Goebel, Joey: Ich gegen Osborne
Satan, dein Name ist Pubertät
von Nadine Bieker (2013)
Gibt es etwas Dramatischeres im Leben eines 17-Jährigen, als unsterblich verliebt zu sein und einen Korb zu bekommen? Ein Außenseiter zu sein, weil man sich Gleichaltrigen nicht gleichgesinnt fühlt? Wenn man einfach keinen Spaß an Partys finden kann und stattdessen lieber Bücher liest? Nun stelle man sich vor, all das kommt zusammen – Willkommen im Leben von James Weinbach!
Der Highschool-Dandy aus „Ich gegen Osborne“, der sich selbst als ein „chronisch erschöpfte[s] Nervenbündel“ beschreibt, sieht seine Größe (1,93 m) gepaart mit seinem Humor als die einzigen Gründe an, nicht gemobbt zu werden. Er trägt stets einen Anzug seines verstorbenen Vaters, ein weißes Hemd, dazu eine Krawatte und schwarze Lederschuhe – und das in Zeiten von Baggy-Jeans und Abercrombie & Fitch. „Wenn ein Seufzer menschliche Form annehmen könnte, würde er wohl wie ich mit siebzehn aussehen.“
Bereits in seinem jungen Alter muss James den Verlust seines Vaters verkraften. Er trägt dessen Anzug, um sich dadurch mit ihm zu identifizieren, um vorzugeben, dass er nicht mehr zu der Welt der Jugendlichen, sondern zu der der Erwachsenen gehört. James gibt Lebenserfahrungen vor, die er aber selbst noch gar nicht gemacht hat („Ich bin stärker als ihr anderen alle zusammen.“). Er ist ein spätgeborenes Kind, aufgewachsen in einer Erwachsenenwelt ohne gleichaltrige Freunde, glaubt schon viel erfahren zu haben und ist seinen Altersgenossen doch kein Stück voraus. Ihn quält die gleiche Sehnsucht nach Liebe und Körperlichkeit wie alle anderen. Emotional ist er vollkommen zerrüttet. Er weiß nicht, wo er hingehört, was er will und wer er sein möchte. Der Anzug des Vaters dient ihm als Schutzmantel, der ihn davor bewahren soll, seine Gefühle offenlegen zu müssen und erkannt zu werden als der, der er wirklich ist: ein Junge, der noch mitten in der Pubertät steckt, der bei weitem noch nicht so reif ist, wie er vorgibt, und seinen Mitschülern auf gewisse Weise doch sehr ähnelt. („Du hältst dich genauso ans Skript wie jeder andere auch.“)
James hat ein besonderes Verhältnis zu seinen Mitschülern – die meisten verachtet er abgrundtief: Die „Jugendkultur generell bewirkte, dass ich mir am liebsten in die Hände gekotzt hätte.“ Er hasst all das, was seine Altersgenossen genießen – Sex, Partys, Drogen, laute Rap-Musik, Alkohol und vor allem ihre Coolness. Die einzige Ausnahme ist Chloe. Sie vergöttert er. Sie ist sein Grund, zur Schule zu gehen. An dem ersten Tag nach den Frühlingsferien möchte James Chloe um ein Date bitten. Doch es kommt alles ganz anders. Er muss bereits vor Schulbeginn erfahren, dass seine Angebetete in Panama City Beach war, der „Spring-Break-Hauptstadt der Welt“. Doch damit nicht genug. Von sämtlichen Schülern hört James, dass Chloe in „PCB“ ihre Freude an jungen Männern entdeckt und diese auch ausgiebig ausgelebt haben soll. Einer der Glücklichen ist ausgerechnet Hamilton Sweeny („Allein von dem Namen bekomme ich Juckreiz“). Als James dann auch noch für den von ihm selbst verfassten Romanauszug in dem Kurs „Kreatives Schreiben“ verrissen wird, rastet er komplett aus. Sein Zorn gegen seine Mitschüler, gegen Chloe, gegen die gesamte Schule bringt ihn soweit, dass er den Direktor erpresst, den Schulball abzusagen. Damit bringt er alle, außer die ‚klassischen‘ Außenseiter, gegen sich auf. Und doch geht er am Ende des Schultages als gefeierter (Anti – Anti) Held aus der Schule.
Der Autor Joey Goebel lebt, wie all seine Protagonisten, in Kentucky. Bevor er Schriftsteller wurde, tourte er jahrelang als Musiker durch die USA. Seine Liebe zur Musik spiegelt sich bereits im Titel wieder. Über „Ich gegen Osborne“ sagt Goebel in einem Interview, dass es „ein Tribut an die Punk-Band The Dead Milkmen und ihren Song I against Osbourne ist, der den Kern meines Romans erfasst: stark und selbstbewusst zu sein, eine klare Haltung zu den Dingen einzunehmen, sich zu wehren, aber immer auf eine stilvolle Art und Weise – wie ein echter Gentleman.“ Goebel ironisiert seine Aussage hier selber, um einen Bezug zu seinem Protagonisten James herzustellen. Denn diesen lässt er nahezu durchgehend überspitzt und übertrieben wirken, es ist einfach von allem ein bisschen zu viel. Als Leser fällt es schwer, James alles zu glauben, was er schildert.
