de Leeuw, Jan: Das Schweigen der Eulen
Geheimnisvolles Nirgendwo
von Lena Hopp und Nina Schmitz (2006)
In dem kleinen Dorf Deemstervelde „das der übrigen Welt fünfzig Jahre hinterherhinkt“ und in dem scheinbar nur alte Leute über siebzig wohnen, muss Arnoud zusammen mit seinem Vater den Sommer verbringen. „Hurra!“ So hatte sich der 13-Jährige seine großen Ferien nicht vorgestellt. Anlass ist die Beerdigung seiner – ihm fast unbekannten – Großmutter. Eigentlich kein großes Ding: „Sie war eine alte Frau, und alte Frauen sterben nun mal. Junge Leute leben und alte Leute sterben, und das hält die Welt im Gleichgewicht.“ Dass sich der Aufenthalt von Vater und Sohn über Wochen hinzieht, hat wohl auch eher mit dem Auszug der trinkenden Mutter daheim zu tun. Zunächst vermutet man nicht, dass die Wochen in der Einöde für Arnoud doch noch unvergesslich werden – er selber wohl am wenigsten. Aber wie hätte er auch ahnen können, dass das flämische Dorf eine dunkle Geschichte birgt und dass er derjenige sein wird, der die „Eulen zum Reden bringt“?
Nach der Beerdigung gilt es zunächst, das alte Haus auszumisten, wobei Vater und Sohn auf das Testament der Großmutter stoßen: Arnoud erbt ihre selbstgemalten Bilder, die für ihn auf den ersten Blick wertlos sind, und ein Nähkästchen, bei dem er sich nur fragt: „Was hatte sie dazu getrieben, mir gerade das Ding zu vererben?“ Doch dann entdeckt er darin einen geheimnisvollen Brief, der ihn zurück in die Vergangenheit führt. Vor dem Hintergrund der Besetzung Belgiens im Zweiten Weltkrieg, erzählt die Großmutter ihrem Enkel von ihrer unglücklichen Ehe. Bevor sie aber offenbart, warum ihr Mann und neun weitere Dorfbewohner im Jahr 1942 exekutiert worden sind, bricht der Brief ab. Arnoud begibt sich auf die Suche nach der Wahrheit. Enttäuscht muss er feststellen, dass sein Großvater, dem er so ähnlich sieht, nicht der „Kriegsheld“ ist, für den ihn alle halten ...
In seinem Debüt „Das Schweigen der Eulen“ kombiniert Jan de Leeuw geschickt Kriminalhandlung mit Zeitgeschichte. Alles beginnt relativ harmlos, doch schon bald jagt ein Geheimnis das nächste, und eine unglaublich spannende Geschichte tut sich auf. Stück für Stück gelingt es Arnoud, das Schweigen der Dorfbewohner zu durchbrechen. Die verschiedenen Erzählungen lassen ihn den Tag der Exekution rekonstruieren. Dabei kommt er nicht nur einem Kunstraub und einem Verrat, sondern auch einer Eifersuchtsgeschichte auf die Spur. So langweilig ist es am „Ende der Welt“ also doch nicht, oder?!
Immerhin trifft Arnoud nicht nur auf die ein Jahr ältere Rebecca, sondern auch auf den „Eulenspezialist“ Titus, mit denen er auf „nächtliche Eulentour“ geht. Zudem lernt er die geheimnisvolle Baroness kennen, die Arnoud durch ihre Erzählungen in die Vergangenheit führt, damit dieser herausfindet, wer sein Großvater wirklich war. Der 13-Jährige begreift, dass ihm das Dorf und seine Bewohner mit der Zeit mehr bedeuten, als er jemals gedacht hätte.
„Das Schweigen der Eulen“ ist ein außergewöhnlich interessantes und spannendes Buch. Trotz schwieriger Thematik, enthält die Geschichte viele humorvolle Elemente, die oft aus der Ambivalenz zwischen Naivität und Zynismus der Hauptperson resultieren. Durch die vielen Fragen, die Arnoud stellt, wird der Leser herausgefordert, sich zusammen mit der sympathischen Hauptperson Gedanken zu machen und die verschiedenen Puzzleteile aus Briefen und Erzählungen zusammenzusetzen. Aber besonders das Springen zwischen Vergangenheit und Gegenwart macht den Roman so abwechslungsreich Der Leser kann zwischen den einzelnen Perspektiven wechseln, so dass es nie langweilig wird, auch wenn „die Baroness erzählt und erzählt und erzählt“. Insgesamt ist Jan de Leeuw ein großartiges Buch gelungen!