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Titelbild
Crossan, Sarah:
Die Sprache des Wassers
Aus dem Englischen von Cordula Setsman
München: mixtvision 2013
228 Seiten
€ 13,90, Kindle Edition: € 6,99
Jugendbuch ab 12 Jahren

 

Crossan, Sarah: Die Sprache des Wassers

Freischwimmen

von Lars Engebrecht (2014)

Die zwölfjährige Kasienka hat es nicht leicht: Zusammen mit ihrer Mutter zieht sie von Polen nach England, um dort ein neues Leben zu führen. Der Grund für den Umzug ist, dass „Tata“, Kasienkas Vater, die Familie vor zwei Jahren urplötzlich und ohne Ankündigung verlassen hat. Jetzt hat Kasienkas Mutter herausgefunden, dass er in Stansted lebt und macht sich auf die Suche nach ihm – und das, obwohl Kasienka viel lieber in Polen bliebe.

Mit der neuen Umgebung treten für Kasienka auch viele Probleme auf: Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse wird sie nur in die fünfte Klasse eingestuft und steht dort völlig alleine da, ohne Freundinnen oder festen Rückhalt. Sie muss sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden und stößt dabei schnell an kulturelle Grenzen: Auch diese Sprache – die Codes der neuen Umgebung – muss Kasienka noch lernen.

„Heute habe ich erfahren,
dass ich die falsche Tasche habe.
Heute habe ich erfahren,
dass meine Tasche ein Witz ist.“

Sarah Crossans neues Jugendbuch „Die Sprache des Wassers“ kommt beeindruckend unkonventionell daher: In Versen erzählt Kasienka tagebuchartig, was ihr widerfährt. Ihre Aufzeichnungen haben in der Regel ausschnitthafte kleine Alltagssituationen zum Gegenstand, aus denen man einen sehr guten Einblick in Kasienkas Leben erhält.

Nachdem sie endlich in die sechste Klasse versetzt wird („wo ich von Anfang an hingehört hätte“), sieht Kasienka sich zunehmend massiven Anfeindungen einiger Klassenkameradinnen ausgesetzt. Insbesondere die beliebte Clair macht ihr zu schaffen. Doch Sarah Crossans Protagonistin schlägt sich bravourös und lässt sich nicht verbiegen – im Laufe der Zeit gelingt es ihr, sich immer besser zurechtzufinden. Mit dem Siebtklässler William lernt sie einen Jungen kennen, der ihr mehr als nur gut gefällt – und auch William scheint Interesse an Kasienka zu haben. Dass es allerdings ausgerechnet auch Clair auf William abgesehen hat, macht es nicht leichter.

„Bevor wir gehen, drückt Clair
ihm einen Kuss auf den Mundwinkel
und beobachtet mich dabei über seine Schulter.“

Doch Kasienkas Leben findet nicht nur in der Schule statt. Beinahe komplementär gestaltet sich die Situation zu Hause. Kasienkas Mutter ist eine gebildete Frau, die nach der Trennung von Tata in ein tiefes Loch gefallen ist. In England angekommen, ist sie davon besessen, ihren Mann wiederzufinden. Dabei scheint es mitunter fast aussichtslos, da sie die Sprache nicht beherrscht und keinerlei Anhaltspunkte hat, wo Tata stecken könnte. Um den Lebensunterhalt zu bezahlen, nimmt sie eine Putzstelle im Krankenhaus an und versinkt, als die Suche nach Tata zu scheitern droht, in Selbstmitleid. Je besser sich Kasienka zurechtfindet, desto mehr scheint ihre Mutter zu stagnieren. Sie sehnt sich zurück in ihre Heimat Polen. Dann lernt sie Kanoro kennen, einen Nachbarn und Kollegen, der ihr einen Funken Lebensfreunde zurückschenkt. Ihn belastet es nicht, dass er, obwohl er eigentlich Arzt ist, nur als Putzmann arbeitet. Anders als Kasienkas Mutter hadert er nicht mit den „ignorante[n] Engländer[n]“.

„‚Kanoro ist der Ignorant,
wenn er sich für etwas Besseres hält.
‚Ehre ist in allen Dingen‘, sagt er.“

So pendelt Kasienka zwischen zwei verschiedenen Welten und trägt stets ein Gewicht mit sich herum. Es gibt allerdings einen Ort, an dem Kasienka sich völlig frei fühlt: Wenn sie im Schwimmbad ihre Bahnen zieht, fallen die Sorgen von ihr ab. Schon in Polen hat sie viel trainiert, und auch in England bleibt ihr Talent nicht verborgen. Ihre Mutter unterstützt sie dabei nicht („Dafür ist keine Zeit, Kasienka“), es ist William, der sie ermutigt.

„Die Sprache des Wassers“ ist in drei Teile gegliedert, die sich wiederum in viele, sehr kurze Kapitel (oft umfassen sie nur eine Doppelseite ) aufteilen. Einer Überschrift, meist auf der linken Buchseite, folgen versartig Kasienkas Gedanken. Dabei ist es beeindruckend, wie gut man sich in Kasienkas Sprache hineinfindet. Das Thema Sprache zieht sich auch wie ein roter Faden durch den Roman – zunächst im Sinne von Fremd- und Muttersprache. In diesem Zusammenhang finden sich geradezu komische Stellen, so zum Beispiel, als die Mutter Kasienka verschämt erklärt, was eine „Schwuchtel“ ist. („‚Eine Art Vermieter, Kasienka‘, sagt Mama und ist sich ihrer Englischkenntnisse sehr sicher.“)

Sprache wird zudem im Sinne von kultureller ‚Sprache‘ thematisiert, aber auch in einem literarischen Sinne: Kasienka ist belesen und intelligent, dazu wortgewandt. Die lyrische Form ihrer Erzählung ist eine für sie authentische Präsentationsform und sicherlich auch das, was diesen Roman zu einem besonderen Leseerlebnis macht. Wiederholt spielt Kasienka auch mit literarischen Vorlagen: sei es, dass sie die Suche ihrer Mutter nach dem Ehemann und Vater als „Die Odyssee“ betitelt – und in fünf Teile aufteilt, oder ein Kapitel, in dem sie die Verlogenheit des Vaters auf ironische Weise behandelt, „Das Evangelium nach Tata“ nennt.

Es ist Konoro, der schließlich Tatas Adresse herausfindet und sie Kasienka mitteilt – nicht ihrer Mutter. Kasienka besucht ihren Vater, der inzwischen mit einer anderen Frau ein gemeinsames Kind hat. Heimlich trifft sie sich nun regelmäßig mit der kleinen Familie und versucht zu verstehen. Kanoro gegenüber erklärt sie: „‚In Polen gibt es ein Sprichwort: Wer wegläuft, macht sich schuldig.“ Oft denkt sie über Schuld nach. Als ihre Mutter schließlich herausfindet, was die Tochter ihr verheimlicht hat, will sie wieder zurück nach Polen. Doch Kasienka ist in England angekommen. Es bedarf einiger Anstrengung, bis es Kasienka schließlich gelingt, sich sprichwörtlich freizuschwimmen, und es zu einem Happy End für beinahe alle Beteiligten kommt.

„Die Sprache des Wassers“ erzählt Kasienkas Ich-Findung in erfrischend unkonventioneller Weise. Vor allem die starke und überzeugende Protagonistin und die außergewöhnliche sprachliche Form machen diesen Roman zu einem ganz besonderen Leseerlebnis.

„Das Wasser ist eine eigene Welt,
ein Land mit einer eigenen Sprache,
und die spreche ich fließend.“

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