Leseprobe „Und auch so bitterkalt“
Vor Lucinda steht ein Teller Spaghetti. Eine Gabel in der Hand, schaut sie sekundenlang einfach nur auf den vollen Teller. Dann schaut sie vom Teller auf, vorbei an Isa, zu mir. „Malina“, flehen ihre Augen, „hilf mir. Bitte. Es sind Würmer, die durcheinander-, übereinander-, ineinanderkriechen. Durch die Gabel über meinen Mund in meinen Bauch, wo sie Krieg führen und nie zur Ruhe kommen.“
„Wie?“, schreibe ich an die von meinem Atem beschlagene Scheibe. „Sag mir, wie?“
Isa setzt sich zu ihr, legt eine Hand sacht über Lucindas zitternde Hand, die die Gabel hält. Isas Hand führt die Gabel, zu Lucindas Mund. Lucinda schließt die Augen, öffnet den Mund, kaut lange, schluckt. Schon führt Isa die nächste Gabel zu ihrem Mund und die nächste. Lucinda isst. Ihre bleibt keine Wahl.
Irgendwann ist der Teller vor Lucinda fast leer. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Tränen, die auf den Teller tropfen, einen Teich bilden, in dem die letzten Teigwürmer ertrinken. Lucinda weint. Es wird von Mal zu Mal schlimmer.
(S. 137f.)