Rassmus, Jens: Kann ich mitspielen?
Eine ganz besondere Mannschaft
von Sabine Berg (2014)
Michi ist zehn Jahre alt und trainiert für die überübernächste Fußballweltmeisterschaft. Er hat struppiges, blondes Haar, eine kurze Hose, Kniestrümpfe, T-Shirt und einen nagelneuen Fußball. Leider hat er niemanden zum Mitspielen. So kickt er ganz allein mit seinem Ball. Es steht schon 34:0.
Als Michi seinen Ball aus dem tristen Hinterhof über die Mauer schießt, kommt Bewegung in die Geschichte: Der Junge klettert über die Hofmauer. Auf der andern Seite der Mauer trifft er den Hasen Rübaldi, der gerne mitspielen möchte. Die beiden spielen den Ball weiter, und nach einem weiteren Weitschuss folgen sie ihm. Nach und nach kommen so noch der Bär van Brummel, der Riese Lulatschitsch, die Spinne Günter, die Taube Laola, der Stein Wumms und der Engel Gabriela zu ihnen: Auf einen guten Schuss folgt jeweils ein neuer Mitspieler.
Nach und nach wachsen die acht ganz unterschiedlichen Figuren in Jens Rassmus’ großzügig bebildertem Kinderbuch „Kann ich mitspielen?“ zu einer Mannschaft zusammen und gelangen – immer dem Ball hinterher – nicht nur durch die ganze Welt, sondern liefern sogar ein kurzes Gastspiel im Himmel ab. Am Ende spielen sie in Brasilien ein ganz besonderes Match: Die andere Mannschaft, gegen die Michis Dream-Team dort antritt, hat sicherlich nicht zufällig die brasilianischen Vereinsfarben als Trikot, und die Ähnlichkeit einzelner Spieler mit David Luiz, Marcelo, Luiz Gustavo oder Hulk lässt sich auch leicht erkennen.
Auch bei den Spielern von Michis Team gibt es Parallelen zu Spielern aus der Bundesliga – so zum Beispiel den Bär Van Brummel, dessen Name wie „Marc van Bommel“ klingt. Die Spinne Günter mit dem Netz – könnte damit Günter Netzer gemeint sein? Fußballfans können auf jeden Fall ein paar witzige Schlüsse ziehen.
Bereits auf dem Bucheinband sieht man die späteren Freunde. Ball spielend laufen sie über Wiesen und Felder, und alle haben ein gemeinsames Ziel vor Augen: das Spiel mit dem Ball. So ist die immer wieder auftretende Frage „Kann ich mitspielen?“ leicht beantwortet. Denn alle können es. Jeder kann mitspielen. Sogar ein Stein hat die Fähigkeit, seine Mannschaft zu unterstützen: als Vorstopper.
Michis Stimmung wird durch die Farben seiner Umgebung verdeutlicht. Zuerst ist er alleine und gelangweilt, von hohen, grauen Mauern umschlossen. Der Junge ist ganz klein, die Mauern dagegen sind riesig hoch. Nachdem er diese Mauern überwunden hat, werden die Farben seiner Umwelt bunter. Der Himmel, der anfangs nur als kleiner Streifen zu sehen ist, wird über der grünen Wiese groß und blau, weiße Wolken ziehen vorüber. Zuerst ist noch ein kleines Stück der Hofmauern zu sehen, dann nur die endlose Weite. Die Mauern, die Michis Welt eingegrenzt haben, sind weg, und Michis Freiheitsgefühl wird spürbar: Er kann den Ball schießen – und dieser fliegt immer weiter, da es keine Begrenzungen mehr gibt.
Im gesamten Buch ist der Anteil an Bildern höher als der Textanteil. In kurzen, einfachen Sätzen wird die Geschichte erzählt. Wiederholungen wie „Kann ich mitspielen?“ geben dem Text eine klare Struktur: Es beginnt immer ein neuer Handlungsabschnitt. Eine neue Figur taucht auf, und Michi befindet sich auf einer neuen Ebene. Bildlich wird dies gezeigt, indem die Freunde zum Beispiel durch die Bärenhöhle wandern und auf der anderen Seite des Tunnels herauskommen – oder sie fallen gar durch eine Wolke auf die Erde zurück. Oft finden sich fußballerische Fachausdrücke wie „dribbeln“, „passen“ oder „Fallrückzieher“. Sie sind dabei aber keinesfalls störend, sondern unterstützen vielmehr die Ernsthaftigkeit des gemeinsamen Fußballspiels.
Auch dass die Größenverhältnisse der abgebildeten Figuren nicht immer stimmen und auf verschiedenen Seiten sogar unterschiedlich sind, stört nicht. Durch diese dramaturgische Funktion erkennen die Leser und Betrachter sofort, worauf in der Szene das Gewicht gelegt ist. So sieht man zum Beispiel zuerst eine riesige Hand in der oberen Buchecke nach dem Ball greifen, bevor auf der nächsten Seite der Riese Lulatschitsch zu sehen ist.
Das Buch wird vom Verlag für Kinder ab sechs Jahren empfohlen, doch auch jüngere Kinder können diese Geschichte vom Mitspielenwollen und -können gut verstehen. Egal, ob die Kinder die Geschichte schon selbständig lesen können oder diese ihnen vorgelesen wird, können sie in den Bildern Einzelheiten zur Geschichte suchen und finden.
Die ganz unterschiedlichen Figuren, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen und keine Gemeinsamkeiten haben, sind durch den Spaß am Spiel verbunden. Jeder einzelne hat seine Stärken – und Schwächen können durch die anderen ausgeglichen werden. Für Kinder ist dies eine schöne Art zu erfahren, dass man immer Freunde finden kann. Es ist sogar wichtig, andere mitspielen zu lassen, denn Fußball macht nur gemeinsam Spaß: Man braucht andere, denen man den Ball zupassen kann.
„Kann ich mitspielen?“ ist ein gelungenes Fußballbuch, gerade jetzt nach der Fußballweltmeisterschaft!