„Alles, was ich brauche, sind Brusthaare, Stimmbruch und ein Schnitzel!“
„Edvard“: Ein (nicht ganz) neuer Jugendroman von Zoë Beck
Von Thomas Fischer (2024)
Die Autorin Zoë Beck, die eigentlich Henrike Heiland heißt, ist vor allem mit Krimis sowie Übersetzungen aus dem Englischen hervorgetreten. Ihr Jugendroman „Edvard. Mein Leben, meine Geheimnisse“ erschien zum ersten Mal 2012 in einem Kölner Kleinverlag und liegt jetzt, parallel zu einer Fernsehserie im KIKA, in einer revidierten Neuausgabe bei Insel vor, wo er sicher auch durch diesen Medienverbund ein breiteres Lesepublikum finden wird. Der Roman zeigt, dass die Verfasserin sich durchaus in die Gedankenwelt eines pubertierenden Jungen einzufühlen vermag.
Der knapp fünfzehnjährige Edvard hadert mit seinem vermeintlich unmännlichen Aussehen, was ihn in der Schulklasse isoliert und ihm einen Korb bei der angebeteten Klassenkameradin Constanze einträgt. Als Kummerkasten nutzt Edvard heutzutage natürlich das Internet. Dort erfindet er sich als amerikanischer Austauschschüler Jason samt Erfolgsbiographie und falschen Fotos neu und landet damit einen Volltreffer bei Constanze, die ihn doch als Edvard im Chat sofort geblockt hatte. Doch als die Kunstfigur Jason ein unheimliches Eigenleben entwickelt und Edvard über den Kopf zu wachsen droht, lässt dieser ihn kurzerhand eines tragischen Unfalltodes sterben. Damit kommt er jedoch vom Regen in die Traufe, denn die energische Constanze erstellt ein Trauerportal und ruft zum Fundraising auf – bald hat sie fast eine halbe Million Follower…
Ein zweiter Handlungsstrang dreht sich um den geheimnisvollen Nachbarn Herrn Tannenbaum, einen mürrischen alten Kauz, der sich aber bald als vormals berühmter Astronom erweist, der (welch ein Zufall) das Lieblingssachbuch unserer Hauptfigur verfasst hat. Schnell freunden sich die beiden an, was zu einer deutlichen Verbesserung von Edvards Leistungen in Mathe und den Naturwissenschaften führt. Und als der neue Klassenkamerad Karli sich unerwartet als Mädchen entpuppt, steht auch einer jungen Liebe nichts mehr im Wege. Doch ein Problem bleibt bestehen: Tannenbaum muss aus seinem Haus ausziehen, wenn er nicht schnell eine Million auftreibt. Vielleicht lassen sich ja die für den „verstorbenen“ Jason eingeworbenen Gelder umleiten?
Der Junge mit dem seltsamen Namen erzählt seine Erlebnisse im Internet-Tagebuch „Edvard’s blog“ in ausgesprochen gut getroffener Jugendsprache, deren gelegentliche Nervigkeit ziemlich realistisch ist. Dies lässt sich jedoch von der Handlungsführung weniger behaupten: Dass Edvard mit seiner Fake-Identität nicht auffliegt, obwohl zuletzt viel widerrechtlich erworbenes Geld damit verbunden ist, dass er sich im Nu in mehreren Fächern von 4 auf 1 hocharbeitet, dass er auf einmal eine Menge Freunde findet – irgendwie geht das alles ein bisschen zu schnell, und der Text endet allzu offen: Wir erfahren weder, ob die Rettung Tannenbaums gelingt, noch ob der junge Blogger doch noch zur Rechenschaft gezogen wird, und auch die Beziehung zu Karli bleibt problematisch.
Doch wegen der überzeugenden Situationskomik und ihrer gewitzten und treffenden Schilderung durch Edvard Gregory Walter de Vigny (ja, so heißt er mit vollem Namen!) verzeihen wir der Autorin gelegentliche Unwahrscheinlichkeiten ihres Plots und lachen über seine überbehütenden, stramm veganen Eltern ebenso wie über die skurrile Schar der Nebenfiguren: Den übergewichtigen Arthur, den allwissenden Dinesh und den Punker Piesel mit seinen vergeblichen Versuchen, einen Joint zu drehen…
Dieses Jugendbuch – das in seiner Textgestalt einen „Jugendblog“ zu imitieren sucht – reiht sich in die zahlreichen Romane ein, die in Tagebuchform vom Coming-of-Age junger Figuren erzählen. Hier sind etwa „Lolito“ von Ben Brooks zu nennen, wo es ebenfalls um ein Fake-Profil geht, oder Stephan Lohses ganz neues Werk „Das Summen unter der Haut“, das von einem emotionalen Coming-out im Hamburg der siebziger Jahre erzählt. Auch zu Benjamin Leberts Bestseller „Crazy“ bestehen deutliche Parallelen; auch dort wird einer der (männlichen!) Protagonisten „Mädchen“ genannt – wie leider auch Edvard von seinem Erzfeind Henk (der sich dann auch noch mit Constanze einlässt).
Von Zoë Beck alias Henrike Heiland wird das Heil für die Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart wohl nicht ausgehen. Mehr solcher amüsanten Jugendbücher darf sie aber gerne schreiben!
Bibliographische Angaben
Beck, Zoë
Edvard : mein Leben, meine Geheimnisse
Berlin: Insel Verlag (2023)
192 Seiten
Leseprobe:
„Ihr wollt mit der Schulleitung reden, weil ich keine Haare auf der Brust kriege?“ Meine Eltern sind ja echt immer schon ein bisschen peinlich, aber so?
Mama schaut ganz komisch. „Moment. Wovon reden wir gerade?“
Ich ziehe das T-Shirt hoch und zeige auf meine haarlose Brust. „Davon! Kein einziges Haar! Was dachtest du, wovon wir reden?“
„Ich dachte, du bist, äh …“
„Schwul?“
„Also wenn du’s bist, dann weißt du jetzt, dass wir kein Problem damit haben und du unbedingt so leben solltest, wie es für dich gut ist.“
„Ich bin nicht schwul! Wie kommst du darauf, dass ich schwul bin?“
„Entschuldige mal, ich komme hier rein, und du schaust dir auf deinem Tablet Bilder von nackten jungen Männern an.“
„Ich schaue mir Bilder von mir an!“
Gut, das klingt irgendwie ziemlich schräg.
Mama blinzelt nervös, dann fängt sie sich wieder und sagt: „Aha. Und wieso ausgerechnet Brusthaare? Wieso nicht … Barthaare? Oder Schamhaare?“
„Erstens, ich habe Schamhaare“, sage ich, um Würde bemüht. „Zweitens, Barthaare sind schon längst kein Zeichen von Männlichkeit mehr. Brusthaare sind das Ultimative.“
Sie blinzelt wieder. „Sagt wer?“
„Alle.“
„Alle.“
„Ja.“
„Alle wer?“
„Na ja … alle halt.“
„Alle in der Schule?“
„Auch. Und alle anderen eben.“
„Aha.“
„Aha was?“
„Dein Freund Henk steckt also dahinter.“
Ich schmolle. „Henk ist nicht mein Freund, und mir ist scheißegal, was er sagt.“
„Edvard, vielleicht redest du mal mit deinem Vater“, sagt Mama. „Der weiß viel besser als ich, was Jungs in deinem Alter so… äh … brauchen.“ (Seite 47 ff.)