In „Ich gegen Osborne“ kreiert Goebel einen jungen Außenseiter, der mit dem Anpassungsdruck und der Gesellschaft, in der er lebt, nicht klarkommt. Ihm gelingt es, einen Außenseiter zu schaffen, der weder in das ‚klassische‘ Bild eines solchen passt, noch den Eindruck vermittelt, man müsse Mitleid mit ihm haben. Generell gelingt es Goebel, alle angeblichen Stereotypen am Ende keine mehr sein zu lassen. James ist ein Original. Seine Sprachstil variiert zwischen dem jugendlichen Slang seiner Mitschüler und seinem eigenen bildhaften, mitunter betont altväterlichen Sprechen. Seine pessimistische Einstellung gegenüber der Kultur, in der er lebt, lässt ihn sicher sein, dass er sich hundert Jahre zuvor deutlich wohler gefühlt hätte.
James berichtet auf 432 Seiten in Minutenangaben über einen seiner Schultage im April 1999. Manchmal bringt er in wenigen Minuten derart viele Gedanken und Erinnerungen sowie langwierige Handlungen unter, dass man an der Konsistenz der Zeitangaben und des Geschehens zweifelt. Beispielsweise erzählt er auf sechszehn Seiten die Geschichte seiner Eltern, seiner Großeltern und wie er seine Kindheit erlebt hat, benötigt dafür aber nur neun Minuten. Aufgrund der Ich-Erzählung fehlen dem Leser nahezu immer Referenzen, um über den Wahrheitsgehalt des Erzählten zu entscheiden. Viele Schilderungen der erzählten Welt bleiben in ihrer Absolutheit ungeklärt, denn James ist in seinen Schilderungen sehr undurchsichtig. Er sieht oftmals nur das, was er sehen möchte, vor allem, wenn es um die Charakterzüge seiner Mitschüler geht.
Diese Unklarheiten lassen auch offen, ob „Ich gegen Osborne“ ein ‚Coming of age‘-Roman ist. Das Ende bleibt insofern ungewiss, als dass man nicht erfährt, ob James seine Einstellung zu sich und seinen Mitschülern wirklich ändert, ob er seinen gesellschaftlichen Standpunkt gefunden hat. Sein Verhalten ist sehr ambivalent und emotionsgesteuert und lässt dadurch keinen klaren Charakter erkennen. Es bleibt ungeklärt, inwiefern dieser Tag sein Leben tatsächlich verändert, ob er sich selbst ein Stück nähergekommen ist. Wenn er am Ende seines Schultages sagt „Ich war krank, und sie waren gesund. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst“, erkennt man, dass sein Reifeprozess noch nicht vollendet ist. Da er jedoch auf seiner Heimfahrt anfängt zu weinen, seinen Gefühlen freien Lauf lässt und nicht mehr versucht, sein Gesicht, auch vor sich, zu wahren, zeigt, dass er eine Entwicklung zulässt, welche er zwar noch nicht reflektieren kann, die sich aber durchzusetzen beginnt.
Sicherlich erkennt James im Laufe dieses Schultages, dass er nicht der Einzige ist, der mit sich kämpft, sich unverstanden fühlt und nach dem Sinn des Ganzen fragt. Langsam beginnt er sogar Mitgefühl zu entwickeln, in dem Wissen, dass es vielen in mancher Hinsicht wohl noch schlechter geht: „Ich sah drei Jungs, die eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung geerbt, und zwei Mädchen, die Magersucht geerbt hatten und die nach Hause fuhren, in den Badezimmerspiegel schauten und fälschlicherweise Deppen und Dicke sehen würden.“ Er hat selber erfahren, dass sogar Hamilton Sweeny ein intelligenter, tiefsinniger junger Mann ist. Er fragt sich, wie viele Hamilton Sweenys es wohl noch geben mag und warum sie ihre Intelligenz nicht vor der Verdummung schützen.
Die Schule wird als Mikrokosmos der amerikanischen Gesellschaft gezeichnet, in dem Konformitätsdruck den Jugendlichen die Richtung vorgibt: Jeder muss ein „Gangsta“ sein, cool, hart und jedem Trend folgen. „Das Problem an Osborne war, dass alle immer nur das taten, was ihrer Meinung nach von ihnen erwartet wurde.“ In diesem Mikrokosmos sind sie Draufgänger, Partymacher, hemmungslose Teenager. Aber außerhalb dieses Raumes müssen sie die braven Kinder bleiben, die sie einst waren: „Amanda war ein Speed nehmendes Mitglied von T.g.D.M. (Teens gegen Drogenmissbrauch), ein trinkfestes Mitglied von S.g.A.a.S (Schüler gegen Alkohol am Steuer) und eine Fleischeslust frönende Person, die das Keuschheitsgelübte der Bewegung ‚Wahre Liebe wartet‘ abgelegt hatte.“ Eine gefährliche Doppelmoral, die immer wieder kritisiert wird.
„Ich gegen Osborne“ ist ein gelungenes Werk, ein Schulroman, der kritisch und komisch zugleich ist und zum Nachdenken anregt. Goebel schafft mit James sein Alter Ego, um mit der amerikanischen Gesellschaft abzurechnen.