skip to content

Titelbild
Olsson, Ingrid:
Neuschnee. Erzählungen
Aus dem Schwedischen von Cordula Setsman
München: Mixtvision 2016
EA 2012 u.d.T.: Önska bort, önska nytt
109 Seiten
€ 12,90
Jugendbuch ab 14 Jahren

Olsson, Ingrid: Neuschnee. Erzählungen

„Und an was man sich nicht erinnert, ist nie geschehen.“

von Cedric Mommertz und  Kristin Keuken (2017)

„Der Rucksack lastet auf seinen Schultern. Aber es ist das Herz, das wirklich schwer ist.“ Ingrid Olsson erzählt in ihrem 2016 von Cordula Setsman ins Deutsche übersetzten Werk „Neuschnee“ in acht Kurzgeschichten von Problemen, Sehnsüchten, Ängsten, Hoffnungen und Zweifeln „acht junge[r] Menschen, die keine Kinder mehr sind und nun erwachsen werden.“ Diese Gefühle nehmen Raum ein, in jeder der Erzählungen auf unterschiedliche Weise. Der Autorin gelingt es, ihre ErzählerInnen von schweren Entscheidungen, sehnlichsten Wünschen und verstörenden Ängsten berichten zu lassen, ohne dass diese konkret ausgeführt werden. Die Deutungsoffenheit aller Geschichten schwankt; mit wenigen Worten zieht Olsson uns in ihren Bann, lässt durch Wortverschiebungen neue Sinnzusammenhänge entstehen: „Rot wie der Weihnachtsstern hinter dem Rücken der Sprechstundenhilfe. Rot wie hinterher Blutungen und Schmerzen. Rot wie nach Hause gehen und es Mama sagen. Rot wie ‚Verzeih‘ und ‚Kein Wort zu Papa‘.“ Diese Art der Komposition eint die acht Kurzgeschichten – wie die Tatsache, dass man in vielen Geschichten weder den Namen noch die Hintergrundgeschichte der ProtagonistInnen erfährt. Das alternierende Beginnen der Erzählungen mit „Er“ oder „Sie“ verweist auf die Irrelevanz, die Figuren näher zu bestimmen: Olsson schreibt über Erfahrungen, wie sie uns allen – und nicht nur in der Pubertät – widerfahren können. Und genau deshalb ist das Identifikationspotential so hoch, legt man das Buch nicht einfach aus der Hand und wird die eine oder andere Geschichte noch länger nachhallen. Die Eindringlichkeit der Erzählungen wird durch eine knappe, poetische Sprache unterstützt, Anaphern und Metaphern fördern die Offenheit der Erzählungen. Hauptsätze, die mitunter von kurzen Nebensätzen begleitet werden, bringen zum Ausdruck, was durch Ausführungen wieder genommen würde: „Der Bus macht ein zischendes Geräusch und fährt weiter in die Dunkelheit hinein. In die Schwärze dort draußen, die trotzdem noch heller ist als ihr Zuhause.“ Beim ersten Durchblättern des Buches mag die eine oder andere LeserIn über die karg bedruckten Seiten stolpern. Diese mag noch verdutzter dreinschauen, wenn sie den Preis auf der Rückseite bemerkt: 12,90 € muten in Anbetracht der nur halb bedruckten Seiten teuer an. Jedoch sind es genau diese halb bedruckten Seiten, die die Intensität der Gefühle und Gedanken unterstreichen und das Buch so lesenswert machen.

 Zur Leseprobe