Konecny, Jarmonir: Hip und Hop und Trauermarsch
Rebellion light
von Thomas Mayerhofer (2006)
„Seit Jahren begeistert der in Prag geborene promovierte Chemiker Jaromir Konecny mit seinen Geschichten und seinem ,behmisch‘-bayerischen Akzent das Publikum bei Poetry-Slams, aber auch bei traditionellen Lesungen“, heißt es im Klappentext zum Autor von ‚Hip und Hop und Trauermarsch’. Das steigert die schon durch die Vermarktungsmaschinerie geweckten großen Erwartungen an das Buch natürlich noch. Man erwartet mindestens eine kleine Revolution, auf jeden Fall 250 Seiten Sprachkunst, vielleicht sogar ein wenig Poesie… Nun, wenn nicht so viele unanständige Wörter in dem Buch vorkämen, hätte es ganz sicher zur Schullektüre gereicht. Nicht, dass die Geschichte um Bejb, der eigentlich Robert heißt, nicht unterhaltsam wäre – das beachtenswerte Erstlingswerk eines Wortgiganten ist es jedoch nicht.
Bejbs Eltern sind als Zirkusartisten viel unterwegs. Da er selbst jedoch zwei Linke Hände und keinerlei artistisches Talent hat, lebt er zusammen mit seiner Großmutter in Afterheim, wo er wegen seiner Ungeschicktheit die unfreiwillige Lachnummer ist. Das ändert sich, als das Geld knapp wird und die beiden deswegen vom langweilig-bürgerlichen Afterheim ins Ghetto nach Neuleben ziehen. Bereits die Namensgebung der beiden Orte ist exemplarisch für den bisweilen etwas bemühten Humor des Buches.
Die meisten Altersgenossen in Bejbs neuer Klasse sind Hip-Hop-Fan und einige versuchen sich sogar selbst im Reimen. Als auch noch der legendäre Rapper „Alpha Beat“ auf Einladung der Deutschlehrerin in die Klasse kommt, um den Kids etwas über Reimkunst und den ,Geist des Hip-Hop‘ zu erzählen, beginnen am nächsten Tag alle fieberhaft zu texten. Bejbs Leben erhält durch den Umzug nach Neuleben endlich den richtigen „flow“, er findet neue Freunde und entdeckt sein Talent für Sprachspiele, Rhythmus und Reim. Plötzlich ist er kein Loser und „Opfer“ mehr, sondern gehört zur allein selig machenden Community der Beat-Poeten.
‚Hip und Hop und Trauermarsch’ ist ein ausgewiesenes Jugendbuch, und der nicht mehr ganz so jugendliche Autor ist sichtlich darum bemüht, den Duktus der Hip-Hop-Anhängerschaft zu kopieren. Manche Formulierungen wirken dabei situativ passend und auch witzig, andere oft ein wenig deplatziert. Sicher hat Konecny gründlich recherchiert (wie er auch in Danksagung und Vorwort betont), und vielleicht hat er auch seinen eigenen Kindern ,aufs Maul geschaut‘. Dass junge Menschen mit Ellipsen am Satzende arbeiten („auf jeden“ bzw. „auf keinen“ statt auf „jeden/ keinen Fall“), hat man auch schon einmal in der Straßenbahn mitbekommen. Ob aber die im Buch dutzendfach gebrauchte Wendung „Check die Nudel, Alter!“ wirklich ,hip‘ ist erscheint dem (zugegebenermaßen auch knapp dem Jugendalter entwachsenen) Autor dieser Rezension doch fraglich. Natürlich unterscheidet sich der Wortschatz der Jugendsprache von Stadt zu Stadt, manchmal sogar von Schule zu Schule oder Straße zu Straße. Auch sind bevorzugte Formeln für Begrüßungen, Verabschiedungen und Beifallsbekundungen einem schnellen Wandel unterworfen. Von dieser Warte aus ist es also schwierig zu beurteilen, ob Konecny den jugendlichen Ton getroffen hat oder nicht.
Wirklich störend wirkt sich jedoch auch weniger die Sprache als vielmehr die starke Pädagogisierung der Geschichte aus. Geradezu moralinsauer sind die Belehrungen des erwähnten Alpha Beat, der den Schülern einimpft, dass Rassismus, Sexismus, Gewaltverherrlichung und Intoleranz nichts mit dem ,Geist des Hip-Hop‘ zu tun hätten. Auch die Inkonsequenz des Autors in Bezug auf die Fiktionalität der Geschichte wirkt ungeschickt. Einerseits bringt Konecny sich an einigen Stellen des Buches als Person selbst in die Handlung mit ein und inszeniert sich als denjenigen, der die Geschichte Bejbs erzählt bekommt und aufschreibt. Andererseits sind einige Partien des Buches völlig unglaubwürdig, was wiederum mit dem selbst erteilten ,Erziehungsauftrag‘ Konecnys zusammenhängt. Ständig stolpert der Leser über Appelle, sich klassisch zu bilden und dem passiven Medienkonsum den Kampf anzusagen. Unter den Figuren des Romans finden sich gleich mehrere leuchtende Vorbilder an Wissbegier und Gelehrsamkeit. So vergleicht Bejb einen Kumpel, der auf einer Party Schmalzbrote an die Tapete pappt, mit Joseph Beuys. Und für diejenigen Leser, die mit dem Namen allein nichts anfangen können, liefert der Erzähler die Information nach, dass es sich um einen Pop-Art-Künstler [!] handele. Als Bejb die Videosammlung der Eltern eines Kumpels – Freunde der eher leichten Unterhaltung – betrachtet, denkt er nur „Millionen Kilometer Schrott auf Band“ und stellt verächtlich fest, dass keine ARTE-Sendungen darunter seien. Diese Art intellektueller Indoktrination zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch. Den Vogel schießt in dieser Hinsicht jedoch der ungarische Zeltbauer Lajosch ab, der zwar „Muckis wie ein Gewichtheber“ hat „aber statt sich am Abend in der Kneipe zu prügeln“ Musils ‚Mann ohne Eigenschaften’ liest: „Er schrieb daraus Sätze auf kleine Zettel ab, klebte sie auf die Wände seines Zirkuswagens – wo die anderen Kollegen nackte Weiber hängen hatten – oder lernte die Sätze auswendig und zitierte sie bei jeder Gelegenheit.“
‚Hip und Hop und Trauermarsch’ ist ohne Zweifel eine kurzweilige Lektüre voller Situationskomik. Der Anspruch einer Synthese von Tiefgründigkeit, Innovationskraft und Sprachgewalt, den das Buch und die darin dargestellte Reimkunst erhebt, wird jedoch nicht eingelöst. Was am Ende eine Gruppe junger Erwachsener sein soll, die sich selbst mit ihrer Kreativität einen Blick über den Tellerrand des Ghettos hinaus, Reife, innere Autonomie und Gemeinschaft erkämpft haben, wirkt eher wie die ‚Sesamstraße’ auf Koks: Immer noch kindisch, aber ungeheuer selbstbewusst.