Auch auf den Seiten, auf denen gar kein Text auftaucht, bedient sich Peter Sís einer starken Bildsprache. Beinahe die gesamte Reise ist wortwörtlich aus der Vogelperspektive zu sehen. Die Flugrichtung des Schwarms wird dadurch verdeutlicht, dass viele Bilder am rechten Bildrand nicht enden, sondern gewissermaßen auf die nächste Seite ‚hinüberfliegen‘. Den sieben Tälern ist jeweils eine Farbe zugeordnet, in der dann alle zugehörigen Bilder gestaltet sind. Durch all diese Details entsteht eine sehr dichte Atmosphäre, die die Stimmung jeder einzelnen Seite an den Betrachter heranzutragen vermag.

Doch auch wenn die Schönheit der Illustrationen kaum bestreitbar ist, helfen auch sie nicht bei der Interpretation der Handlung. Ohne Kenntnis des Originals oder gründliche Lektüre des Klappentextes wird beispielsweise kaum klar, dass es sich beim Dichter, der sich am Anfang von Peter Sís‘ Werk in einen Wiedehopf verwandelt und die Vögel anführt, um den realen Dichter der Urfassung handeln soll. Es sind aber nicht nur diese Kleinigkeiten, die Gefahr laufen, bei alleiniger Ansicht des Bilderbuchs im Dunkeln zu bleiben.

Das geflügelte Wort von den fremden Federn, mit denen man sich schmückt, erhält hier gleich mehrfache Bedeutung: Es ist Sís selbst, der sich mit ihnen durch die gelungene Neubearbeitung des Epos schmückt, doch dabei gibt er sie durch seine aufwändige Ausstattung gleichzeitig auch an den Stoff zurück. Wortwörtlich ‚fremd‘ mögen sie eventuell aber für kindliche Betrachter bleiben. Erfahreneren Lesern ab zwölf Jahren sei „Die Konferenz der Vögel“ jedoch nachdrücklich empfohlen, denn es ist ein außergewöhnliches und nicht zuletzt auch ein außergewöhnlich philosophisches Buch.

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